RED DAWN – Zuschauer als Kollateralschaden

RED DAWN – Bundesstart 27.12.2012

Vergleiche von Original und Remake haben sehr selten für den Zuschauer einen Nährwert. Wer Filme zu schätzen weiß, der kann gut darauf verzichten, diese gegenüberzustellen. Meistens. Eine sehr schöne Ausnahme dieser Regel ist RED DAWN, der eine wie der andere. Beide Filme sind, und das sollte man ganz objektiv betrachten, sehr dumme Filme. Heute spricht man von John Milius‘ ROTER FLUT als Kult-Klassiker. Man kann auch gut verstehen, warum. Es war ein Film, der an die Grenzen ging, als Reagan am heftigsten den kalten Krieg heraufbeschwor. Es war eine gar nicht so schlechte Geschichte, aber ein dummes Drehbuch, das zudem dumm inszeniert war. Das fängt schon mit der Anfangssequenz an, wenn die flüchtenden Jugendlichen mit ihrem Pick-up auf der von gegnerischen Soldaten gesäumten Hauptstraße ihre Runde drehen, ohne dass der Kugelhagel ihnen etwas anhaben kann. Macht aber nichts, denn dieser Film von 1984 hat genau gewusst, was er tut und wie er es tun muss. Regisseur Dan Bradley und Ellsworth und Passmore als Autoren haben offensichtlich nicht gewusst, was sie tun, als sie ausgerechnet die ROTE FLUT neuinterpretierten.

Die Prämisse von RED DAWN ist die Übernahme der Vereinigten Staaten durch eine ausländische Streitkraft. 1984 war es ein Zukunftsszenario, bei dem sich durch weltweite Krisen sogar die NATO auflöste und das die U.S.A. auf sich alleingestellt zeigte. Zudem waren nicht nur die Russen für den Einmarsch in die Staaten verantwortlich, sondern ein Bündnis aus Sowjets, Kubanern und Nicaragua. Die dystopische Alternative eines John Milius und Kevin Reynolds zu der realen Historie kann sich einer gewissen Faszination nicht verwehren, gerade weil es sich als alternative Realität identifiziert. 25 Jahre später gibt es keinen Kalten Krieg mehr, und die Notwendigkeit, ausgerechnet die Vereinigten Staaten zu okkupieren, ist noch viel unwahrscheinlicher geworden.

Es ist Nordkorea. Als sich die Neufassung von RED DAWN in der Entstehung befand, waren noch die Chinesen das böse Volk. Der Film war fertig, MGM sah sich seinen finanziellen Schwierigkeiten ausgesetzt und der Starttermin verschob sich. Innerhalb dieser Zeit bemerkten die überaus intelligenten Produzenten, dass ein Film mit chinesischen Bösen auf dem chinesischen Markt nicht sehr gut im Kino auszuwerten wäre. Anstatt konsequent zu sein, ging man den Weg des Geldes. Während der Krise von MGM hatten die Produzenten genug Zeit, ihr Remake von RED DAWN gründlich zu überdenken. Taten sie aber nicht. Dafür wurde der Film sehr gründlich Bild für Bild computertechnisch überarbeitet, um aus chinesischen Flaggen und Propagandapostern nordkoreanische Zeichen zu machen. Es ist also Nordkorea.

Das sieht in einer realistischen Gegenüberstellung so aus: In Nordkorea leben augenblicklich 24 Millionen, in den Vereinigten Staaten hingegen 314 Millionen Menschen. In Nordkorea leben pro Quadratkilometer 200 Menschen, wohingegen in Amerika auf dem Quadratkilometer nur 32 Menschen leben. Wie soll eine Armee aus einem Land wie Nordkorea gegen diese Proportionen ankommen können? Aber nun blicken wir auf andere Zahlen und ein Land, das sich gegen eine Gesundheitsreform wendet, nur weil sie von der Regierung diktiert wird, ohne ihren eigentlichen Nutzen akzeptieren zu können. Um den chinesischen Kinomarkt mit in die Bilanz von Einspielergebnissen zu bekommen, stellen die Produzenten 24 Millionen Nordkoreaner gegen 90 Millionen eingetragene Waffen in den Vereinigten Staaten. 90 Millionen registrierte Waffen, über die Dunkelziffer kann man spekulieren, würden bedeuten, dass auf jeden Nordkoreaner mindestens drei registrierte amerikanische Waffen warten. Und der Amerikaner schießt schnell, wenn es um das eigene Hab und Gut geht. Wenn man Wikipedia trauen kann, dann haben die Streitkräfte Nordkoreas 1,2 Millionen Soldaten. Das würde ja 75 amerikanische Waffen aus Privatbesitz für jeden koreanischen Soldaten bedeuten. Ach je, die Nordkoreaner konnten ja noch nicht einmal ihr direktes Nachbarland einnehmen.

Man kann das Jammern förmlich spüren: Aber es doch nur ein Film. Nein, ist es nicht. „Nur“ darf man in so einem Fall einfach nicht gelten lassen, weil die Produzenten den Zuschauer einfach nicht ernstnehmen. Nicht die Spur einer möglichen Erklärung für den Hintergrund wird gezeigt. Es ist nur das bloße Ausschlachten eines als Kult-Klassiker deklarierten Films, der zu einer anderen Zeit entstand mit einem vollkommen anderen politischen Weltklima. Der überzogene Hurra-Patriotismus von Milius‘ ROTER FLUT war ein provozierender Gewaltakt gegen alle linken Gesinnungen, die nach Abrüstung schrien und gegen Präsident Reagans Philosophie vom „Reich des Bösen“ protestierten. Das macht den Film keineswegs intelligenter oder gar besser. Man muss sich nur die Waldsequenz in Erinnerung rufen, wo eine Handvoll Teenager nach gerade einmal drei Monaten mit einer Waffe in der Hand erfolgreich einen Trupp ausgebildeter Soldaten ausschalten.

Wie nahe Akzeptanz und Scheitern bei einem kontrovers gemeinten Film beieinander liegen, zeigen ROTE FLUT und RED DAWN sehr gut. Man sollte dabei auch berücksichtigen, wie wenig dazu gehört hätte, aus dem aktuellen RED DAWN einen funktionierenden Action-Film zu machen, denn die Action ist ordentlich und reichlich. So ist er nur ein Ärgernis. Denn man sollte einiges von einem Film erwarten dürfen, dessen Vorgänger so bewusst Kontroversen heraufbeschworen hat. So ist es eben Nordkorea. Wie austauschbar der Feind doch sein kann, zeigt, dass man weder aktuelle Bezüge noch kulturpolitische Anspielungen jemals in Betracht gezogen hat. Man darf nicht alles als Popcorn-Kino akzeptieren, nur weil es sich der Einfachheit halber als solches präsentiert.

„WOLVERINES!“ Copyright Concorde Filmverleih / FilmDistrict

1984 – Darsteller: Patrick Swayze, C. Thomas Howell, Lea Thompson, Charlie Sheen, Darren Dalton, Jennifer Grey, Brad Savage, Powers Boothe u.a.
Regie: John  Milius
Drehbuch: John  Milius, Kevin Reynolds
Kamera: Ric Waite
Bildschnitt: Thom Noble
Musik: Basil Poledouris
Produktionsdesign: Jackson De Govia
USA / 1984
zirka 114 Minuten

 

 

2012 – Darsteller: Chris Hemsworth, Josh Hutcherson, Josh Peck, Isabel Lucas, Connor Cruise, Adrianne Palicki, Brett Cullen, Jeffrey Dean Morgan u.a.
Regie: Dan Bradley
Drehbuch: Carl Ellsworth, Jeremy Passmore nach dem Drehbuch von Kevin Reynolds & John Milius
Kamera: Mitchell Amundsen
Bildschnitt: Richard Pearson
Musik: Ramin Djawadi
Produktionsdesign: Dominic Watkins
USA / 2012
zirka 93 Minuten

 

Bildquelle: Fassung 2012 Concorde Filmverleih / FilmDistrict – Fassung 1984 MGM / 20th Century Fox
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