EENIE MEANIE

Eenie Meanie - © 20th Century Studios– HULU via DISNEY+ 23.08.2025

Weiß zu fantastischen Grauzonen verschwimmen. Eine Verbrechergeschichte ohne aufrechte Polizisten oder undurchsichtige Detectives. Shawn Simmons setzt den Ton für seinen Film mit einem der treffsichersten Eröffnungssequenzen seit langem. Eine kurzweilige Sequenz überlagert von dem ununterbrochenen Wortgewitter des wundervollen Steve Zahn. Er ist Vater der 14-jährigen Edie, die ihre beiden sturzbetrunkenen Eltern nachhause fahren muss – und natürlich in eine Polizeikontrolle gerät. „Wie ich es dir beigebracht habe, …drück drauf“ sind Vaters Worte, in die unterbrechende Schwarzblende hinein. Trotz abruptem Aus ist nicht schwer zu erraten, was Edie in jener Nacht getan haben muss, bevor der Film 14 Jahre später wieder einsteigt. Deswegen haben wir letztendlich eingeschalten.

An dieser Stelle die Handlung auszubreiten, würde nicht wirklich erklären, mit was sich der Film im Kern auseinandersetzt und worauf er letztendlich hinarbeitet. Edie fährt keine Fluchtwagen mehr, ist auf dem Weg ihren College-Abschluss nachzuholen, und hat einen ehrlichen Job. Aber da ist ihr unzuverlässiger, leicht reizbarer Ex-Freund John, von dem sie sich losgesagt hat, aber nicht loskommt. Und jetzt ist John dem Gangsterboss Nico, gleichzeitig Edies ehemaligem Mentor, 3 Millionen Dollar schuldig. Natürlich will es der Zufall, dass ein Casino-Raub ansteht. Und mit ihrem Geschick am Lenkrad, könnte Edie bei diesem Raub die Schulden von John wieder reinfahren.

Eines muss gesagt werden, die Autoverfolgungen, und davon gibt es leider zu wenig, sind tadellos umgesetzt. Es mag in anderen Filmen aufregendere Jagden geben, aber hier sind sie dafür glaubwürdiger inszeniert. Und schnitt- wie kameratechnisch sind die Autoszenen derart raffiniert umgesetzt, dass wirklich der Eindruck entsteht, Samara Weaving würde tatsächlich selbst fahren. Aber überraschenderweise wird es wesentlich interessanter, was zwischen diesen Actionsequenzen mit den Figuren passiert.

Die Dialoge sind vielleicht nicht so geschliffen, wie man es aus den besseren Vertretern des wortreichen Gangsterfilms kennt – Stichwort Steven Soderbergh. Aber Shawn Simmons‘ Figuren haben etwas zu sagen. Der Film geizt nicht mit spitzen Zungen und markigen Sprüchen, aber im Inneren von Weavings Edie oder Andy Garcias Nico geht es tiefer. Es rechtfertigt nicht ihre Gesetzlosigkeit, aber es erklärt ihr Unvermögen loslassen zu können. Es ist Andy Garcias eindringlichste Rolle seit langem. Kein hinterhältiger Gangster mit psychopathischen Tendenzen. Nico ist ein grundsolider, wenngleich krimineller Geschäftsmann, ohne eigenartige Wesenszüge. Garcia besitzt dieses viel zu wenig genutzte Vermögen, ohne überzogene Allüren als Gangster ernstgenommen zu werden, aber gleichzeitig Mensch zu bleiben. Garcias Wortwechsel mit Mark O’Malley, als dessen Lakai George, sind brillante Schauspielkunst.

Eenie Meanie 2 - © 20th Century Studios

Mittelpunkt ist natürlich Edie, eine Frau, die im Verlauf des Films zu bitteren Erkenntnissen kommt, während sie gute Entscheidungen treffen muss. Samara Weaving ist eigentlich ein Star, ihr fehlt nur noch der dazugehörige Film, wie sich mit „Eenie Meanie“ erneut zeigt. Dieser scheidet selbstredend als Bahnbrecher aus, weil es ein Genrefilm ist, und noch dazu im Streaming verheizt wird. „Eenie Meanie“ hat auch zu wenig Blockbuster-Qualitäten, um allgemeiner aufzufallen. Aber er hat viele coole Sprüche, ist bitterböse und witzig, überzeugt als ansprechendes Drama, und hat aufregende Action (eine Autoszene ist jetzt schon Legende).

Es ist Shaw Simmons scharfsinnige Regie, die all diese wechselnden Attribute schlüssig ineinanderfließen lässt. Doch es ist Samara Weaving die in ihrer Rolle als Edie alles zusammenhält, sie trägt das große Drama, führt dies aber auch stimmig in den absurden Witz. Warum Edie überhaupt an einem unverbesserlichen Verlierer wie John festhält, ist auf dem Papier nicht nachvollziehbar, mit Weaving gewinnt es aber an vielschichtiger Authentizität. Sie ist eine komplexe Figur, mit der es viel zu lachen gibt, aber auch einiges zu weinen. Und man fühlt sich emotional mit ihr verbunden, auch wenn sie von fragwürdigem Charakter ist. Aber es ist nicht das für solche Filme übliche Zugeständnis an eine Figur, die für unkonventionelle Unterhaltung gegen die Normen gebürstet wird. Wir votieren für Edie weil sie mit Samara Weaving echt wird.

Simmons vergisst darüber aber nie, was für einen Film er machen wollte. Und diesen Film liefert er mit faszinierendem Selbstverständnis, dass er sogar im letzten Drittel eine ungewöhnliche Richtung einschlagen kann, die tatsächlich unerwartet ist, und sich dennoch als absolut natürliche Entwicklung kristallisiert. Atmosphärisch von „Stranger Things“-Kameramann Tim Ives fotografiert, bekommt „Eenie Meany“ eine dem Milieu angepasste, stimmige Atmosphäre. Doch es ist Chris Pattersons unglaublich präziser Schnitt, ob in der rasanten Action oder den ruhigen Charakterszenen, die den Film richtiggehend atmen lässt. Es ist bestimmt kein „Italian Job“ oder „Killing Them Softly“, kein Steven Soderbergh oder Guy Ritchie, aber ganz sicher hat Shaw Simmons aus vielen Versatzstücken etwas überraschend Eigenständiges geschaffen.

Eenie Meanie 1 - © 20th Century Studios


Darsteller: Samara Weaving, Karl Glusman, Andy Garcia, Mike O’Malley, Steve Zahn u.a.
Regie & Drehbuch: Shawn Simmons
Kamera: Tim Ives
Bildschnitt: Chris Patterson
Musik: The Haxan Cloak (Bobby Krlic)
Produktionsdesign: Cece De Stefano
USA / 2025
106 Minuten

Bildrechte: 20th CENTURY STUDIOS
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