LOYAL FRIEND

Friend - (c) UNIVERSAL PICTURESTHE FRIEND
– Bundesstart 19.06.2025
– Release 04.04.2025 (US)

„Wie kann man einem Hund den Tod erklären?“
Natürlich ist es eine rhetorische Frage. Wir als menschliche Individuen könnten einem Hund durchaus den Tod erklären. Wenn wir ihn selbst begreifen würden. Oder wenn Iris ihn begreifen würde. Iris ist Autorin in New York, und hat ihren besten Freund verloren, gleichzeitig ihr Mentor. Und auch Liebhaber. Walter war in jeder Beziehung der Mann in Iris‘ Leben. Als anerkannter und auch sonderlicher Schriftsteller wollte er der lesenden Welt ein besonderes Vermächtnis hinterlassen. Er hat Iris gebeten zusammen mit seiner Tochter Val, von einer seiner vielen Ehefrauen, aus 30.000 angesammelten E-Mails ein Buch zu formen. Mitten in den Vorbereitungen dazu, ist Walter plötzlich fort. Und als wäre das nicht genug, hat Walter bereits im Vorfeld festgelegt, dass Iris seinen Hund Apollo nehmen müsse. Eine dänische Dogge, in New York, in einem Apartment in dem keine Hunde erlaubt sind, bei einer Frau die nichts für Tiere übrig hat.

Sehr leicht hätte man den klug inspirierten Roman von Sigrid Nunez zu einer wilden Eskapade wie „Turner & Hooch“ umgestalten können, oder zu einer sentimentalen Gefühlsorgie wie „Marley and Me“ – Hunde in Publikums liebsten Rollen. Aber Bing ist weder Beasley, der Mastiff, noch einer der 22 Labradore als Marley. Auch wenn der dänischen Dogge Bing, in der Rolle des Apollo, eine ähnliche Relevanz zufällt. Doch Nunez hatte mit ihrer Geschichte definitiv keine gefällige, wenngleich oft sehr unterhaltsame Interspezies-Klamotte im Sinn. Und das Regie- und Autorenduo Scott McGehee und David Siegel („Montana Story“) halten sich erstaunlich präzise an diese Vorlage. Vielleicht nicht im buchstäblichen Sinne, aber in seiner emotionalen Ehrlichkeit.

Was hat Ehrlichkeit damit zu tun? Während das Narrativ den Gesetzmäßigkeiten massentauglicher ‚Dramödien‘ folgt (oder ‚Tragikomödien‘, je nach Belieben), tun es die komplexen Betrachtungen der Gefühlswelten nicht. McGehee und Siegel bedienen sich keiner überhöhter Emotionen, keine Ausbrüche oder depressiven Stillstand, niemand wird laut oder verfällt in irrationales Verhalten. Die Trauer ist echt, das hinterlassene Vakuum wird nachvollziehbar. Es ist ehrlich – und Naomi Watts die beste Besetzung dafür. Auch wenn man die Engländerin zuerst mit dem Mainstream in Verbindung bringen will, sind ihre Rollen mehrheitlich in komplexen Dramen zu finden. So wie hier.

Watts braucht keinen falschen Pathos, keine überzogene Sentimentalität. Und das Regieduo würde es ihr auch nicht zugestehen. Sie versteht ihre Verletzlichkeit und Irritation in kleinen Gesten und stimmlichen Spiel zu transportieren. So wie ihr phänomenaler Leinwandpartner Bing, der ein erstklassiges Spielfilmdebüt leistet. Auch der Hund leidet (selbstredend), und die Regisseure zeigen das in verhaltenen, aber realen Verhaltensmustern, und nicht in filmtypischen Überreaktionen oder vermenschlichter Charakterisierung. Und genau diese Abwandlungen von stereotyper Dramaturgie auf beiden Seiten der Spezies, machen „The Friend“ so wundervoll zugänglich.

Friend a - (c) UNIVERSAL PICTURES

Aber weit gefehlt wer glaubt „The Friend“ wäre ein tieftrauriges Trauerdrama. Es ist eine unaufdringliche Betrachtung mit existenziellem Tiefgang, auf leichte und verspielte Art erzählt. Eine Art welche aber nie die Ernsthaftigkeit seiner Thematik aus den Augen verliert. Und es wird auch gänzlich auf konstruierte Lacher oder manipulative Emotionen verzichtet. Nach und nach entfaltet sich das wahre gefühlsmäßige Ausmaß von Walters Ableben, wenn die Figuren sich immer stärker der eigentlichen Bedeutung bewusst werden. Und wenn Iris und Apollo begreifen, dass sie sich gegenseitig aufzufangen verstehen. Iris wird nicht zum allgemeinen Hundeliebhaber, und Apollo nicht zum spaßigen Menschenfreund. Aber sie finden sich als Anverwandte, und die hohe Kunst ist, in der Misere auch den Hund gleichwertig glaubwürdig zu machen.

Schließlich sind Iris und Apollo nicht alleine mit dem Verlust. McGehee und Siegel gelingt es auch ganz hervorragend zu verdeutlichen, wie Walters überraschendes Ableben das gesamte gesellschaftliche Umfeld mehr oder weniger stark betrifft, und dennoch Iris mit Apollo aus dieser Umgebung herauszustellen. Und dann ist da Walter selbst, ein ergrauter und in allen Bereichen umtriebiger Autor, mit dem Bill Murray erneut und mit unbeschreiblichem Selbstverständnis unterstreicht, warum er der beste Komödiant für dramatische Rollen ist (oder wie auch immer gewendet man es ausdrücken möchte).

In nur wenigen Rückblenden überzeugt Murray als nonchalander Freigeist mit intellektueller Noblesse. Doch ein imaginäre Streitgespräch zwischen ihm und Watts ist nicht nur inhaltlicher, sondern zweifelsfrei der darstellerische Höhepunkt dieses ganz besonderen Films. Ein besonderer Film der nur die Frage offenlässt, was für Hundeflöhe den Verleih gebissen haben müssen, kurz vor Start den adäquaten Titel auf den verfälschenden „Loyal Friend“ zu ändern. Es ist kein Film über den Hund. Es geht mit sehr feingeistiger Empathie um zwei Wesen die einander brauchen. „Wie kann man einem Hund den Tod erklären?“ – Die Frage könnte lauten: wie kann man damit umgehen? Wirklich erklären kann man es eigentlich niemanden.

Friend b - (c) UNIVERSAL PICTURES


Darsteller: Naomi Watts, Bing, Billy Murray, Sarah Pidgeon, Noma Dumezweni, Carla Gugino u.a.
Regie & Drehbuch: Scott McGehee & David Siegel
Nach dem Roman von Sigrid Nunez
Kamera: Giles Nuttgens
Bildschnitt: Isaac Hagy
Musik: Trevor Gureckis, Jay Wadley
Produktionsdesign: Kelly McGehee
USA / 2024
118 Minuten

Bildrechte: UNIVERSAL PICTURES
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