Filmformate – Teil 2

Die Fortsetzung – Darf’s ein bisschen mehr sein?

Für Ihre Prüfungsaufgaben sind einige Ausreißer von Bedeutung, die für Aufsehen sorgten. Manchen war allerdings keine lange Lebensdauer beschienen. CINERAMA war so ein Ausrutscher, der sich aus einem mit fünf Kameras bestückten Simulationstrainer der Air-Force entwickelte und 1952 versuchte, die Welt zu verändern.

CINERAMA-Filme hatten 6 anstelle der 4 Perforationslöcher und wurden mit 26 statt 24 Bildern pro Sekunde vorgeführt. Drei absolut synchronlaufende Kameras nahmen über Kreuz drei Filmstreifen auf, die ebenso über Kreuz projiziert wurden. Mit dem Stand der Vorführboxen konnte die Leinwand auf 146 Grad gebogen sein, ohne dass Verzerrungen entstanden. Das projizierte Seitenverhältnis betrug 2,59:1. Die Bildränder überlappten weniger auffällig und die Übergänge zwischen den jeweiligen Filmstreifen wirkten fließend, weil die Ränder an den Projektionsfenstern gezackt waren.


Erste Wiederholung

1932 – ACADEMY FORMAT – 35mm, 4 Perforationen, 24 BpS, 22mm x 16mm, 1,37:1

1932 – BREITWAND – 35mm, 4 Perforationen, 24 BpS, 22mm x 11,9mm, 1,85:1

1952 – CINERAMA – 3 x 35mm, 6 Perforationen, 26 BpS, 3x 25mm x 28mm, 2,59:1

1953 – CINEMASCOPE – 35mm, 4 Perforationen, 24 BpS, 22mm x 18mm, 2x anamorph, 2,66:1, 2;55:1, 2,35:1

1954 – VISTAVISION – 35mm, 8 Perforationen, 24 BpS, 36mm x 18mm, Querformat, 1,66:1 – 2:1


Eine total, total verrückte Welt

CINERAMA war reines Effekte-Kino, das wie ein Opernabend präsentiert wurde. Gedruckte Programme, Champagner und Abendgarderobe. Popcorn und Cola gab es schon mal gar nicht. Die kreischenden Massen waren begeistert, wenn sie Achterbahn fuhren oder ihnen beim Tiefflug plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, wenn man in den Grand Canyon eintauchte. Die gebogene Leinwand vermittelte eine unglaublich räumliche Tiefe. Doch Spielfilme brachte CINERAMA nur zwei zustande, HOW THE WEST WAS WON – DAS WAR DER WILDE WESTEN und WONDERFUL WORLD OF BROTHERS GRIMM. Die komplizierte Kameraapparatur war mit jeweils drei 27mm Festbrennweiten ausgestattet. Dieses Objektiv kommt zwar dem natürlichen Sehen des Menschen am Nächsten, dennoch waren Nahaufnahmen von Schauspielern durch die Festbrennweite unmöglich. Kameratechnisch konnten Regisseure und Kameraleute nur mit einer Einstellungsgröße arbeiten, was mit der Zeit, wagen wir zu sagen, langweilig und ermüdend wirkte, und der Dramaturgie abträglich war.

Während das 3-STREIFEN-Verfahren das normale Sichtfeld eines Menschen simulierte, konnte mit einer ULTRA PANAVISION 70-MM wesentlich filmdramaturgischer gearbeitet werden. Die Kamera war wieder aus der Starre gelöst und funktionierte mit allem, was man beim dramaturgischen Arbeiten mit Film gewohnt war. ULTRA PANAVISION 70-MM hatte eine Einzelbild 52mm auf 24mm und 5 Perforationslöcher mit einem möglichen Seitenverhältnis von 2,76:1. Mit einer speziell entwickelten Vorführoptik konnte ULTRA PANAVISION auf der extrem gebogenen CINERAMA-Leinwand gezeigt werden, was fortan SINGLE-STRIP-Verfahren genannt wurde. EINE TOTAL TOTAL VERRÜCKTE WELT oder auch 40 WAGEN WESTWÄRTS entstanden zum Beispiel in ULTRA PANAVISION unter dem Verleih von CINERAMA.

Wer nun glaubt, zahlenmäßig und informativ total überfordert zu sein, darf sich eine Auszeit nehmen. Aufgeber haben hier nämlich keinen Platz. Räumen Sie nur Ihren Stuhl, wir brauchen den Platz für jemanden, den es wirklich interessiert und dem auch nicht Bang wird, wenn wir erst jetzt ans wirklich Eingemachte gehen.


Konkurrenz belebt das Geschäft

Die Frage nach dem Namen Michael Todd wird kein Bestandteil des vor Ihnen liegenden Tests sein. Nur soviel: Michael Todd war einer von Elizabeth Taylors Ehemännern. Dieses unnötige Wissen aber nur zur kleinen Auflockerung. Michael Todd wollte 1955 unbedingt „CINERAMA aus nur einem Loch“ auf die Leinwand bringen, als das 3-STREIFEN-Verfahren von CINERAMA noch aktuell war. TODD AO (American Optical, falls sich jemand wundert) funktionierte auf 70mm Film mit 5 Perforationen und einem Einzelbild von 52mm x 24mm (Bildgröße der später folgenden ULTRA PANAVISION). Das Bild mit einem Seitenverhältnis von 2,21:1 wurde auf eine 120 Grad gebogene Leinwand geworfen. Die ersten beiden Filme, OKLAHOMA und IN 80 TAGEN UM DIE WELT, wurden noch mit 30 Bildern pro Sekunde aufgenommen, was den Filmen eine weit bessere Farbbrillanz und Tiefenschärfe verlieh. Trotz der hohen Qualität stellte man die Produktion schließlich doch auf 24 Bilder pro Sekunde um. In den Siebzigerjahren stellte dann TODD AO aus Effektivitätsgründen auch noch auf 35mm und Anamorphoten um. Soweit zur Langlebigkeit.


Der Special-Effects-Zauberer Douglas Trumbull entwickelte auf Basis von TODD AO sein SHOWSCAN. Aufgenommen mit 60 Bildern pro Sekunde, erreichte Trumbull in dem Format ein extrem hochauflösendes Bild, das unweit realistischer im Bildfluss wirkte. Zudem waren bisher derartige Kontraste und so eine Farbbrillanz in dieser Form noch nicht erreicht. Selbst wenn man es auf 35mm Film umkopierte. Heute wird SHOWSCAN hauptsächlich für Filme in Bewegungssimulatoren verwendet. Doch Trumbull selbst benutzte SHOWSCAN für ein weit ambitionierteres Projekt, auf das ich erst später als eine Art kleines Bonbon eingehen werde, wenn Sie alle ihre Prüfungen bestanden haben sollten.


Die Tür zu deinem Geist ist geöffnet

Da wahrscheinlich keiner von Ihnen die Prüfungen bestehen wird, hier gleich zu Douglas Trumbulls ehrgeizigem Projekt BRAINSTORM. Der 1983 fertig gestellte Science-Fiction-Film befasst sich vordergründig mit der Aufzeichnung der Gedanken. Louise Fletcher und Christopher Walken entwickeln darin eine Maschine, die Gedanken nicht nur aufzeichnen und bei jeder beliebigen Person auch wieder abspielen kann, sondern das Gerät verarbeitet auch die in der Situation empfundenen Sinne. Trumbull wollte diesen Film eigentlich komplett in SHOWSCAN drehen. Wegen der Kosten, die die Umrüstung auf das extravagante Format für alle Kinos mit sich brachten, die BRAINSTORM spielen wollten, wurde das Projekt in dieser Form fallengelassen.

Trumbull verfiel dabei aber auf einen wesentlich effektiveren Trick. Alle Sequenzen der Gedanken-Aufzeichnungen wurden mit SHOWSCAN, also mit einem Verhältnis von 2,21:1 und 60 Bildern pro Sekunde aufgenommen. Die normalen Spielszenen hingegen wurden in ULTRA PANAVISION mit 24 Bildern in der Sekunde aufgezeichnet, wobei lediglich ein Seitenverhältnis von 1,87:1 genutzt wurde. Die beiden unterschiedlichen Formate wurden dann für die Kinoauswertung auf 35mm umkopiert. Bei der Vorführungen wechselte somit ein wesentlich größeres, schärferes und kontrastreicheres Bild aus der Gedankenwelt mit dem kleineren und merklich flacher wirkenden Bild in den Realszenen. Ein Effekt, der bei Video- und DVD-Veröffentlichungen leider nie berücksichtigt und in dieser Weise nachvollzogen wurde.

Irrtümlich wird häufig angegeben, dass bei BRAINSTORM die Effekte ebenfalls in ULTRA PANAVISION gedreht wurden, das sich vom Filmmaterial her nicht von TODD AO unterscheidet. Die Kameras sind allerdings von unterschiedlichen Herstellern. Für die Aufnahmen von 60 Bildern in der Sekunde wurde eine TODD-AO-fähige Kamera umgebaut.

Erlauben Sie mir eine persönliche Anmerkung als jemand, der diesen Film zu seiner Zeit in 70mm und 6-Kanal-Stereoton erleben durfte. Das Verfahren hat zu keiner Zeit seine Wirkung verfehlt. Ich war überwältigt.


Größe spielt eine Rolle

Douglas Trumbull war auch mal im Vorstand der IMAX Corporation. Das ist hier nur soweit von Interesse, als damit ein Übergang zum (endlich) letzten hier behandelten Format gelingt: IMAX. Das 1970 erschienene System ist noch immer das weltweit größte Filmformat mit einer Einzelbildgröße von 71mm x 52mm, was einem Seitenverhältnis von 1,37:1 doch sehr nahe kommt, oder nicht? Mit einer speziellen Vorführtechnik wird der Film mit absolut ruhigem Bildstand auf die überdimensionierten Leinwände geworfen, wobei er entgegen der übliche Methode horizontal durch das Bildfenster geführt wird. Der Gelehrige unter Ihnen erinnert sich vielleicht, dass VISTA VISION ebenfalls eine horizontale Bildführung hatte. Normal ist eine Geschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde, beim sehr wenig genutzten IMAX HD hingegen sind es 48 Bilder pro Sekunde.

Durch das große Ausgangsmaterial entsteht ein fast körnungsfreies Bild mit großem Kontrastumfang, das selbst bei mehr als 500qm großen Projektionsflächen für gestochen scharfe Bilder sorgt. Der typische IMAX-Dokumentarfilm nutzt diese Bildgröße anders als herkömmliche Filme. Das Geschehen konzentriert sich weitgehend auf die untere Hälfte des Bildes und dabei nur auf die mittleren 50% der Gesamtbreite. Die restlichen drei Viertel Bildinformation simulieren dabei das normale Sichtfeld des realen Sehens.

Das Umformatieren von Standard-Kopien, wie zum Beispiel bei HARRY POTTER und DARK KNIGHT geschehen, ist ein sehr kostenintensives Vergnügen, weil jedes Einzelbild von der 22mm x 16mm-Vorlage auf 71mm x 52mm per Computer umgerechnet werden muss, um für die wesentlich größere Auflösung mehr Bildinformationen zu errechnen.

Wegen der nicht zu schlagenden Bildqualität war IMAX bis jetzt der letzte, einsame Verfechter des greifbaren Filmstreifens. Dank des technischen Fortschrittes beginnt aber auch hier eine schrittweise Umwandlung der von IMAX produzierten Filme in ein digitales Format, weil Kinobetreiber meist aus Kosten-Nutzen-Gründen ihre IMAX-Leinwände sowieso auch anderweitig bespielen und dafür digital ausgestattet sind.


Zweite Wiederholung

1932 – ACADEMY FORMAT – 35mm, 4 Perforationen, 24 BpS, 22mm x 16mm, 1,37:1

1932 – BREITWAND – 35mm, 4 Perforationen, 24 BpS, 22mm x 11,9mm, 1,85:1

1952 – CINERAMA – 3 x 35mm, 6 Perforationen, 26 BpS, 3x 25mm x 28mm, 2,59:1

1953 – CINEMASCOPE – 35mm, 4 Perforationen, 24 BpS, 22mm x 18mm, 2x anamorph, 2,66:1, 2,55:1, 2,35:1

1954 – VISTAVISION – 35mm, 8 Perforationen, 24 BpS, 36mm x 18mm, horizontal, 1,66:1 – 2:1

1955 – TODD AO – 70mm, 5 Perforationen, 30 BpS, 52mm x 24mm, 2,21:1

1957 – ULTRA PANAVISION 70-MM – 70mm, 5 Perforationen, 24 BpS, 52mm x 24mm, 1,25x anamorph, 2,76:1

1970 – IMAX – 70mm, 15 Perforationen, 24BpS, 71mm x 52mm, horizontal, 1,37:1


Fleißaufgabe: Hey Baby, meiner ist 7cm…

Nachdem sich nun die Aufregung etwas gelegt hat, wenden wir uns der Mathematik zu. Sie dürfen den Taschenrechner benutzen, um die Flächen eines Bildes des ACADEMY FORMATs auszurechen und der Fläche eines Bildes von zum Beispiel TODD AO gegenüberzustellen. Natürlich erinnern Sie sich daran, dass ULTRA und SUPER PANAVISION sowie TODD AO dieselben Bildgrößen haben. Das war eben das Wunder von 70-MM. Es war möglich, Bilder mit fast viermal höherer Auflösung auf die Leinwand zu werfen. Haben Sie doch bestimmt nachgerechnet. In der Regel wurden viele Filme zwar mit PANAVISION 65-MM aufgenommen, doch für die Kinoauswertung auf 35mm umkopiert und anamorph gezeigt.

So, und jetzt, ganz zum Schluss, müssten bei einigen noch wachen Lesern die Alarmglocken geläutet haben. Meine Absicht war es, so zum wirklich letzten abschließenden Schluss noch einmal richtig Konfusion aufkommen zu lassen. Wieso 65mm?


Diese Frage beantworten wir in der nächsten Stunde…

…es sei denn, Sie bleiben noch zwei Minuten sitzen. Das Aufnahmematerial darf nicht mit dem Vorführmaterial verwechselt werden. Die Kameras werden natürlich nur mit einem 65mm breiten Negativfilm gefüttert. Die 70mm sind schließlich das Resultat der Vorführkopie, auf der noch die sechs Tonspuren des Magnettons untergebracht werden müssen. Alles sehr einleuchtend, nicht wahr? Der letzte kommerzielle Kinofilm, der komplett mit 65mm-Material gedreht und auch im entsprechenden Format gezeigt wurde, soll Branaghs HAMLET gewesen sein.

Zum Beispiel wurde selbst STAR WARS nur auf 35mm gedreht, erhielt aber zur Premiere eine 70mm-Fassung. Die Bildqualität und Brillanz rechtfertigten solche Maßnahmen bis zur Mitte der Neunzigerjahre bei besonderen Filmen durchaus. Doch unangefochtenes Meisterwerk in Handhabung des Materials und der Vorführung bleibt LAWRENCE OF ARABIA. Bei sehr vielen Filmen in den Siebziger- und Achtzigerjahren wurde 65mm-Negativmaterial wegen der Auflösung hauptsächlich für Spezial-Effekte und Trickaufnahmen eingesetzt.

Und wem jetzt nicht der Kopf raucht, der hat hier alles gar nicht richtig gelesen. Ich verabscheue mich dennoch mit einem herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen alles Gute für zukünftige Kinobesuche.

Drück mich, wenn Du nochmal den ersten Teil lesen möchtest.

Darf’s ein bisschen mehr sein?

Für Ihre Prüfungsaufgaben sind einige Ausreißer von Bedeutung, die für Aufsehen sorgten. Manchen war allerdings keine lange Lebensdauer beschienen. CINERAMA war so ein Ausrutscher, der sich aus einem mit fünf Kameras bestückten Simulationstrainer der Air-Force entwickelte und 1952 versuchte, die Welt zu verändern.

CINERAMA-Filme hatten 6 anstelle der 4 Perforationslöcher und wurden mit 26 statt 24 Bildern pro Sekunde vorgeführt. Drei absolut synchronlaufende Kameras nahmen über Kreuz drei Filmstreifen auf, die ebenso über Kreuz projiziert wurden. Mit dem Stand der Vorführboxen konnte die Leinwand auf 146 Grad gebogen sein, ohne dass Verzerrungen entstanden. Das projizierte Seitenverhältnis betrug 2,59:1. Die Bildränder überlappten weniger auffällig und die Übergänge zwischen den jeweiligen Filmstreifen wirkten fließend, weil die Ränder an den Projektionsfenstern gezackt waren.

Erste Wiederholung

1932 – ACADEMY FORMAT – 35mm, 4 Perforationen, 24 BpS, 22mm x 16mm, 1,37:1

1932 – BREITWAND – 35mm, 4 Perforationen, 24 BpS, 22mm x 11,9mm, 1,85:1

1952 – CINERAMA – 3 x 35mm, 6 Perforationen, 26 BpS, 3x 25mm x 28mm, 2,59:1

1953 – CINEMASCOPE – 35mm, 4 Perforationen, 24 BpS, 22mm x 18mm, 2x anamorph, 2,66:1, 2;55:1, 2,35:1

1954 – VISTAVISION – 35mm, 8 Perforationen, 24 BpS, 36mm x 18mm, Querformat, 1,66:1 – 2:1

Eine total, total verrückte Welt

CINERAMA war reines Effekte-Kino, das wie ein Opernabend präsentiert wurde. Gedruckte Programme, Champagner und Abendgarderobe. Popcorn und Cola gab es schon mal gar nicht. Die kreischenden Massen waren begeistert, wenn sie Achterbahn fuhren oder ihnen beim Tiefflug plötzlich der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, wenn man in den Grand Canyon eintauchte. Die gebogene Leinwand vermittelte eine unglaublich räumliche Tiefe. Doch Spielfilme brachte CINERAMA nur zwei zustande, HOW THE WEST WAS WON – DAS WAR DER WILDE WESTEN und WONDERFUL WORLD OF BROTHERS GRIMM. Die komplizierte Kameraapparatur war mit jeweils drei 27mm Festbrennweiten ausgestattet. Dieses Objektiv kommt zwar dem natürlichen Sehen des Menschen am Nächsten, dennoch waren Nahaufnahmen von Schauspielern durch die Festbrennweite unmöglich. Kameratechnisch konnten Regisseure und Kameraleute nur mit einer Einstellungsgröße arbeiten, was mit der Zeit, wagen wir zu sagen, langweilig und ermüdend wirkte, und der Dramaturgie abträglich war.

Während das 3-STREIFEN-Verfahren das normale Sichtfeld eines Menschen simulierte, konnte mit einer ULTRA PANAVISION 70-MM wesentlich filmdramaturgischer gearbeitet werden. Die Kamera war wieder aus der Starre gelöst und funktionierte mit allem, was man beim dramaturgischen Arbeiten mit Film gewohnt war. ULTRA PANAVISION 70-MM hatte eine Einzelbild 52mm auf 24mm und 5 Perforationslöcher mit einem möglichen Seitenverhältnis von 2,76:1. Mit einer speziell entwickelten Vorführoptik konnte ULTRA PANAVISION auf der extrem gebogenen CINERAMA-Leinwand gezeigt werden, was fortan SINGLE-STRIP-Verfahren genannt wurde. EINE TOTAL TOTAL VERRÜCKTE WELT oder auch 40 WAGEN WESTWÄRTS entstanden zum Beispiel in ULTRA PANAVISION unter dem Verleih von CINERAMA.

Wer nun glaubt, zahlenmäßig und informativ total überfordert zu sein, darf sich eine Auszeit nehmen. Aufgeber haben hier nämlich keinen Platz. Räumen Sie nur Ihren Stuhl, wir brauchen den Platz für jemanden, den es wirklich interessiert und dem auch nicht Bang wird, wenn wir erst jetzt ans wirklich Eingemachte gehen.

Konkurrenz belebt das Geschäft

Die Frage nach dem Namen Michael Todd wird kein Bestandteil des vor Ihnen liegenden Tests sein. Nur soviel: Michael Todd war einer von Elizabeth Taylors Ehemännern. Dieses unnötige Wissen aber nur zur kleinen Auflockerung. Michael Todd wollte 1955 unbedingt „CINERAMA aus nur einem Loch“ auf die Leinwand bringen, als das 3-STREIFEN-Verfahren von CINERAMA noch aktuell war. TODD AO (American Optical, falls sich jemand wundert) funktionierte auf 70mm Film mit 5 Perforationen und einem Einzelbild von 52mm x 24mm (Bildgröße der später folgenden ULTRA PANAVISION). Das Bild mit einem Seitenverhältnis von 2,21:1 wurde auf eine 120 Grad gebogene Leinwand geworfen. Die ersten beiden Filme, OKLAHOMA und IN 80 TAGEN UM DIE WELT, wurden noch mit 30 Bildern pro Sekunde aufgenommen, was den Filmen eine weit bessere Farbbrillanz und Tiefenschärfe verlieh. Trotz der hohen Qualität stellte man die Produktion schließlich doch auf 24 Bilder pro Sekunde um. In den Siebzigerjahren stellte dann TODD AO aus Effektivitätsgründen auch noch auf 35mm und Anamorphoten um. Soweit zur Langlebigkeit.

Formate1.jpg

Der Special-Effects-Zauberer Douglas Trumbull entwickelte auf Basis von TODD AO sein SHOWSCAN. Aufgenommen mit 60 Bildern pro Sekunde, erreichte Trumbull in dem Format ein extrem hochauflösendes Bild, das unweit realistischer im Bildfluss wirkte. Zudem waren bisher derartige Kontraste und so eine Farbbrillanz in dieser Form noch nicht erreicht. Selbst wenn man es auf 35mm Film umkopierte. Heute wird SHOWSCAN hauptsächlich für Filme in Bewegungssimulatoren verwendet. Doch Trumbull selbst benutzte SHOWSCAN für ein weit ambitionierteres Projekt, auf das ich erst später als eine Art kleines Bonbon eingehen werde, wenn Sie alle ihre Prüfungen bestanden haben sollten.

Die Tür zu deinem Geist ist geöffnet

Da wahrscheinlich keiner von Ihnen die Prüfungen bestehen wird, hier gleich zu Douglas Trumbulls ehrgeizigem Projekt BRAINSTORM. Der 1983 fertig gestellte Science-Fiction-Film befasst sich vordergründig mit der Aufzeichnung der Gedanken. Louise Fletcher und Christopher Walken entwickeln darin eine Maschine, die Gedanken nicht nur aufzeichnen und bei jeder beliebigen Person auch wieder abspielen kann, sondern das Gerät verarbeitet auch die in der Situation empfundenen Sinne. Trumbull wollte diesen Film eigentlich komplett in SHOWSCAN drehen. Wegen der Kosten, die die Umrüstung auf das extravagante Format für alle Kinos mit sich brachten, die BRAINSTORM spielen wollten, wurde das Projekt in dieser Form fallengelassen.

Trumbull verfiel dabei aber auf einen wesentlich effektiveren Trick. Alle Sequenzen der Gedanken-Aufzeichnungen wurden mit SHOWSCAN, also mit einem Verhältnis von 2,21:1 und 60 Bildern pro Sekunde aufgenommen. Die normalen Spielszenen hingegen wurden in ULTRA PANAVISION mit 24 Bildern in der Sekunde aufgezeichnet, wobei lediglich ein Seitenverhältnis von 1,87:1 genutzt wurde. Die beiden unterschiedlichen Formate wurden dann für die Kinoauswertung auf 35mm umkopiert. Bei der Vorführungen wechselte somit ein wesentlich größeres, schärferes und kontrastreicheres Bild aus der Gedankenwelt mit dem kleineren und merklich flacher wirkenden Bild in den Realszenen. Ein Effekt, der bei Video- und DVD-Veröffentlichungen leider nie berücksichtigt und in dieser Weise nachvollzogen wurde.

Irrtümlich wird häufig angegeben, dass bei BRAINSTORM die Effekte ebenfalls in ULTRA PANAVISION gedreht wurden, das sich vom Filmmaterial her nicht von TODD AO unterscheidet. Die Kameras sind allerdings von unterschiedlichen Herstellern. Für die Aufnahmen von 60 Bildern in der Sekunde wurde eine TODD-AO-fähige Kamera umgebaut.

Erlauben Sie mir eine persönliche Anmerkung als jemand, der diesen Film zu seiner Zeit in 70mm und 6-Kanal-Stereoton erleben durfte. Das Verfahren hat zu keiner Zeit seine Wirkung verfehlt. Ich war überwältigt.

Größe spielt eine Rolle

Douglas Trumbull war auch mal im Vorstand der IMAX Corporation. Das ist hier nur soweit von Interesse, als damit ein Übergang zum (endlich) letzten hier behandelten Format gelingt: IMAX. Das 1970 erschienene System ist noch immer das weltweit größte Filmformat mit einer Einzelbildgröße von 71mm x 52mm, was einem Seitenverhältnis von 1,37:1 doch sehr nahe kommt, oder nicht? Mit einer speziellen Vorführtechnik wird der Film mit absolut ruhigem Bildstand auf die überdimensionierten Leinwände geworfen, wobei er entgegen der übliche Methode horizontal durch das Bildfenster geführt wird. Der Gelehrige unter Ihnen erinnert sich vielleicht, dass VISTA VISION ebenfalls eine horizontale Bildführung hatte. Normal ist eine Geschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde, beim sehr wenig genutzten IMAX HD hingegen sind es 48 Bilder pro Sekunde.

Durch das große Ausgangsmaterial entsteht ein fast körnungsfreies Bild mit großem Kontrastumfang, das selbst bei mehr als 500qm großen Projektionsflächen für gestochen scharfe Bilder sorgt. Der typische IMAX-Dokumentarfilm nutzt diese Bildgröße anders als herkömmliche Filme. Das Geschehen konzentriert sich weitgehend auf die untere Hälfte des Bildes und dabei nur auf die mittleren 50% der Gesamtbreite. Die restlichen drei Viertel Bildinformation simulieren dabei das normale Sichtfeld des realen Sehens.

Das Umformatieren von Standard-Kopien, wie zum Beispiel bei HARRY POTTER und DARK KNIGHT geschehen, ist ein sehr kostenintensives Vergnügen, weil jedes Einzelbild von der 22mm x 16mm-Vorlage auf 71mm x 52mm per Computer umgerechnet werden muss, um für die wesentlich größere Auflösung mehr Bildinformationen zu errechnen.

Wegen der nicht zu schlagenden Bildqualität war IMAX bis jetzt der letzte, einsame Verfechter des greifbaren Filmstreifens. Dank des technischen Fortschrittes beginnt aber auch hier eine schrittweise Umwandlung der von IMAX produzierten Filme in ein digitales Format, weil Kinobetreiber meist aus Kosten-Nutzen-Gründen ihre IMAX-Leinwände sowieso auch anderweitig bespielen und dafür digital ausgestattet sind.

Zweite Wiederholung

1932 – ACADEMY FORMAT – 35mm, 4 Perforationen, 24 BpS, 22mm x 16mm, 1,37:1

1932 – BREITWAND – 35mm, 4 Perforationen, 24 BpS, 22mm x 11,9mm, 1,85:1

1952 – CINERAMA – 3 x 35mm, 6 Perforationen, 26 BpS, 3x 25mm x 28mm, 2,59:1

1953 – CINEMASCOPE – 35mm, 4 Perforationen, 24 BpS, 22mm x 18mm, 2x anamorph, 2,66:1, 2,55:1, 2,35:1

1954 – VISTAVISION – 35mm, 8 Perforationen, 24 BpS, 36mm x 18mm, horizontal, 1,66:1 – 2:1

1955 – TODD AO – 70mm, 5 Perforationen, 30 BpS, 52mm x 24mm, 2,21:1

1957 – ULTRA PANAVISION 70-MM – 70mm, 5 Perforationen, 24 BpS, 52mm x 24mm, 1,25x anamorph, 2,76:1

1970 – IMAX – 70mm, 15 Perforationen, 24BpS, 71mm x 52mm, horizontal, 1,37:1

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Fleißaufgabe: Hey Baby, meiner ist 7cm…

Nachdem sich nun die Aufregung etwas gelegt hat, wenden wir uns der Mathematik zu. Sie dürfen den Taschenrechner benutzen, um die Flächen eines Bildes des ACADEMY FORMATs auszurechen und der Fläche eines Bildes von zum Beispiel TODD AO gegenüberzustellen. Natürlich erinnern Sie sich daran, dass ULTRA und SUPER PANAVISION sowie TODD AO dieselben Bildgrößen haben. Das war eben das Wunder von 70-MM. Es war möglich, Bilder mit fast viermal höherer Auflösung auf die Leinwand zu werfen. Haben Sie doch bestimmt nachgerechnet. In der Regel wurden viele Filme zwar mit PANAVISION 65-MM aufgenommen, doch für die Kinoauswertung auf 35mm umkopiert und anamorph gezeigt.

So, und jetzt, ganz zum Schluss, müssten bei einigen noch wachen Lesern die Alarmglocken geläutet haben. Meine Absicht war es, so zum wirklich letzten abschließenden Schluss noch einmal richtig Konfusion aufkommen zu lassen. Wieso 65mm?

Diese Frage beantworten wir in der nächsten Stunde…

…es sei denn, Sie bleiben noch zwei Minuten sitzen. Das Aufnahmematerial darf nicht mit dem Vorführmaterial verwechselt werden. Die Kameras werden natürlich nur mit einem 65mm breiten Negativfilm gefüttert. Die 70mm sind schließlich das Resultat der Vorführkopie, auf der noch die sechs Tonspuren des Magnettons untergebracht werden müssen. Alles sehr einleuchtend, nicht wahr? Der letzte kommerzielle Kinofilm, der komplett mit 65mm-Material gedreht und auch im entsprechenden Format gezeigt wurde, soll Branaghs HAMLET gewesen sein.

Zum Beispiel wurde selbst STAR WARS nur auf 35mm gedreht, erhielt aber zur Premiere eine 70mm-Fassung. Die Bildqualität und Brillanz rechtfertigten solche Maßnahmen bis zur Mitte der Neunzigerjahre bei besonderen Filmen durchaus. Doch unangefochtenes Meisterwerk in Handhabung des Materials und der Vorführung bleibt LAWRENCE OF ARABIA. Bei sehr vielen Filmen in den Siebziger- und Achtzigerjahren wurde 65mm-Negativmaterial wegen der Auflösung hauptsächlich für Spezial-Effekte und Trickaufnahmen eingesetzt.

Und wem jetzt nicht der Kopf raucht, der hat hier alles gar nicht richtig gelesen. Ich verabscheue mich dennoch mit einem herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen alles Gute für zukünftige Kinobesuche.

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