– Bundesstart 19.06.2025
Preview, DCM Digitales Kino, 02.06.25
Isabell ist Architektin, arbeitet aber als Maklerin für Immobilien. Die Frau mittleren Alters schafft es nicht, sich um ihre gebrechlichen Eltern zu kümmern. Anja verliert ständig ihre Anstellung bei Mindestlohn-Jobs. Die junge Frau kann sich kaum um ihre kleine Tochter Greta kümmern. Ina Weisse ist die Regisseurin. Sie hat die Rollen von Isabells Mutter und Vater mit ihren eigenen Eltern besetzt. Inas Vater Rolf ist ebenfalls angesehener Architekt und hatte einen Schlaganfall, wie Rolf im Film. Die zwei Protagonistinnen führen ein Leben, dass sie eigentlich meistern müssten, aber immer wieder knapp scheitern. Mit dem Wissen um Ina Weisses Eltern, wirft es während des Films immer wieder die Frage auf, ob der Film nicht vielleicht eine Reflexion über einen unerfüllten Lebensplan der Regisseurin sein könnte. „Zikaden“ ist ein Film ohne wirklichen Anfang und einem kaum befriedigendem Ende. Aber er ist starkes Schauspielkino, dem allerdings eine Geschichte fehlt.
„Zikaden“ spielt hauptsächlich im ländlichen Brandenburg, nicht weit von Berlin. Es ist Sommer, der die Landschaft mit Sonnenlicht flutet, welches in seiner Intensität die Farben fast schon wieder stumpf wirken lässt. Vielleicht daher der Filmtitel, so genau lässt sich das nicht feststellen. Letztendlich ist es auch egal. Es geht um zwei Frauen die gesellschaftlich und in Bildung nicht weiter voneinander entfernt sein könnten, und sich aber in ihrer Verletzlichkeit unglaublich nahe sind. Nina Hoss und Saskia Rosendahl sind Phänomene, die allein mit ihrer Präsenz die Spannung halten. Und sie können die äußere Stärke, aber innere Verunsicherung ihrer Figuren perfekt übertragen.
Die polnischen Pflegekräfte für Isabells Eltern sind eher zweckdienlich als menschenwürdig. Und Anja findet nur Jobs, die eine vernünftige Umsorgung für Greta fast unmöglich machen. Isabells Mann Philipp erträgt die Bevormundungen seiner Frau nicht mehr. Bei Anja sitzt das Jugendamt im Nacken. Die Filmemacherin verweigert aber ihrem Publikum eine klare Beschreibung über ihre Figuren. Wie konnten sie in ihre augenblickliche Situation kommen, und wo würden sie gerne hingehen. Irgendetwas scheint immer zu fehlen. Entweder den Protagonistinnen, oder den Zuschauenden. Im Publikum kommt man gar nicht erst in Versuchung, die Handlungsweisen oder Entscheidungen von Isabell und Anja zu bewerten. Wie im richtigen Leben, ist auch hier vieles im Ungenauen. Aber die Regisseurin zwingt uns zu hinterfragen.
Ein Element ist das Ferienhaus, dass Vater Rolf in den Siebzigern geplant und gebaut hat, und das Isabell nun verkaufen muss. Der vom Schlaganfall schwer betroffene Rolf will es aber nicht verkaufen. Das Haus wurde so entworfen, dass jeder Raum individuell genutzt und bewohnt werden kann. Eine Art Freiheit in der eigenen Enge des Lebens, die es aber für Rolf nicht mehr geben wird. Der Weg des Vaters ist endgültig gezeichnet, während Isabell sich nach einer klaren Linie in ihrem Leben zu sehnen scheint. Das Traumhaus als verstohlene Metapher. Bis Anja dieses Konstrukt stark ins Wanken bringt.
Mit der Verweigerung, sich den Kompositionen des populären Kinos zu ergeben, inszeniert Weisse auch immer an den Erwartungen von gewohnten Erzählstrukturen vorbei. Das Offensichtliche in der Beziehung von Isabell und Anja erfüllt sich genauso wenig, wie auch der sonst zu erwartende Verlauf so einer Geschichte viel zu spät einsetzt – um dann zusätzlich gegen den Strich gebürstet zu werden. Sich auf diesen Film einzulassen, bedeutet sich auf zwei sehr starke, weil einnehmende Darstellerinnen einzulassen. Nach außen hin gefestigt, lässt Nina Hoss gleichsam eine stete Zerbrechlichkeit erkennen. Hinter Saskia Rosendahl zu beobachtender Unsicherheit, spürt man eine Frau mit trotzigem Selbstbewusstsein. Die Geschichte selbst ist weniger zugänglich – die Damen und ihre Figuren sind es auf bemerkenswerte Weise.
Darsteller: Nina Hoss, Saskia Rosendahl, Vincent Macaigne, Thorsten Merten und Greta u.a.
Regie & Drehbuch: Ina Weisse
Kamera: Judith Kaufmann
Bildschnitt: Hansjörg Weißbrich
Musik: Annette Focks
Produktionsdesign: Petra Ringleb
Deutschland / 2025
100 Minuten