a.k.a. THE UGLY STEPSISTER
DEN STYKKE STESØSTEREN
– Bundesstart 05.06.2025
– Release 07.03.2025 (NOR)
Nach fünf Kurzfilmen hat sich die Norwegerin Emilie Blichfeldt zu ihrem Spielfilm-Debüt entschlossen. Die Premiere auf dem Sundance Film Festival erregte nicht einfach nur viel Aufmerksamkeit, sondern sorgte für noch viel mehr Gesprächsstoff. Blichfeldt entdeckte Mitte der 1990er ihre Faszination für David Cronenberg. Das gibt ziemlich genau die Richtung an, wohin ihr filmischer Werdegang gehen sollte, und was das Publikum erwarten könnte. Das Publikum in Sundance, und später bei den Berliner Filmfestspielen, wusste nicht was sie erwarten würde. Aber nachfolgend wird es noch viele Zuschauende mehr geben, die von „The Ugly Stepsister“ überrascht werden. Und das nicht unbedingt nur auf angenehme Weise.
Es ist keine Liebesheirat, die Rebekka mit ihren beiden Töchtern Elvira und Alma zur Verbindung mit dem adeligen Otto von Rosenhoff treibt. Doch bereits in der Hochzeitsnacht verstirbt Otto, und dessen Tochter Agnes verrät der verträumten Elvira, dass die von Rosenhoffs ebenfalls kein Geld haben. Wer sich in ersten Minuten an die legendären tschechischen Märchenfilme erinnert fühlt, liegt gar nicht so fern. Das Dekor des Films schwankt zwischen schlicht und altbacken. Marcel Zyskind verzichtet bei seinen Kamerabildern auf künstliches Licht, und ist in der Farbgestaltung sehr zurückhaltend, genau wie bei den Kontrasten. Dazu gesellt sich eine Kameraführung, inklusive unzeitgemäßer Zoom-Einstellungen, die förmlich nach den 1970ern schreien.
Eine Heirat mit dem nach einer Gemahlin suchenden Prinz Julian würden die finanziellen Probleme lösen. Rebekka möchte das aber nicht der wesentlich hübscheren Stieftochter Agnes überlassen, sondern will die leibliche Elvira verheiraten. Dazu ist allerdings sehr viel an Elvira zu tun, damit diese die Aufmerksamkeit des Prinzen verdienen würde. Doch dazu ist die schwer verliebte Elvira nur allzu gern bereit, und nimmt die höllischen Prozeduren auf sich, welche die qualvollen Schönheitsoperationen bringen. Alles, um Prinz Julian zu gefallen. Die „Aschenputtel“-Geschichte nach den Gebrüdern Grimm wie sie die letzten hundert Jahre erzählt wird, existiert hier nicht mehr. Der Film orientiert sich an den Erzählungen wie sie seit 1697 von Perrault bis hin zu Grimm und Bechstein variierten. Allerdings ohne die interpretierbaren symbolträchtigen Elemente.
Bei Blichfeldt steht der Wahnsinn von Schönheitskult und Geldgier im Vordergrund – mit dem Wahnsinn von expliziter Bildsprache. Natürlich weckt die schroffe Direktheit von Emilie Blichfeldts Inszenierung direkte Assoziationen mit Carolie Fargeats „The Substance“, der in etwa zur gleichen Zeit gedreht wurde, aber den Vorteil einer viel früheren Veröffentlichung hatte. Und natürlich ist der Einfluss von Cronenbergs Body-Horror im wahrsten Sinne der Worte spürbar, denn Blichfeldt geht so weit, dass einem die Schocks durch Mark und Bein laufen. Das alles in einem Setting, das um ein vielfaches unangenehmer und verstörender ist als in Fargeats Film oder bei Cronenberg.
Wer glaubt nach der Nasenkorrektur das Schlimmste überstanden zu haben, wird bei der Operation der Augenwimpern auf die endgültige Horrortauglichkeit geprüft. Zu all dem berauscht ein konterkarierender Soundtrack von John Erik Kaada und Vilde Tuv, der mit unüberhörbaren Anleihen bei Francis Lai und Tangerine Dream die Atmosphäre der Siebzigerjahre noch einmal verstärkt. Doch letztendlich ist es Lea Myren, die als verklärte Elvira das gesamte Gefüge des Films zusammenhält. Während Ana Dahl Torp und Thea Sofie Loch Næss – Elviras Mutter und ihre Stiefschwester – außerhalb des skandinavischen Kinos zumindest schon einen Namen haben, war es von Blichfeldt sehr mutig, allerdings auch mehr als gerechtfertigt, Lea Myren eine Mammutaufgabe wie diese bewältigen zu lassen. Mit dem Charakter der Elvira steht und fällt der Film, und Myrens fantastische Wechsel zwischen Sensibilität und Wahnsinn gehen sogar weiter als den Film nur in seiner eigenen Absicht zu tragen. Sie macht ihn trotz seiner Explizität ansehnlich.
Es ist eine bestechende (kein Kalauer) Visitenkarte, die Emilie Blichfeldt auf die Leinwand gebracht hat. Vielleicht eine Spur zu übereifrig in ihrer bildlichen Darstellung. Die prinzipiellen Themen von Dekadenz, gesellschaftlicher Gewichtung, und die Perversität von körperlichen Normen, rücken durch die Schocksequenzen immer wieder drastisch in den Hintergrund. Es macht „The Ugly Stepsister“ nicht uninteressanter, er verliert immer nur ein klein wenig an Substanz. Dennoch macht es schon jetzt auf die eine oder andere Weise Lust auf Emilie Blichfeldts nächstes Projekt. Vielleicht gibt es dann die weitgehend unbekannte, aber ursprüngliche Auflösung des Märchens, in der die Stiefmutter in glühenden Schuhen tanzen muss, bis sie tot umfällt.
Darsteller: Lea Myren, Ana Dahl Torp, Thea Sofie Loch Næss, Flo Fagerli, Isac Calmroth u.a.
Regie & Drehbuch: Emilie Blichfeldt
Kamera: Marcel Zyskind
Bildschnitt: Olivia Neergaard-Holm
Musik: John Erik Kaada, Vilde Tuv
Produktionsdesign: Klaudia Klimka-Bartczak, Sabine Hviid
Norwegen, Dänemark, Schweden, Polen, Rumänien
2025
109 Minuten