– Release 18.06.2025 (world)
Nicht schwer zu erraten: Es sind 28 Jahre vergangen seit dem Ausbruch des Wut- oder besser Rage-Virus, der Menschen bei Kontakt mit infiziertem Blut unmittelbar in tobende und mordende Wesen verwandelt. Vor 18 Jahren hatten Regisseur Danny Boyle und Drehbuchautor, mittlerweile auch Regisseur, Alex Garland die Idee zu dieser Zombie-Variante. In einer Zeit als das Sub-Genre der Zombies seinen Reiz und seine Möglichkeiten ausgeschöpft hatte – vermeintlich. Rückblickend kaum vorstellbar, was ohne „28 Days Later“ nicht in die Kinos gekommen wäre oder über die Bildschirme flimmern würde. Das tot geglaubte [sic] Sub-Genre erlebte einen derartig wuchernden Aufschwung, dass sich daraus fast schon eine gewisse Zombie-Ermüdung entwickelt hat. Schon deswegen ‚Hut ab‘ vor den Herren Boyle und Garland, sich dennoch einem dritten Teil zu widmen, der gleichzeitig auch noch Beginn einer Trilogie sein wird. Eine wagemutige Entscheidung, zu der man aus cineastischer Sicht sagen muss: Zum Glück haben sie sich dazu entschieden.
Der Rage-Virus wurde erfolgreich vom europäischen Festland zurückgedrängt. Großbritannien ist auf sich allein gestellt, und Nato-Truppen patrouillieren Seewege und überwachen den Luftraum. Auf einer kleinen Insel nur wenige hundert Meter vor der schottischen Küste lebt hermetisch abgeriegelt eine sich selbst versorgende Kommune. Grundsätzlich ist diese Idee nicht neu, aber damit wird „Years“ zum wohl politischsten Film in der bisherigen Reihe. Ohne das er wirklich politisch sein will.
Jeder Heranwachsende der Insel muss sich einmal auf das britische Festland begeben, um mit mindestens einem Abschuss eines Infizierten, seinen archaischen Einführungsritus zu begehen. Heute ist es der zwölfjährige Spike, der von seinem großspurigen Vater Jamie begleitet wird. Ihnen begegnen gleich drei Arten von Zombies, weil der Virus mutiert ist. Die Mutation ist das einzig wesentliche Element von Weltenbildung zu dem das Regie- und Autorgespann bereit ist. Alles Weitere ist bekannt, oder darf man sich selbst erarbeiten. In erster Linie ist es, wie die ersten beiden Teile auch, ein Film über Menschen, über die Gesellschaft, und soziopolitische Veränderungen. Und dies sind nicht einfach nur gute Vorsätze, sondern präzise formulierte und eingewobene Aspekte.
Nach einem blutigen und nervenaufreibenden Spektakel kehren Spike und sein Vater erfolgreich auf die Insel zurück. Doch der Sprössling erfährt von einem angeblich ‚richtigen‘ Doktor der auf dem Festland in der Nähe sein soll. Ohne die Kommune oder den Vater einzuweihen, beschließt Spike seine Mutter Ilsa zu dem vermeintlichen Doktor zu bringen, die an einer unerklärlichen Nervenkrankheit leidet. Auf sich allein gestellt, die verwirrte Mutter beschützend, liegen jede Menge tödlicher Bedrohungen zwischen Spike und dem Doktor – der mehr vermag, als nur heilen. Das Narrativ ist zweifelsfrei eine hinlänglich bekannte Heldenreise. Aber sie wird von Danny Boyle erzählt.
Es ist klar, „28 Years Later“ ist erneut ein gleichberechtigtes Gemeinschaftsprojekt des Regisseurs mit dem Autor. Das war beim ersten Film der Reihe vielleicht noch nicht so auffallend, aber hier wird es mehr als deutlich. Man kennt Garland mittlerweile auch als innovativen Regisseur („Ex-Machina“, „Civil War“), und demnach verlässt „Years“ auch sehr schnell den gefälligen Pfad der Heldenreise. Boyle und Garland erzählen nach den Gegebenheiten des Handlungsverlaufs, und nehmen keine Rücksicht auf stilistische Strukturen und Konventionen. Oder auch Normen – einen Einstieg wie bei diesem Film, hätte kein anderer renommierter Regisseur auch nur angedacht. Was immer man von exakt dieser Fortsetzung erwartet, wird vollkommen über den Haufen geworfen, aber paradoxerweise auch erfüllt. Über Kunst lässt sich streiten, außer hier.
Mit Boyle und Garland gibt es noch Jon Harris im Schnitt und Anthony Dod Mantle an der Kamera („28 Days Later“). Es ist ein Gespann des künstlerischen Wahnsinns. Wobei dann eigentlich noch das düstere Sound-Design von Brendan Feeney dazu gerechnet werden müsste. Oder die plötzlichen Stimmungswechsel in der Musikauswahl, bei der Simon Astall Supervisor ist. Danny Boyle bewegt seine Handlung wohin ihn beliebt, nicht wie es eine kohärente Struktur vorgeben würde. Die Songs unterminieren oft den Charakter einer Szene. Die Bilder sind manchmal poetisch, manchmal unerträglich direkt. Wenigstens wird dem schändlich gefällten Ahorn in Northumberland letzte Ehre erwiesen.
Kamera und Schnitt zaubern in den Blutexzessen immer wieder atemberaubend abstrakte Szenen, in denen Gewalt nur in Einzelbildfolgen zu sehen sind. In einer lustigen unbeschwerten Sequenz, vermittelt das Sound Design etwas ganz anderes. Oder der Film wechselt unvermittelt zu einem vollkommen unerklärten Handlungsstrang, der genauso abrupt endet, und erst viel später wieder aufgenommen wird. In vielen Szenen geht der Film nicht nur in unerwartete Richtungen, zum einen fordert er auch intellektuell, und zum anderen überrascht er mit unüblichen Formen des filmischen Erzählens.
So wird der kindliche Spike nicht zu dem gewachsenen Helden, den man erwartet. Und die Aufarbeitung von Mutter Ilsas Krankheit in ihrer erschreckenden Logik ist bahnbrechend, und zudem das Menschlichste, was im aktuellen Horror zu sehen ist. Aber genau diese ständig konterkarierenden Elemente in den visuellen und akustischen Ebenen, oder die befreite Erzählform, erzeugen ein stetes Gefühl des Unbehagens, der Furcht, aber auch der Hoffnung. Nichts im Ablauf ist vorhersehbar. „28 Years Later“ ist unglaublich beängstigend und mitreißend schön, mit einer bedeutsamen Emotionalität.
Die gesamte Darsteller-Riege ist durchweg solide und überzeugend. Aaron Taylor-Johnsons Besetzungsstereotyp wird mit der Vaterrolle wunderbar gegen den Strich gebürstet (Nochmal: Nichts ist, wie man erwartet), und Alfie Williams als Spike besteht diese seine erste Hauptrolle schlicht tadellos (für die grauenhafte Synchronisation kann er nichts). Doch es ist Ralph Fiennes, der das nicht malträtierte Rückgrat des Films bildet – Kalauer beabsichtigt. Man ist schon versucht zu sagen: wie zu erwarten. Doch man würde damit das Ensemble unterminieren. Aber Fiennes‘ Dr. Kelson ist in seinem Wesen, in seiner Ausdrucksweise, in seinen Ansichten und Gedanken der Kern dessen, was Danny Boyle und Alex Garland mit „28 Years Later“ erzählen und erreichen wollen.
Düster ist der Film, durch und durch. Er ist schockierend brutal, und manchmal auch eklig mit Würgreflex. Dann ist er auch wieder unheimlich lustig. Aber er regt immer zum Nachdenken an, und hält mit seiner pausenlosen Spannung und Anspannung im Griff. Im Gesamten – von Inszenierung und Geschichte, bis hin zu den technischen Aspekten – bekommt „28 Years Later“ eine ganz eigene, eine ganz besondere Ästhetik, der man sich nicht entziehen kann. Es ist kein Zombie-Film und kein Film über eine Virus-Katastrophe, das ist nur eine Hülle in der eine Geschichte über Menschen eingebettet ist, mit einem tröstenden Appell an die Menschlichkeit. „28 Years Later“ ist das perfekteste Arthouse-Kino das der Mainstream hervorbringen konnte. Und das Erschreckendste.
Darsteller: Alfie Williams, Jodie Comer, Aaron Taylor-Johnson, Ralph Fiennes, Jack O’Donnell, Erin Kellyman u.a.
Regie: Danny Boyle
Drehbuch: Alex Garland
Kamera: Anthony Dod Mantle
Bildschnitt: Jon Harris
Musik: Young Fathers
Produktionsdesign: Mark Tildesley, Carson McColl, Gareth Pugh
Großbritannien, USA / 2025
115 Minuten