QUAND VIENT L’AUTOMNE
– Bundesstart 28.08.2025
– Release 02..11.2024 (FR)
Es ist 22 Jahre her und 19 Spielfilme später, und das erste was einem bei dem Namen des Filmemachers François Ozon in den Sinn kommt ist „8 Frauen“. Das macht aber nicht einfach nur das Ensemble, besetzt mit der weiblichen Crème de la Crème des europäischen Kinos. Es war, und ist, und wird wahrscheinlich so bleiben, Ozons Blick auf die weibliche Seele. Ungeschönt und nicht verklärt, aber dennoch in ihrer strahlenden Einmaligkeit. Die männlichen Rollen in „Wenn der Herbst naht“ sind der junge Enkel Lucas, als Objekt von befreiender Kompensation, und der frisch aus dem Knast entlassene Vincent, ein Spielball für selbstsüchtige Entscheidungen. Die Männer in diesem Film, wie in vielen Filmen von François Ozon, sind bessere Mittel zum Zweck. In diesem Fall für die in die Jahre gekommene Michelle. Michelle kümmert sich um ihren Garten, liest viel, nimmt sich Zeit zum kochen. Es scheint oberflächlich gesehen ein beschaulicher Ruhestand. Aber bei der fantastischen Hélène Vincent als Michelle, spürt man in jeder Einstellung eine tiefer liegende Unruhe.
Michelle erwartet ihre Tochter Valérie und deren Sohn Lucas, der den Sommer bei Michelle verbringen soll. Es dauert seine Zeit, bis Ozon seinem Film in Schwung bringt. Das macht – so ehrlich muss es gesagt werden – die ersten zwanzig Minuten etwas anstrengend, weil das Szenario banal und belanglos erscheint. Michelle trifft ihre Freundin Marie-Claude. Michelle kocht und isst. Michelle geht mit Marie-Claude Pilze sammeln. François Ozon scheint sein Publikum strapazieren zu wollen. Aber dann kommen Valérie und Lucas bei Michelle an. Und sensationell hassenswert präsentiert Ludivine Sagnier die Tochter als undankbares, gieriges und kaltes Miststück. In diesen Momenten verändert sich der Ton des Films zunehmend.
Jérôme Alméras hat das jüngste Werk des Filmemachers in nüchternen, naturalistischen Einstellungen fotografiert. Das zahlt sich in der zweiten Hälfte mehr aus, als in den ersten – vermeintlich – steifen Minuten. Aber Ozon ist ein Erzähler, ein sehr guter Erzähler. Deswegen sollte an dieser Stelle auch nicht mehr verraten werden als Valéries erster Auftritt, weil jedes weitere Wort und jede ausschmückende Erklärung, der Erzählung entgegenwirken würde. Zumindest kristallisiert sich heraus, das Erzähler Ozon mit den ersten unscheinbaren, und etwas zäh fließenden Minuten lediglich eine emotionale Grundlage für eine Menge Überraschungen gelegt hat.
Die ruhige Inszenierung verbietet sich aber irgendwelche Paukenschläge. Überraschungen und neue Erkenntnisse lenken die Handlung immer wieder in andere Richtungen, aber diese schleichen sich immer über die Hintertür herein. „Ach was“ ist dabei eine ständige Reaktion. In Michelle und Valéries Beziehung ist nie das Offensichtliche zutreffend. Ozon hat dennoch keine Interesse daran, neue Ausrichtungen zum dramatischen Spektakel aufzublasen. Und wenn Vincent, der Ex-Insasse, mehr in die Handlung einbezogen wird und an Bedeutung gewinnt, dann wird auch jede Art von Wendung möglich – aber mit trügerischer Ruhe und bitterbösem Charme. Ozon lässt sich dabei aber nicht in die Karten schauen, wie sich am Ende die Erzählung auflösen wird.
François Ozons „Wenn der Herbst naht“ ist aber kein Krimi, noch viel weniger ist er Thriller. Aber wie so oft, verweigert sich der Filmemacher auch dem klassischen Drama. Es ist ein sorgsam gesponnenes Psychogramm, das trotz seiner sensiblen Themen von Schuld, Sühne, Verlust, und Anspruch, immer wieder mit einem Augenzwinkern unterhält. Und man versteht, warum der längere Einstieg genau so sein musste. Ein attraktives Kunstwerk über reale Menschen, mit eigenwilliger Vergangenheit, aber echt und überzeugend. „Wenn der Herbst naht“ wird „8 Frauen“ als François Ozons Aushängeschild nicht ablösen. Der Blick lohnt sich aber allemal.
Darsteller: Hélène Vincent, Josiane Balasko, Ludivine Sagnier, Pierre Lottin, Garlan Erlos u.a.
Regie: François Ozon
Drehbuch: François Ozon, Philippe Piazzo
Kamera: Jérôme Alméras
Bildschnitt: Anita Roth
Musik: Evgueni Galperine, Sacha Galperine
Produktionsdesign: Christelle Maisonneuve
Frankreich / 2024
104 Minuten