– Release 22.10.2025 (world)
Cincinnati, 1981 – das letzte Konzert der ‚River Tour‘. Ausverkaufte Arena, ein tobendes Publikum, ein in seiner Euphorie vollkommen verausgabter Bruce Springsteen. Das fünfte Studioalbum des Heartland-Rockers aus New Jersey ist ein Nummer-eins-Erfolg. Sein Produzent, Manager und Freund Jon Landau ist davon überzeugt, dass die nächste Platte den endgültigen internationalen Durchbruch bringen wird. Umso mehr drängt die Plattenfirma Columbia Records auf das neue Album. Und der von kreativem Überfluss getriebene Springsteen hat Ideen genug. Die Themen über die arbeitende Unter- und Mittelschicht gehen ihm nie aus. Doch mit dem überragenden Erfolg von The River wächst auch die Sorge des Musikers, sich gesellschaftlich von seinem Publikum zu entfernen. Zudem plagen den Songwriter die ungelösten Konflikte mit seinem Vater. Und nebenher stösst er auch noch auf die Geschichte des Massenmörders Charles Starkweather.
2009 hat sich Scott Cooper in seinem selbst verfassten Regiedebüt ebenfalls mit einem Musiker auseinandergesetzt. Ein Musik-Drama-Hybrid, der mit verlässlichen Inszenierungsstandards Jeff Bridges zu den bekanntesten Schauspielpreisen führte. Dasselbe könnte dem „Bear“ Jeremy Allen White widerfahren. Mit atemberaubender Energie auf der Bühne, rastloser Unruhe beim Produzieren und großer Sensibilität in seiner Beziehung erweist sich White als – im wahrsten Sinne des Wortes – perfekte Besetzung. Mit nur minimalen Änderungen ähnelt er auch optisch dem Musiker aus jener Zeit von 1982 zum Verwechseln. Die eigentliche Offenbarung liegt jedoch in Jeremy Allen Whites Gesang. Unweigerlich stellt sich als erstes die Frage, ob nicht doch Springsteen selbst die Songs für die Spielszenen eingesungen hat.
Nach dem rasanten Aufstieg ist Bruce Springsteen verunsichert und zieht sich zunächst ins Ländliche zurück, um dort allein zu schreiben – Zeit, um in sich zu gehen, aber auch, um mit fertigen Songs im Studio Zeit und Geld zu sparen. Seine Stimmung spiegelt sich in Instrumentierung und Texten wider. Die Geschichte des Massenmörders Starkweather erzählt Bruce aus der Ich-Perspektive; der Song heißt ‚Nebraska‘. Daraus formt sich ein sehr düsteres Album gleichen Titels. Er schreibt auch Lieder für ‚Born in the U.S.A.‘, doch ‚Nebraska‘ soll zuerst erscheinen. Im Schlafzimmer aufgenommen – roh und unverfälscht, ohne Werbung, ohne Tour. Columbia Records ist entsetzt, doch Jon Landau stellt klar: „In diesem Büro glauben wir an Bruce Springsteen.“
Es gibt Rückblicke in Springsteens Kindheit – natürlich in Schwarzweiß –, doch sie sind kurz und verdeutlichen nur die inneren Dämonen des Songwriters. Scott Cooper, der das Drehbuch nach der Biografie von Warren Zanes adaptierte, verzichtet auf ausschweifende Einführungen, Erklärungen oder aufhaltende Lebens- und Karrierephasen. Das ‚Born to Run‘-Finale in Cincinnati zu Beginn des Films ist Einführung genug, um den bisherigen Weg des Musikers zu beschreiben. Von da an verführt der Regisseur sein Publikum mit den dramaturgischen Standards des Kinos: Reflexion und Selbstzweifel des Protagonisten, Widerstand von außen, die nicht aufgearbeitete Kindheit, eine nur vermeintlich heilende Beziehung – die gefälligen Versatzstücke diverser Künstlerporträts.
Dass die erste Stunde dennoch fasziniert und funktioniert, liegt natürlich am fesselnden Charisma von Jeremy Allen White und seiner mitreißenden Natürlichkeit, die die reale Person Springsteen widerspiegelt. Als Jon Landau ist auch Jeremy Strong maßgeblich daran beteiligt, dass eine Geschichte fesselt, deren einzelne Stationen eine gewisse Vorhersehbarkeit haben. Als loyaler Wegbegleiter und Produzent ist Landau – oder eben Strong – jener beruhigende Erscheinung, die hier gerade in der zweiten Stunde immer wieder verdeutlicht, „dass wir hier an Bruce Springsteen glauben“.
Schließlich ist es die zweite Hälfte, in der die gewohnten Bahnen aufbrechen und der Film zu seinem ganz eigenen Rhythmus und seiner eigenen Dynamik findet. Es wird dabei deutlich, dass der Regisseur diesen unmerklichen Wechsel vom Vertrauten ins Ungewisse ganz bewusst so inszeniert hat. Der Film gewinnt eine düstere Atmosphäre, die sich der des Albums annähert. Bruce Springsteen hat sich irgendwo im Erfolg selbst verloren – verloren wie die finsteren Figuren seiner Songs auf ‚Nebraska‘, deren Identität der Musiker als Ausdruck seiner persönlichen Verunsicherung angenommen hat. Die Kamera von Masanobu Takayanagi bleibt während der 120 Minuten stets nah an den Personen, wobei extreme Close-ups White vorbehalten bleiben.
Takayanagi verzichtet auf ausladende Establishing Shots und prahlt nicht mit den durch Springsteen bekannten Örtlichkeiten – wie Asbury Parks ‚Stone Pony‘, Bruce’ Club der ersten Tage bis heute. Dafür streut der Regisseur immer wieder Aufnahmen des Musikers in bereits ikonischen, hier filmisch umgesetzten Fotoposen ein. Besonders für Fans schafft das eine intensivere Nähe. Doch werden Anhänger oder Musikliebhaber deswegen zufriedener oder stärker berührt von Coopers Erzählung sein?
Vielen wird sicherlich auffallen, wie sehr sich der Film bemüht, einzelne Mitglieder der Band oder die E Street Band insgesamt in der Geschichte auszublenden. Lange Zeit hielt sich das Gerücht, die Band habe Springsteen dazu gedrängt, das billig aufgenommene Demo von ‚Nebraska‘ in genau dieser radikal unsauberen, dafür aber authentischen Form zu veröffentlichen. Der Film erzählt die wahre Geschichte – er erzählt die ganze Geschichte –, und sie ist unglaublich spannend und emotional mitreißend. Doch die E Street Band war für die musikalische Qualität der vorherigen Alben gleichberechtigt mitverantwortlich – und sie war es auch bei den Platten nach ‚Nebraska‘. Das alles sind Gedanken, die an dieser Stelle „Springsteen: Deliver Me from Nowhere“ einfach nur ein rationales Gegengewicht verleihen sollen.
Die Absicht hinter dem Film ist jedoch ein sehr intimer Einblick in das Innenleben einer Person und ihrem ganz persönlichen Befreiungsschlag. Und so sollte dieser Film auch betrachtet werden – als ein Film, der gesehen werden sollte. Das Finale streift nur knapp, wie diese Person zu einem der bedeutendsten Musiker und Geschichtenerzähler seiner Generation – und mehrerer Generationen von Musikliebhabern – wurde. Backstage am Ende eines Stadionkonzerts, doch hier bleiben die Andeutungen verhalten. Eine starke Entscheidung von Scott Cooper, der damit einen Film vollendet, der in sich geschlossen und ehrlich gegenüber seinem Publikum bleibt. Doch fest steht, dass ‚the Boss‘ Frieden geschlossen hat – und Jeremy Allen White „erlöst ihn vom Nirgendwo“.
Darsteller: Jeremy Allen White, Jeremy Strong, Paul Walter Hauser, Odessa Young, Davis Krumholtz, Gaby Hoffmann u.a.
Regie & Drehbuch: Scott Cooper
nach dem Buch von Warren Zanes
Kamera: Masanobu Takayanagi
Bildschnitt: Pamela Martin
Musik: Jeremiah Fraites
Produktionsdesign: Stefania Cella
USA / 2025
120 Minuten


