fast verpasst: NO SUDDEN MOVE

No Sudden Move - Copyright WARNER BROS– Bundesstart 24.06.2021
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Ein Gauner kommt aus dem Knast, und er dreht sofort sein nächstes Ding. Es soll sein letztes Ding sein, damit er wirklich alles hinter sich lassen kann. Wie oft hat man diesen Plot schon ertragen müssen. Und wie oft werden wir ihn noch ertragen müssen. Ja, und dieses Dinge ist ganz einfach, alles kein Problem, einfach rein und wieder raus, bla bla. Don Cheadle spielt diesen Gangster, ein sympathischer Typ. Muss er sein, weil der Zuschauer in ihm ja eine Identifikationsfigur sehen will. Ganz nach den Blaupausen. Curt Goynes heißt die Figur, der wir die Daumen drücken sollen. Von Mittelsmann Doug Jones initiiert, wird Ronald Russo an Goynes Seite gestellt, den Benicio Del Toro mit verächtlicher Vorsicht spielt. Goynes ist schwarz, denen kann man nicht trauen. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Alles nach dem Regelwerk von Klischee und Imitation. Der Zuschauer tappt in die selbe Falle, wie die Protagonisten. Sie glauben alles zu wissen, alles zu kennen und vorauszusehen. Der Zuschauer glaubt, er wäre am Drücker.

Steven Soderbergh hat sowas schon öfters getan. Allein George Clooney kam zweimal für Soderbergh aus dem Knast, um sofort seinen nächsten Coup zu starten, OUT OF SIGHT und OCEANs ELEVEN. Filme, die Steven Soderberghs Reputation seinerzeit nicht nur festigten sondern steigerten. Aus dem Grund, weshalb letztendlich auch NO SUDDEN MOVE zu den zweifelsfrei Besten des Film-Fetischisten gehört. Er versteht Film, das Genre, und noch viel besser die Mechanismen. Hier von Soderberghs besten Film überhaupt zu sprechen, sollte im Auge des Betrachters bleiben, aber mit diesem Gedanken betrachtet werden.

Goynes und Russos Auftrag ist einfach. Sie müssen für ein paar Stunden die Familie des Buchhalters Matt Wertz in Geiselhaft halten, damit dieser geheime Dokumente aus dem Safe seiner Firma holt und an die Gangster übergeben wird. Es ist Mitte der 1950er in Detroit, die Stadt der ganz großen Autobauer. Damit hat der Autor Ed Solomon ein MacGuffin geschaffen, bei dem die Produktion absolut wage bleibt, ob das Objekt der Begierde und damit die Geschichte auf realen Ereignissen beruht, oder frei erfunden ist. Sicher ist, dass man sich einfach wünscht, alles wäre genau so passiert.

Natürlich dreht nur ein winziges Rad in dem Getriebe des eigentlich todsicheren Planes nicht korrekt, und alles läuft aus der Spur. Die Geschehnisse nehmen Dimensionen an, die allen über den Kopf wachsen. Bis auf Goyner und Russo, die zwar durch geschicktes taktieren und manövrieren immer wieder ihren Hals retten, doch dabei ein immer wahnsinnigeres Geflecht von Betrug, Verrat, Mord und Erpressung schaffen. Irgendwann warnt Gangsterboss Frank Capelli: Siehst du, Ron, das Problem ist, dass du nicht schlau genug bist, um zu erkennen wie schlau du nicht bist.

No Sudden Move 1 - Copyright WARNER BROS

Steven Soderberghs jüngstes Kind, dass er in einer sehr innigen Beziehung mit Autor Ed Solomon zur Welt brachte, kann man getrost als makellos bezeichnen. Hier stimmt einfach alles. Die Darsteller, ihre exzellente Charakterzeichnung, jeder Dialog, die anspruchsvolle Handlung, und ganz vorne dran, die atemberaubende Bildgestaltung von Peter Andrews und der auf den Punkt genaue und Rhythmus bestimmende Schnitt von Mary Ann Bernard (beide Soderbergh). Die Inszenierung geht unheimlich zügig voran, allerdings ohne zu überfordern. Keine Szene, nicht einmal ein Dialog ist zu viel, und alle machen Sinn, auch wenn es nicht unbedingt sofort erkenntlich ist. Die fälschlicherweise immer wieder als Fischauge bezeichnete Optik des Films, ist in Wirklichkeit einem Aufnahmeprozess mit ohnehin verzerrenden anamorphoten Objektiven und überstrapazierten Digital-Sensor zu verdanken. Die Verzerrungen und Stauchungen zum Bildrand hin, sind eine Reminiszenz an frühe Cinemascope-Aufnahmen.

Man muss kein Freund der Filme des Regisseurs sein, erst recht nicht dieses Genres, aber in letzter Zeit hat es kaum einen Film gegeben, der kompakter inszeniert war, wo wirklich nichts überflüssiges zu finden ist. Die Atmosphäre ist locker und losgelöst von den eigentlichen Restriktionen des Genres. Gleichzeitig ergibt sich eine mitreißende Spannung, weil unmittelbar klar wird, dass jederzeit alles Mögliche passieren kann. Die Figuren richten sich zweifelsfrei nach bekannten Stereotypen, sind aber so leicht verschoben, dass sie etwas vollkommen Eigenes gewinnen. So wie die weiblichen Charaktere überhaupt nicht nach dem zu erwartenden Klischees agieren. Und auch Minderheitenprobleme tun sich auf, die sich aber um politische Korrektheit überhaupt nicht scheren, sondern einer zeitgemäßen Natürlichkeit folgen.

Am Ende glaubt man, dass jeder der Beteiligten die beste Leistung seiner bisherigen Laufbahn eingebracht hat. Das wird als Floskel oft gebraucht, und missbraucht. Aber allein das Gefühl, wenn diese sehr kurzweiligen 115 Minuten vorbei sind, machen zumindest kurzzeitig diesen Werbespruch tatsächlich wahr. Weil Solomon und Soderbergh die Regeln gemacht haben. Und sie in einem Monolog an die Hauptfiguren eine Meta-Ebene zum Publikum öffnen.

„Ihr denkt ihr wärt frei. Ihr denkt ihr wärt am Drücker. Ihr lebt in der Illusion ihr wärt am Drücker. Das ist Fakt, und ihr werdet es nicht verstehen. Ihr werdet es auch im Grab nicht verstehen. So wie auch ich im Grab, Gottes glorreiche Schöpfung nicht verstanden haben werde, weil ich sie nicht erschaffen habe. Aber ich, und andere wie ich, haben diese Regeln erschaffen. In dieser Welt, in diesem Spiel, befolgt ihr diese Regeln. Auch wenn ihr mit meinem Geld hier raus spaziert.“ – Mike Lowen

No Sudden Move 2 - Copyright WARNER BROS

 

Darsteller: Don Cheadle, Benicio Del Toro, Jon Hamm, Craig muMs Grant, Brendan Fraser, David Harbour, JuliaRay Liotta,Fox, Amy Seimetz und Kieran Culkin u.a.
Regie: Steven Soderbergh
Drehbuch: Ed Solomon
Kamera: Peter Andrews (a.k.a. Soderbergh)
Bildschnitt: Mary Ann Bernard (a.k.a. Soderbergh)
Musik: Davis Holmes
Produktionsdesign: Hannah Beachler
USA / 2021
115 Minuten

Bildrechte: WARNER BROS
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