THUNDERBOLTS*

THUNDERBOLTS - © MARVEL 2024– Release 01.05.2025 (world)

Kaum jemand geht noch unbefangen und aufrichtig optimistisch in einen Film des Marvel Cinematic Universe. Die verhaltene Qualität der Multiverse-Saga, also die vierte und fünfte Phase, beginnend mit „Black Widow“, bescherte schwankende Unterhaltungswerte und eine tatsächlich ermüdende Routine. Es gab drei starke Ausreißer, doch jeder jeweils nachfolgende Film barg die Gefahr des erschreckenden Debakels. Und jetzt kommt „Thunderbolts*“, mit all jenen Figuren die in anderen Marvel-Filmen die miesen Schurken waren, und als nettes, manchmal nervendes Beiwerk fungierten. Da musste man sich schon was einfallen lassen. Und Eric Pearson („Black Widow“) und Joanna Calo („The Bear“) haben sich etwas einfallen lassen. Sieht man sich rückblickend die Entwicklung der Produktion an, hätte sehr viel schieflaufen können. Doch Regisseur Jake Schreier (TVs-„Beef“) hat einen Film gemacht, bei dem man das gleiche aufregende Gefühl und die immense Freude verspürt, wie seinerzeit, als man das erste Mal die versammelten „Avengers“ gesehen und erlebt hat.

„Thunderbolts*“ ist so erfrischend unbefangen und herrlich losgelöst, dass einem wirklich selbst ein Gefühl der Unbefangenheit überkommt. Und dies, obwohl sich der Film aus vielen Details, etlichen Komponenten und Figuren aus diversen anderen MCU-Produktionen zusammenfügt. Wie die Black Widow Yelena Belova, tödliche Kampfmaschine und Agentin im Sold der skandalträchtigen CIA-Chefin Valentina Allegra de Fontaine. Es soll Yelenas letzter Auftrag sein – jener berüchtigte letzte Auftrag. Der endet selbstredend mit anderen Schurken in einer Todesfalle. Wie der in Ungnade gefallene Ex-Captain America John Walker und Ant-Man Gegnerin Ghost, Ava Starr, sowie der mysteriöse Bob. Später gesellt sich noch Yeleneas Vater Alexei als Red Guardian dazu, und der Kongressabgeordneter und Winter Soldier Bucky Barnes.

„Thunderbolts*“ ist eines dieser äußerst raren Beispiele, wo man in finsteren Situationen schmunzeln kann, und in heiteren Momenten auch sehr viel emotionale Tiefe steckt. Aber Drama und Tragödie werden von Jake Schreier nie als übersimblifizierte Tränendrüse inszeniert, sondern mit extrem viel einnehmendem Gefühl für die Figuren. Und der Humor verzichtet auf jede Art von billigen Schenkelklopfern. Gags und Pointen werden auch nicht auf Kosten der Charaktere gemacht, sondern gehen von ihnen selbst aus, oder entstehen durch ihr unfreiwilliges Miteinander. Bei anderen Filmen gelingt die Balance zwischen glaubwürdigem Charakterkino und Superschurken-Spektakel nur selten. Aber diese Thunderbolts sind mit Abstand die tragischsten Figuren im MC Universe bisher, die aber ebenso überzeugende Action bieten, was durch ihr gegenseitiges Misstrauen und ihre naturgegebenen Feindseligkeiten auch immer wieder gegen sie zurückschlägt. Keine überdramatisierten Figuren durch die sich Handlungsmotive rechtfertigen lassen. Sondern reale Menschen, die sich in der Handlung zurechtfinden müssen.

Yelena, Ava, Alexei, John, Bucky und Bob, dass sind Charakter die bewegen, um die man sich sorgt, für die man weit über ihren Anti-Heldenstatus hinaus votiert. Jeder von ihnen hat tiefe, seelische Wunden. Geplagt von Schuld und Einsamkeit. Und entgegen üblicher Genrefilm-Norm wagt es Jake Schreier diese Verunsicherung auch ernsthaft zu behandeln, nicht nur anzudeuten oder mit Humor aufzubrechen. Was aber mit einem Kaliber wie Florence Pugh ungemein leicht gelingt, die als Power-Frau schon immer auch verletzlich war, oder als Mauerblümchen wahre Stärke demonstrieren konnte (Sie bestand darauf, in Kuala Lumpur den Wolkenkratzersprung aus 850 Metern selbst zu absolvieren). Ihr bemerkenswertes Charisma ist auch unbestreitbar das Herz des Films.

THUNDERBOLTS b - © MARVEL 2024

Ein starkes Herz verdient einen kräftigen Körper, den Pugh mit David Harbours enthusiastisch überdrehten Alexei, Hannah John-Kamens klassisch supercoolen Ghost, und Lewis Pullmans verwirrtem und rätselhaften Bob gefunden hat. Und selbst Wyatt Russell gelingt es, sich als etablierter Unsympath langsam das Vertrauen des Publikums zu erschließen. Es sind nur die verkorksten Helden untereinander die sich nicht vertrauen, die sich immer wieder selbst im Weg stehen, und wegen ihres eigenen Unvermögens auch ständig zu scheitern drohen. Da hat die herrlich fiese, stets überraschende Valentina Allegra de Fontaine ein fast schon leichtes Spiel. Auch wenn es ihr vierter Auftritt ist, die niederträchtige Bosheit von Julia Louis-Dreyfus ist einfach wundervoll.

Natürlich kommt die Action nicht zu kurz. Aber kürzer als man erwarten würde. Dafür sind Explosionen, Schießereien und Prügelorgien umso ansehnlicher choreografiert. Schreier will sich nicht im Spektakel mit anderen messen, er will es solide und nicht überzogen. Und diese Rechnung geht in der Gesamtstruktur des Films durchaus auf. Der Wunsch nach mehr ist besser als die Ermüdung. Hier zeigen sich Angela Catanzaro und Harry Yoon in der Montage als besonders geschickt. Sie schneiden sehr zügig, aber ebenso elegant flüssig. Die Orientierung bleibt stets gewahrt. Aber auch in den Charakter- und Dialogszenen hebt der Schnitt stets die Reaktionen und wortlosen Interaktionen heraus, was die phänomenale Dynamik unter den Darstellern noch präzisiert.

„Thunderbolts*“ ist weder der aufregendste noch der lustigste, weder der schnellste noch der originellste Superheldenfilm des MCU. In der Bildgestaltung verzichtet Andrew Droz Palermo sogar weitgehend auf große spektakuläre Bilder, oder epische Szenerien. Die Farbpalette ist ziemlich zurückgefahren, wo man sich vielleicht etwas lebendigere Aufnahmen gewünscht hätte. Palermo täuscht sehr geschickt einen kleineren Film vor, der dadurch aber auch nahbarer scheint. Ja, es gibt viele kleine und vielleicht auch größere Details, die „Thunderbolts*“ davon abbringen perfekt zu sein. Aber Jake Schreiers Film ist in der langen Liste von 35 Filmen des MCU einer der ganz wenigen, die aus diesem Universum heraus echt, ehrlich und absolut unverbraucht erscheinen.

Die Easter-Eggs, Querverweise und Zitate, es ist alles da. Und doch entsteht nie das Gefühl, als wäre das entscheidend. Es zählt nicht die Abhandlung vergangener Ereignisse oder die Vorbereitung auf kommende Attraktionen. Für Jake Schreier und seine Autoren ist nur das hier und jetzt wichtig, diese spezielle Erzählung. Es ist kein perfekter Film, doch er ist in sich ein absolutes Juwel. Hochdramatisch, aufwühlend und unglaublich unterhaltsam. Filmtechnisch muss es nicht perfekt sein, es kommt darauf an, wie es Herz und Verstand anspricht.

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THUNDERBOLTS b - © MARVEL 2024


Darsteller: Florence Pugh, Julia Louis-Dreyfus, David Harbour, Lewis Pullman, Sebastian Stan, Hanna John-Kamen, Geraldine Viswanathan u.a.

Regie: Jake Schreier
Drehbuch: Eric Pearson, Joanna Calo
Kamera: Andrew Droz Palermo
Bildschnitt: Angela M. Catanzaro, Harry Yoon
Musik: Son Lux
Produktionsdesign: Grace Yun
USA / 2025
126 Minuten

Bildrechte: MARVEL 2025
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