VERMIGLIO

Vermiglio - © Piffl Medien– Bundesstart 24.07.2025
– Release 19.09.2024 (ITA)

Vermiglio ist ein kleines Dorf in der italienischen Provinz Trient. Es ist 1944 in der Alpenregion, wenn der Deserteur Pietro in Vermiglio Unterschlupf findet. Es gibt unterschiedliche Meinungen zu einem Deserteur im Allgemeinen, dennoch lässt sich die Dorfgemeinschaft wegen Pietro nicht spalten. Sehr schnell findet Lucia Gefallen an dem adretten Fremden. Lucia ist eine der Töchter von Dorflehrer Cesare. Seine Frau, Lucias Mutter, ist mit Arbeit und der unüberschaubaren Anzahl von Kindern beschäftigt. Und dies definiert auch die Zeit und die Gebirgswelt in Vermiglio. Es ist eine rigoros patriarchische Welt. Es gibt keine Auseinandersetzungen in der Familie, keinen Streit in der Gemeinschaft. Alle kennen ihren Platz im Gefüge. Das ist aber nicht das Bedrückendste in Maura Delperos viertem Spielfilm. Es ist die Ruhe die damit einhergeht. Eine bedrückende Ruhe. Und die Filmemacherin, mit tiefen Wurzeln in der gezeigten Region, inszeniert ihren Film auch auf dieser Ruhe.

Leicht übertrieben, aber wirklich nur leicht, hat Delperos Drehbuch vielleicht gerade einmal drei Seiten Dialog in den 113 Minuten – ohne Abspann. Sie kann auch ohne Gesprochenes sehr gut erzählen. Was „Vermiglio“ aber auch nicht einfach macht, der in seiner Beschaulichkeit, mit seinen ungewöhnlich langen Einstellungen, und seiner inszenierten Melancholie wirklich nicht jeden Geschmack treffen wird. Der Film ist lang, und seine Regisseurin versinnbildlicht damit auch die Abgeschiedenheit und das sehr einfache Leben in Orten wie diesen. Pietro, der Fremde im Gefüge, hält um die Hand von Lucia an, sie heiraten und bald ist ein Kind unterwegs. Hier entsteht keine Spannung, kein Drama, keine gelöste Stimmung. Es ist, wie es ist, und wie es denn auch sein soll. Eine nüchterne Betrachtung einer sehr nüchternen Lebensweise.

Als der Krieg zu Ende ist, wird Pietro nach Sizilien zu seiner Familie geschickt, er soll seiner Mutter zeigen, dass er am Leben und wohlauf ist, und er zurückkehrt, wenn Lucia das gemeinsame Kind auf die Welt bringt. Und damit beginnt das eigentliche Drama, das Maura Delpero aber für die Zuschauenden nicht als solches inszeniert, auch wenn einige der Protagonisten in tiefe Gefühlswelten gestürzt werden. Sie lässt die Menschen jenseits der Leinwand lediglich beobachten. Inwieweit man sich emotional involvieren lässt, bestimmt das Publikum für sich selbst. Was oft nicht einfach ist.

Vermiglio b - © Piffl Medien

Das gezeigte Vermiglio ist keine schöne Welt, kein einladender Ort. Der Film, und damit die gesamte Atmosphäre, ist geprägt von Mikhail Krichmans beinahe monochromatischer Bildgestaltung. Krichman erzielt hier das exakte Gegenteil von der wild dynamischen Kameraführung seiner vorherigen Arbeit „The End“. Zwischen Eisblau und Grau dominiert der Farbton in allen Tag- und Außenaufnahmen. Selbst bei blendende Sonnenschein sind Farbpalette und der Kontrastumfang stark zurückgenommen, die Bilder wirken ausgewaschen. In den Abend- und Nachtaufnahmen gibt es blass orangenen Kerzenschein oder Fackellicht. „Vermiglio“ ist ohne eine künstliche Lichtquelle gedreht. Dafür hat Krichman jede Einstellung wie ein Gemälde gestaltet.

Es sind aber keine Gemälde die man sich an die Wände hängen möchte. Auch wenn die Alpen ein mächtiges Panorama bilden, oder die blass grünen Felder endlos scheinen, die Schneelandschaft imposant unberührt bleibt. Die Tristesse in der Abgeschiedenheit wird mit den langen Einstellungen manifestiert. Man kann sich auch in den stehenden, ausgedehnten Bildern verlieren – eine bewegte Kamera gönnt sich der Film kaum. Es geschieht immer etwas in diesen ‚Gemälden‘, dennoch kann man gleichzeitig auch erkunden, Details erfassen, die Stimmungen intensiver aufnehmen.

Maura Delpero hat ihr Buch nach Überlieferungen aus der eigenen Familie verfasst. Bei allen Frauen wird der Gedanke an Selbstbestimmung spürbar, aber der Film wird nicht zum Appell gegen das Patriarchat. Kein Zweifel, dass der Filmemacherin ein ausgezeichnetes Zeitkolorit gelungen ist. Und man darf ihr durchaus hoch anrechnen, dass sie auf die obligatorischen Mechanismen von manipulativer Dramatisierung verzichtet. Auch das macht „Vermiglio“ nicht zugänglicher, aber er sticht heraus. Durch seine bewusste Nüchternheit bildet er einen gelungenen Gegenentwurf zu den Werken, die eine schwierige Epoche in einer unwirklichen Gegend, ihrer Geschichte durch Verklärung und Übersteigerung jener Zeit nicht gerecht werden.

Vermiglio a - © Piffl Medien


Darsteller: Martina Scrinzi, Tommaso Ragno, Roberta Rovelli, Charlotta Gamba, Guiseppe De Domenico u.a.

Regie & Drehbuch: Maura Delpero
Kamera: Mikhail Krichman
Bildschnitt: Luca Mattei
Musik: Matteo Franceschini
Produktionsdesign: Pirra, Vitto Giuseppe Zito
Italien, Belgien, Frankreich / 2024
119 Minuten

Bildrechte: PIFFL MEDIEN
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Im Kino gesehen abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar