Editorial: RUST

Rust - © 2025 RUST MOVIE LLC - SPLENDIDFILM– Release 01.05.2025 (US/GER)

Editor UweSehr oft wird man mit dem Argument konfrontiert, man müsse Kunst unvoreingenommen betrachten, um die Kunst objektiver zu erfahren. Das ist vernünftig, gelingt aber selten. Bei „Rust“ gelingt es überhaupt nicht. Joel Souzas Film ist von der ersten Minute an eine permanente Erinnerung an das Ereignis vom 21. Oktober 2021, als Kamerafrau Halyna Hutchins während einer Stellprobe versehentlich durch einen Pistolenschuss von Darsteller Alec Baldwin getötet, und Regisseur Souza verletzt wurde. Hier ist es geradezu unmöglich die Kunst unvoreingenommen zu bewerten, wenn sich die Handlung ausgerechnet um einen Jungen dreht, der aus Versehen einen Menschen erschossen hat. Lucas heißt der Junge, der im Jahr 1882, nach dem Tod der Eltern, die Farm erhalten und seinen kleinen Bruder großziehen muss. Der tödliche Schuss auf einen anderen Farmer war ein Versehen, dennoch wird Lucas zum Tode am Galgen verurteilt. Diese Ungerechtigkeit wird allerdings durch den gesetzlosen Harland Rust vereitelt.

Die Frage nach Schuld und Unschuld in der Tragödie während der Dreharbeiten sollte an dieser Stelle eigentlich kein Thema sein. Die Urteile sind längst von ordentlichen Gerichten gefällt. Trotzdem erzeugt es einen eigenartigen Beigeschmack, wenn der vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochene Alec Baldwin, im Film einen wegen Mordes verurteilten Jungen seiner Strafe entzieht. Die Kunst von der Realität zu trennen wird ebenfalls unmöglich. Auf gemeinsamen Wunsch von Hutchins Familie und den Filmemachern, wurde „Rust“ nach zwei Jahren Pause fertiggestellt.

Und jetzt gibt es einen Film, der unweigerlich – aber durch seine Veröffentlichung vielleicht auch ein bisschen beabsichtigt – an Alex Proyas „The Crow“ von 1994 erinnert. Hier wurde Hauptdarsteller Brandon Lee während der Dreharbeiten von einem Projektil tödlich verwundet. „The Crow“ wurde zum gefeierten Kultfilm. Was aber unterscheidet diese beiden Tragödien. Brandon Lees Tod war ein zwar vermeidbarer, aber seiner Zeit geschuldeter Unfall. Halyna Hutchins verstarb wegen grober Fahrlässigkeit, die pikanterweise aufgrund von Lees Schicksal niemals hätte passieren dürfen.

Und noch etwas unterscheidet die Legenden beider Produktionen – „The Crow“ ist ganz einfach der bessere Film. „Rust“ ist ein Western alter Schule, der sich den Hauch des Neo-Westerns gönnt, dabei allerdings unentschlossen wirkt. Die Inszenierung ist behäbig, nicht weil die Erzählung die Zeit bräuchte, Souza findet einfach kein angemessenes Tempo. Die diversen Schusswechsel, letztendlich die Schlagadern jedes gestandenen Westerns, sind schlecht und uninteressant choreografiert. David Andalmans Montage ist katastrophal, bei der keine Orientierung in den Actionszenen gegeben ist. Die Kostüme sind sichtlich auf alt getrimmt, und sehen nicht abgetragen aus. Und jede Figur hat mindestens einen längeren Dialog mit pseudo-philosophischen Ansätzen.

Rust a - © 2025 RUST MOVIE LLC

Die Konflikte zwischen Lucas und seinem Großvater, als welcher sich Harlan Rust herausstellt, sind nur des Konfliktes willen geschrieben. Letztendlich ist deren beiderseitige Annäherung ermüdend absehbar. Es gibt noch zwei Nebenhandlungen mit einem Marshall und einen Kopfgeldjäger. Solche Nebenstränge sollten mit der eigentlichen Handlung eine komplexere Erzählung bilden, um dann im Showdown eine kathartische Wirkung zu erzielen. Aber hier hat sich Souza mit Co-Autor Baldwin etwas anderes ausgedacht, und die Auflösung als Gegenteil eines Höhepunkts darstellt.

Was bleibt ist die bittere Ironie in dieser Produktion, und das sind Halyna Hutchins grandiose Bilder. Bianca Cline hat den Film kameratechnisch fertiggestellt, wobei sich nicht die geringsten Differenzen in der Bildgestaltung ausmachen lassen. Hutchins hat für ihr Konzept ganz offensichtlich die großen Meisterwerke studiert und unglaublich stark zitiert. Die weiten Panoramen, starke Gegenlichtaufnahmen, Tracking Shots, immer den richtigen Moment für ein Close-up, und das Spiel mit Schatten. Soweit es geht wird auf künstliche Lichtquellen verzichtet, einige Szenen sind einfach Dunkel, aber die Kamera lässt alles erkennen. Die Kontraste sind atemberaubend, Schwarz ist nicht gleich Schwarz. Manchmal schälen sich aus dieser Schwärze die Figuren ins Bild, manchmal verschwinden sie darin. Es ist ein grandioses Vermächtnis, mit fahlem Geschmack.

Ohne die traurigen Hintergründe wäre „Rust“ einfach nur ein Western. Ein Western, dem nicht einmal seine Photographie größere Beachtung gebracht hätte. Und jetzt ist es genau andersherum. Aber darauf hätte man gerne verzichtet. Die Familie von Halyna Hutchins wirbt darum den Film zu sehen. Damit wird geradezu unmöglich die einzelne Person vom Gesamtkunstwerk zu trennen. Man soll gar nicht objektiv sein. Womit sich „Rust“ einer wirklich neutralen Betrachtung entzieht. Dass die Familie für den Film wirbt, Halynas Ehemann Matthew nachträglich zum Produzenten ernannt wurde und selbstredend viele Menschen den Film aus anderen Gründen als zur Unterhaltung sehen wollen – all das sorgt für eine ganz andere Art von bitterem Beigeschmack.

Rust b - © 2025 RUST MOVIE LLC


Darsteller: Alec Baldwin, Patrick Scott McDermott, Josh Hopkins, Travis Fimmel, Abraham Benrubi und Frances Fisher u.a.

Regie & Drehbuch: Joel Souza
Kamera: Halyna Hutchins, Bianca Cline
Bildschnitt: Davis Andalman
Musik: Lilie Bytheway-Hoy
Produktionsdesign: Bryan Norvelle
USA / 2024
133 Minuten

Bildrechte: 2025 RUST MOVIE LLC / SPLENDIDFILM
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