THE LONG WALK – Todesmarsch

Long Walk - (c) LEONINE DISTRIBUTIONTHE LONG WALK
– Release 11.09.2025 (world)

Dystopische Zukunftsvisionen in denen eine Gruppe Jugendlicher ihre Welt von tyrannischen Regimen befreit, haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten massive Erfolge gefeiert. Zuerst in Buchreihen, und folgend auch in Filmadaptionen. Die erfolgreichsten Filme in diesem Sub-Genre, wurde von Francis Lawrence inszeniert, der jetzt auch für „The Long Walk“ von Richard Bachman, a.k.a. Stephen King, verantwortlich ist. Der Gedanke liegt nicht fern, dass Lawrence für „Long Walk“s Grundidee ein vertrauter und damit idealer Regisseur wäre. Aber die Geschichte hat nur flüchtig betrachtet etwas mit dem populären Konzept von Jugendliche-retten-die-Welt zu tun. Nach dem großen Krieg und dem daraus resultierenden Niedergang der Nation, gibt es zur Ergötzung und Beruhigung des Volkes den ‚Langen Marsch‘. 50 junge Männer, knapp über 18 Jahre, marschieren durch das Hinterland, begleitet von Kameras und Soldaten. Wer langsamer als 3 Meilen pro Stunde läuft bekommt eine Verwarnung. Nach drei Verwarnungen wird der Läufer ausgeschaltet. Marschiert wird, bis nur noch ein Läufer übrig ist. Dem Gewinner erwartet unermesslicher Reichtum, zudem hat er einen Wunsch frei – egal wie abstrakt.

Stephen King sagt, „The Long Walk“ wäre sein erster Roman gewesen, den er etwa 1966 geschrieben hätte. 10 Jahre vor seiner Erstveröffentlichung „Carrie“. Erst 1979 hat Richard Bachman, das Alter Ego von King, „The Long Walk“ herausgebracht. Bis heute gilt der Roman bei Lesern als die düsterste Vision von King, die sogar noch vor dem Tod des kleinen Tad in „Cujo“ rangiert. „The Long Walk“ ist eine unbestreitbare Allegorie auf den Vietnam-Krieg. Und das dritte Langfilm-Drehbuch von JT Mollner, zwei hat er wenig erfolgreich selbst inszeniert, hält ziemlich genau an dieser Allegorie fest. Ohne dem Drang nachzugeben, mit soziopolitischer Aktualität zu modernisieren.

Das Setting ist zeitlos, wenngleich das Produktionsdesign leicht auf die Ära der frühen Siebziger schließen lassen könnte. Die gesellschaftlichen und politischen Hintergründe bleiben auf das Notwendigste reduziert. Das ist nicht nur ungewöhnlich, sondern macht das Erzählen für gewöhnlich auch schwieriger. Womit Francis Lawrence allerdings keinerlei Mühe hat. Es gibt lediglich zwei kurze Rückblicke, die es nicht zwingend gebraucht hätte, die aber die Motivation von Ray Garraty beleuchtet. Garrety ist mit McVries, Baker und Olson einer der vier ‚Musketiere‘. Verbündete, die sich an der Startlinie kennenlernen, sich sympathisch sind, und gegenseitig helfen wollen, solange es die eigene Kraft und die lebensbedrohenden Umstände zulassen.

Long Walk - © 2025 Lionsgate

Erstaunlich ist auch, wie konstant jeder Protagonist in seiner eigenen Rolle bleibt. Cooper Hoffmann und David Jonsson als Garraty und McVries bilden dabei die mitreißende Speerspitze eines durchweg glaubwürdigen Ensembles. Darin findet man die üblichen Verdächtigen von Überheblichen, Mysteriösen, Idioten oder Kotzbrocken. Wie naive Soldaten, bemerken sie ihren Fehler erst, wenn es ernst wird. Da gibt es aber kein Zurück mehr. Es ist McVries, der zuerst mit Garraty, und dann mit ihm zusammen eine Gruppe bildet die sich zueinander freundschaftlich verhält. Denn schon nach den ersten Meilen und dem ersten Schuss wird deutlich, wie wichtig es ist, so weit wie möglich die eigene Menschlichkeit zu bewahren. Was mit jeder Meile schwieriger wird.

Und diese Schwierigkeit weiß der Regisseur sehr explizit zu verdeutlichen. Bei der „Panem“-Quadrologie hat sich Lawrence der Altersfreigabe entsprechend zurückhalten müssen. Bei „Lang Walk“ gibt es Szenen die schockieren, weil die Kamera dabei bleibt. Sei es das erste Opfer auf dem Asphalt, oder ein Läufer mit Diahhrö. Bilder die sich einbrennen, weil die Cutter auch nicht wegschneiden. Tatsächlich intensivieren sich diese brutal realistischen Szenen noch, wenn sie nur im Hintergrund oder in der Unschärfe zu sehen sind. Dann sind es nämlich die fantastischen Darsteller, die mit ihren panischen Reaktionen die immer wiederkehrende Erkenntnis zeigen, sie können jederzeit die nächsten sein. Dadurch das die Erzählung von allem Ballast an Informationen oder Nebenhandlungen befreit ist, und sich lediglich auf die Läufer und dem Geschehen auf der Strecke fixiert, wird die Beziehung zu den Charakteren extrem verstärkt. Deswegen wäre auch zu Wünschen gewesen, Jo Willems hätte mit der Kamera in den nahen Einstellungen doch etwas mehr Abstand gehalten, weil durch die Gehbewegungen die bildfüllenden Köpfe im Bild sehr unruhig werden. Ansonsten hat Willems stimmungsvolle Landschaftsaufnahmen und Szenengestaltungen geschaffen. In erdigen Farbtönen gewinnt das Hinterland eine unangenehm atmosphärische Einsamkeit, in der sich 50 Läufer bewegen, von denen aber nur einer ankommen darf.

Long Walk 2 - (c) LEONINE DISTRIBUTION

Cooper Hoffman und David Jonsson zeigen sich als exzellente Sympathieträger und Identifikationsfiguren. Sie lassen wunderbar subtil einfließen, wie ihre Figuren Garraty und McVries unfähig sind, in dieser endgültigen Situation mit sich selbst klarzukommen. Eigentlich alle Charaktere unterscheiden sich merklich in ihrem Antrieb, ihrer Angst, und der Verfassung, was jeder Darsteller auch eindringlich abbildet. Selbst wenn sie im Grunde alle gegeneinander marschieren. Auf dieser unberechenbaren Strecke, wo auf jeder Meile der Tod mit marschiert, wird mit diesen Schauspielern auch das Verlangen nach Gemeinschaft glaubwürdig und nachvollziehbar.

Die Allegorie funktioniert. Aber einfach ist das nicht. Francis Lawrence hat mit einem starken Team einen ebenso starken Film realisiert. Einer der unter die Haut geht. Und trotz der expliziten Brutalität kommt nie das Gefühl von Selbstzweck auf. Von seiner Handlung her, ist es eine der reduziertesten Geschichten von Richard Bachman, a.k.a. King. Und wegen seiner Werktreue somit auch einer der reduziertesten Film von Francis Lawrence, der hier trotzdem unheimlich viel zu sagen hat. George Romero und Frank Darabont hatten das Projekt vor Jahren ebenfalls auf dem Plan. Und so interessant deren Visionen auch gewesen wären, dem fertigen Projekt nach, scheint Francis Lawrence der richtige Mann, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort. Junge unerfahrene Männer, ohne Perspektive, nur mit einem Traum, aber mit falschen Hoffnungen. Stephen King mag in und für eine andere Zeit geschrieben haben. Doch diese Geschichte ist ebenso leicht ins Heute zu übertragen. Es ist ein atemberaubender Film über Menschlichkeit, Freundschaft, Integrität, und die unbändige Angst vor dem Ungewissen.

Long Walk 1 - (c) LEONINE DISTRIBUTION


Darsteller: Cooper Hoffman, David Jonsson, Garrett Wareing, Tut Nyuot, Charlie Plummer und Mark Hamill u.a.

Regie: Francis Lawrence
Drehbuch: JT Mollner
nach der Novelle von Richard Bachman
Kamera: Jo Willems
Bildschnitt: Peggy Eghbalian, Mark Yoshikawa
Musik: Jeremiah Fraites
Produktionsdesign: Nicolas Lepage
USA / 2025
108 Minuten

Bildrechte: LEONINE Distribution / LIONSGATE
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