MONSIEUR AZNAVOUR

Monsieur Aznavour - (c) WELTKINO Filmverleih– Bundesstart 22.05.2025
– Release 23.10.2024 (FR)

Shahnur Aznavourian wurde 1924 in Frankreich als Sohn armenischer Einwanderer geboren. Erst 1982 ließ der Chansonnier seinen Künstlernamen Aznavour zu seinem offiziellen Namen ändern. Dazwischen liegt ein bewegtes Künstlerleben. Ein Künstlerleben wie es im Buche steht – jenem Regelwerk für standardisierte Künstlerbiografien. Im Narrativ unterscheidet sich Mehdi Idir und Grand Corps Malades Film nicht von „Respect“ über Aretha Franklin, oder jüngst die Bob Dylan-Biografie „A Complete Unknown“. Aus unwirklichen Verhältnissen heraus zur Legende, gespickt mit den üblichen Widrigkeiten und Abstürzen. Diese filmischen Blaupausen schmälern aber auf keinen Fall die Leistungen der jeweiligen Künstler im realen Leben. Gerade Aznavour gehört durch diese widrigen Umstände seiner Herkunft oder die ihm entgegengebrachte Ablehnung aus der Musikwelt zu einem der eindrucksvollsten Künstlergestalten. Dies interessant zu erzählen wäre nur eine Frage der filmischen und dramaturgischen Umsetzung.

Nur mühsam kann sich der junge Charles Aznavour in der Pariser Künstlerwelt behaupten. Seine Schwester Aïda und er lieben die Musik und versuchen damit Geld zu verdienen, auch um ihren ärmlichen Verhältnissen zu entkommen. Doch gerade für Charles ist durch seine geringe Stimmqualität der Weg schwer. Aber er kann schreiben. Texte fließen nur so aus ihm heraus. Mit dem Musiker und Pianisten Pierre Roche findet er jemanden auf gleicher Wellenlänge, der die passenden Melodien komponiert, und die Chansons anspruchsvoller und zugänglicher macht, weil sie Charles‘ Texte besonders hervorheben. Dann wird Edith Piaf auf ihn aufmerksam, die ihm aber für einen möglichen Erfolg so viel abverlangt, das es Familie und Freundschaften auf Spiel setzt.

„Monsieur Aznavour“ ist ganz hervorragend fotografiert. Brecht Goyvaerts Kamera taucht jede Epoche in ihre eigene Farb- und Lichtstimmung. Von der kraftlosen Farbpalette aus dem Armenviertel von Paris, bis hin zu den starken Kontrasten in der Hochphase von Aznavours Schaffen. Bei den Auftritten hebt Goyvaerts nicht etwa das berauschte Publikum oder den einhergehenden Erfolg hervor. Mit akzentuierten Lichtstimmungen und fokussierten Bildern von Bühne, Licht, Schatten und Sänger versinnbildlicht Goyvaerts Kamera die Leidenschaft von Aznavours Texten. Hier gelingt es dem Film eine gute, weil emotionale Bindung zwischen dem Charme der Chansons und dem Kinopublikum zu schaffen. Aber eine durchgängig erweiterte Bildebene gelingt dem Film nicht, der sonst in seiner Optik mehr zweckmäßig als künstlerisch gestaltet ist.

Monsieur Aznavour b - (c) WELTKINO Filmverleih

Visuell hat der „Monsieur Aznavour“ ein ganz anderes Problem. Tahar Rahim versteht es sehr authentisch den Chansonnier Aznavour in Sprache, körperlichen Ausdruck, und sogar im Gesang wiederzugeben. Seine prothetische Maske tut es allerdings nicht. In nur ganz wenigen Einstellungen ist Rahims Maske überzeugend. Die Notwendigkeit der fazialen Ähnlichkeit ist ohnehin fragwürdig. In diesem Film lenkt es nur ab, weil die Maske manchmal sogar innerhalb einer Szene verschiedene Eindrücke gibt. In manchen Bildern ist es Aznavour, dann wieder einfach Rahim selbst, meist erkennt man die künstliche Nasenprothese, das Make-up scheint ständig zu wechseln. Tahar Rahim ist in der Rolle überzeugend genug, um sehr leicht auf die unwirkliche Anpassung durch Make-up verzichten zu können. So aber sorgt es für abträgliche Verwirrung. Noch dazu wenn die Filmemacher dem grotesken Trend nachgeben, den Film mit Originalaufnahmen des realen Charles Aznavour zu beenden.

Schlimmer als der Hauptdarsteller, wird allerdings Marie-Julie Baup als Edith Piaf verunglimpft. Baups Nasenprothese erinnert unfreiwillig komisch an Steve Martins Charakter in „Roxanne“, aber keineswegs an den ‚Spatz von Paris‘. Baup kann noch so viel Unterricht genommen haben und der Piaf stimmlich noch so nahe kommen, da ist immer diese – mit Verlaub – entstellende Nase. Sollte sich das Regie- und Autoren-Duo Mehdi Idir und Grand Corps Malade etwas dabei gedacht haben, haben sie es sich nicht zum Vorteil des Films gedacht. Dabei achten sie doch sehr penibel darauf, dem Sänger, seinem Leben, dem Mythos, und seiner aufwühlenden Hingabe gerecht zu werden.

Objektiv oder kritisch ist das nicht immer, oder eher selten. Aznavour persönlich hat sich noch zu Lebzeiten für Idir und Malade als seine Biografen ausgesprochen. Sein Schwiegersohn Jean-Rachid Kallouche ist der Produzent. Selbst ohne dieses Wissen entsteht der Eindruck, dass „Monsieur Aznavour“ nur an der Legende interessiert ist, und weniger am Menschen. Es wird thematisiert, das Charles Kind und Frau aus egoistischen Gründen zurücklässt, die emotionalen Auswirkungen auf beiden Seiten bleiben aber ausgespart. Es wird thematisiert, das Charles seinen für den Erfolg mitverantwortlichen Partner Pierre Roche vor den Kopf stößt und sich ohne Skrupel von ihm trennt, aber später tut der Film so, als wäre das ganz natürlich gewesen. Es sind immer wieder solche ungeklärten Fragwürdigkeiten, die dem Film einen faden Geschmack geben. Die Macher wollen den Mythos festigen, sie wollen niemanden weh tun. Das ist soweit in Ordnung, da „Monsieur Aznavour“ zumindest einen ergreifenden Rückblick auf die Karriere und vor allem den vielen dargebrachten Chansons bietet. Das ist soweit nicht in Ordnung, weil gerade die Liedtexte von Aznavour so intensiv aus dem Vollen des Lebens, des Liebens, und der Leidenschaft schöpfen.

Monsieur Aznavour a - (c) WELTKINO Filmverleih


Darsteller: Tahar Rahim, Bastien Bouillon, Marie-Julie Baup, Camille Moutawakil, Ella Pellegrini, Lionel Bécaud u.a.

Regie & Drehbuch: Mehdi Idir, Grand Corps Malade
Kamera: Brecht Goyvaerts
Bildschnitt: Ludovic Foucher, Laure Gardette
Musik: Rostom Khachikian
Produktionsdesign: Stéphane Rosenbaum
Frankreich / 2024
133 Minuten

Bildrechte: WELTKINO Filmverleih
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Im Kino gesehen abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar