DARK SHADOWS mit dunklen Schatten

Mythengestalten und Märchenfiguren. Von fünfzehn Langfilmen dominierte Johnny Depp mehr als die Hälfte der Werke von Tim Burton. Bittersüße Fantasy-Spektakel und abgründige Charakter-Beschreibungen zugleich, opulente Bilderfluten und raffinierte Handlungskonstrukte in einem. Ob Edward, Ichabod Crane, Willy Wonka oder der verrückte Hutmacher. Johnny Depp ist diese Figur. Immer wieder erklärte das Acht-Mal-Duo die gemeinsame Liebe zum jeweiligen Projekt, zu den Geschichten, aber vor allen zu den Charakteren. Die schauspielerischen Leistungen von Johnny Depp kann man in manchen Filmen lediglich auf sein Aussehen herunterbrechen, in anderen überzeugt er mit all seinem Können. Aber Johnny Depp ist am besten, am sonderbarsten, am wandlungsfähigsten, wenn er mit Tim Burton arbeitet. Da kann er noch so viel Pirat sein oder von Hunter S. Thompson mit Geschichten versorgt werden. Und als blutsaugende Ikone Barnabas Collins ist es nicht anders. Entweder hat Tim Burton eine außerordentlich präzise Vorstellung von seiner Regie oder er lässt Depp einfach von der Leine. Auf alle Fälle stimmt hier die Chemie, welche die jeweiligen Filme durch die Regie-Schauspiel-Komposition prägt.

Barnabas Collins wird durch den Fluch einer liebestollen Hexe in einen Vampir verwandelt. Aber erst, nachdem er erleben musste, wie seine Herzdame sich unter dem Bann derselben Hexe das Leben genommen hat. Die Verschmähte möchte Barnabas leiden lassen und sperrt ihn in einen Sarg, der metertief im Wald verbuddelt wird. Hier soll sich Barnabas Collins seinen „dunklen Schatten“ stellen. Aber hauptsächlich soll er einfach nur leiden. Zweihundert Jahre später, die Hexe hatte nicht mit dem Bau von Bundesstraßen gerechnet, wird Barnabas Collins aus seiner Selbstfindung gerissen und aus dem Sarg befreit.

Tim Burton lässt nicht kleckern, sondern klotzen. Von der ersten Einstellung an ist DARK SHADOWS eine bildgewaltige Sage, die mit Hilfe von extrem gut durchkonstruierten und wirklich überzeugenden Computer-Animationen den Zuschauer packt und nicht gewillt ist, wieder loszulassen. Doch wenn der Film mit der Szenerie von 1760 zu fesseln versteht, erwartet den Zuschauer die eigentliche Überraschung erst, wenn man im Jahre 1972 ankommt. Das Dekor und die Ausstattung sind schlichtweg umwerfend. Selbst Nebensächlichkeiten im Hintergrund sind eine atemberaubend gelungene Hommage an eine längst vergangene, aber auch sehr verschrobene Zeit. Damit gelingt der Geschichte ein besonderer Zwist. Man könnte annehmen, DARK SHADOWS drückt sich davor, die Gegensätze von Barnabas Collins‘ Zeit von 1760 zur aktuellen Gegenwart zu setzen, wie es sich für ein originelles Remake gehört. Aber das raffinierte Drehbuch von John August und Seth Grahame-Smith geht einen Schritt weiter. Sie versetzen den aristokratischen Gentleman nicht nur in eine für ihn unbekannte Zeit, sondern den demografisch wichtigen Zuschauer ebenso in eine für ihn vollkommen fremde Welt. Ob Lava-Lampe oder Alice Cooper, Plattenspieler oder Hippie-Kultur. Die einen werden in ungläubiger Erinnerung schwelgen, die anderen über zeitgeschichtliche Merkwürdigkeiten schmunzeln.

Über die Darsteller braucht man kein Wort zu verlieren. Johnny Depp in einem Tim-Burton-Film ist alles, was man braucht. Helene Bonham-Carter? Nun gut, sie ist Tim Burtons Frau! Michelle Pfeifer, endlich wieder einmal eine erfüllende Rolle für die von Hollywood vernachlässigte Altersgruppe für Frauen-Charaktere. In vielen Bereichen von Technik bis künstlerischen Ausführungen ist DARK SHADOWS gelungenes und wunderbar verzauberndes Kino. Aber, und das tut irgendwie weh, DARK SHADOWS birgt empfindliche Unstimmigkeiten zu seiner oberflächlich anmutenden Perfektion. Da wäre zum einen die seltsame Wahl von irritierenden Make-up-Entscheidungen, wo der gesamte Clan der Collins-Familie ganz offensichtlich mit viel zu viel Gesichtspuder und viel zu deutlich aufgepinselten Schattierungen auffällt. Die herausgehobene Künstlichkeit des Make-ups stört gerade in den ausgerechnet mit Naheinstellungen inszenierten Dialogen die Dramaturgie erheblich.

Übergangslos geht es damit zum zweiten Punkt, der DARK SHADOWS immer wieder aus seinem Fluss reißt.  Das sind die vielen lange ausgespielten Dialogsequenzen. Man spürt, dass es Burton mag, seine Figuren zu beobachten, ihnen Zeit zu geben, sie reden zu lassen. Doch das drosselt den Film ungemein. Dabei wäre Tempo genau das, was DARK SHADOWS in seiner faszinierenden Intensität wesentlich stärken würde. Allerdings muss man zugestehen, dass dieser fahle Nachgeschmack eben erst nach dem Film einsetzt. Was man also wahrnimmt, ist ein sehr guter Film, was man aber mit nach Hause nimmt, muss nicht unbedingt eine Empfehlung für diesen sein. Obwohl es doch reizt, in höchsten Tönen zu loben. Die Welten des Tim Burton sind eben doch einzigartig, wenngleich sie trotzdem aus unserer Mitte entspringen. Mystisch, dunkel, und doch so heiter, aber stets unberechenbar.

Master und Commander. Nur, wer ist wer?

Darsteller: Johnny Depp, Michelle Pfeiffer, Eva Green, Bella Heathcote, Jackie Earle Haley, Chloe Grace Moretz, Gulliver McGrath, Jonny Lee Miller, Helena Bonham Carter u.v.a.
Regie: Tim Burton
Drehbuch: John August, Seth Grahame-Smith nach der TV-Serie von Dan Curtis
Kamera: Bruno Delbonnel
Bildschnitt: Chris Lebenzon
Musik: Danny Elfman
Produktionsdesign: Rick Heinrichs
USA / 2012
zirka 113 Minuten

Bildquelle: Warner Bros. / Tim Burton & Johnny Depp aus dem L.A. Times Bericht von Geoff Boucher
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