V/H/S – ein ausrangiertes Format

VHS ist ein raffinierter Versuch, dem Found-Footage-Thriller eine Metaebene zu verleihen. Ein Konglomerat von Filmemachern tut sich zusammen und bastelt eine Found-Footage-Geschichte um viele kleine Filmchen der gleichen Machart. So ähnlich wie Truffauts AMERIKANISCHE NACHT, nur moderner, und vielleicht blutiger, dafür mit Schock-Elementen. Schade nur, dass die Macher von sich selbst so überzeugt sind, dass das Konzept einfach nicht aufgehen will. Sie sind davon überzeugt, dass man mit genug Spannung, einigen Splatter-Effekten und etlichen durchs Bild kreischenden Schocks das Publikum bei Laune halten kann. Kann man eben nicht, was man spätestens beim bitteren Ende dieser Anthologie feststellen muss. VHS ist ein raffinierter Versuch, der daran scheitert, dass die Macher das Format bezwingen möchten, ohne dieses überhaupt verstanden zu haben.

Eine Gruppe randalierender Idioten filmt sich am liebsten dabei selbst, wie sie Frauen belästigt und verlassene Häuser demoliert. Von einem unbestimmten Dritten erhält sie den Auftrag, eine ebenso unbestimmte VHS-Cassette aus einem Haus zu stehlen, was sie gerne tut. Allerdings findet sie anstelle von einer Cassette gleich ganz viele. Und weil der Hausherr sowieso scheinbar tot im Sessel vor seiner Batterie von Fernsehern sitzt, kann man einige Bänder gleich einmal vor Ort sichten. Es folgen fünf voneinander unabhängige Found-Footage-Thriller, die auch in keinem Bezug zur rahmengebenden Geschichte stehen. Die Umsetzungen der einzelnen Episoden sind brutal und blutig, ohne allerdings den Ekelfaktor zu strapazieren. Das Segment um den Video-Chat ist dann sogar eine echte Herausforderung für die Schreckhaften im Publikum. Alles in allem ist VHS effektiv und kommt seiner Aufgabe nach, angemessen zu unterhalten.

Wäre da nicht der totale Verzicht auf Erklärungen. Keine der Geschichten bietet eine Auflösung seiner Ereignisse, keine Erklärung, nicht einmal Hintergründe. Hätte man wenigstens das letzte Segment mit dem Geisterhaus zu einer Brücke für die einleitende Geschichte konzipiert. Aber da ist eben VHS nicht so raffiniert, wie das Konzept den Anschein erwecken möchte. Wäre eine inspiriertere Auflösung tatsächlich so schwer gewesen? Der Film strotzt sowieso vor Löchern in der Logik, über die man als Horror-Konsument bekanntlich hinwegsehen sollte. Aber dass sich wirklich keine der Geschichten auflöst, und alle nur die losen Fäden fallen lassen, das macht VHS nur zu einem weiteren der unzähligen Found-Footage-Thriller, die hinter dem Format ihre kreativen Grenzen verstecken.

Mit fast zwei Stunden Laufzeit muss der Zuschauer einiges ertragen, um VHS optisch zu überstehen. Auch hier hebt sich das Segment um den Video-Chat im Mittelteil etwas ab, das dem Publikum ermöglicht, die Augen wieder etwas zu beruhigen. Ansonsten wird gewackelt und geschüttelt, dass es auf die Magengrube schlägt. Da der Film keinen deutschen Verleiher gefunden hat, bleibt für den Großteil der interessierten Horror-Fans sowieso nur der Genuss auf dem heimischen Schirm, sicherlich auch die schonendste Variante. Wer auf die große Leinwand, zum Beispiel beim Fantasy Filmfest, nicht verzichten will, sollte unbedingt Plätze in den hintersten Reihen wählen. Denn im Grunde will ein jeder Horrorfilm, der etwas auf sich hält, auch als Kollektiverlebnis wahrgenommen werden.

Darsteller: Calvin Reeder, Lane Hughes, Hannah Fierman, Mike Donlan, Joe Swanberg, Sophia Takal, Norma Quinones, Drew Moerlein, Helen Rogers, Daniel Kaufman, Chad Villella, Matt Bettinelli-Olpin
Regie: Adam Wingard, David Bruckner, Ti West, Glenn McQuaid, Radio Silence, Joe Swanberg
Drehbuch: Simon Barrett, David Buckner, Nicholas Tecosky, Ti West, Glenn McQuaid, Matt Bettinelli-Olpin, Tyler Gillett, Justin Martinez, Chad Villella
Kamera: Eric Branco, Andrew Droz Palermo, Victoria Warren, Michael J. Wilson
Bildschnitt: Joe Gressis
Ausstattung: Raymond Carr, Lanie Faith Marie Overton
USA / 2012
zirka 116 Minuten

Bildquelle: Magnet Releasing/Epic Pictures Group
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