Vince Gilligan – PLURIBUS

Pluribus - © Apple TV+– seit 07.11.2025 Apple TV+
– Staffel 1 = 10 Episoden
– Staffel 2 bereits bestellt

Aus 600 Lichtjahren Entfernung erreicht die Erde endlich ein Signal außerirdischen Ursprungs. Nach Monaten verzweifelter Forschung wird die Nachricht entschlüsselt – ob zum Vor- oder Nachteil der Menschen, liegt im Auge des Betrachters. Am besten beschreibt es sich als Virus, der die ganze Menschheit im Geiste vereinigt. Jeder und Jede kennt die Gedanken und hat das Wissen von Jeder und Jedem. Die ganze Menschheit? Nein, als geistiges Individuum bleibt Carol Sturka, eine verbitterte, unglückliche, und jähzornige Erfolgsautorin einer Romantasy-Serie, die sie als ‚anspruchslosen Scheiß‘ beschreibt. In einer Welt, in der sich niemand des kollektiven Glücklich seins erwehren kann, bleibt ausgerechnet die unglücklichste Frau auf diesem Planeten zurück. Der Anfang nimmt Anleihen bei „Contact“, und die Prämisse liest sich wie „Invasion of the Body Snatchers“. Allein vom Gedanken wären diese Deutungen möglich, aber „Pluribus“ ist von Vince Gilligan.

Und Gilligan bringt so viel Inspiration und Energie in die ersten beiden Folgen, dass er solche Vergleiche durchaus auch zulässt, diese aber in seiner eigentlichen Umsetzung vollkommen verwischen. Vince Gilligan ist der Mann der die Hälfte aller „Akte X“-Episoden produziert hat, und dabei einer der drei umtriebigsten Autoren der Serie war. Der Mann, der mit „Breaking Bad“ Fernsehgeschichte geschrieben hat. Der Mann, der mit „Better Call Saul“ die bisher beste Spinoff Serie realisierte. Gerade mit dem vorgeschobenen Science Fiction Charakter wird „Pluribus“ zu einer profunden Betrachtung über das Wesen von Menschlichkeit und das Glück über ein kollektives Verständnis – und einer Person die darin fehl am Platz ist.

Wie der verschmähte Fox Mulder, wie der verzweifelte Walter White, wie Jimmy McGill, der nie seinem Lügengeflecht entfliehen darf. Carol Sturka ist die unglücklichste Person auf der Welt, und vollkommen allein mit ihren Gefühlen. Diese Carol ist wohl die bisher komplexeste Figur im kreativen Kosmos des Vince Gilligan. Eine Frau die sagt was sie denkt, auch wenn sie es nicht sollte. Die Fehler macht, und nicht unbedingt dazu steht. Der aber auch anzusehen ist, wie sie unter sich selbst leidet.

‚The Joining‘ – wie sich das Weltkollektiv selbst nennt – bringt mit seiner Schwarmintelligenz nicht nur Vorteile. Und Carol kann diese Situation durchaus rational einschätzen. Nur für den Rest der nun glücklichen Menschheit gibt es weder Einsicht noch einen Weg zurück. Dazu grätscht Carols zügelloses Temperament immer wieder in diese rationale Auseinandersetzung. Und damit geht auch eines der stärksten und emotionalsten Story-Elemente einher, welches Carol nur noch näher an den Abgrund des Zusammenbruchs treibt. Ein Überraschungsmoment, das auch bei allen Zuschauenden einen kalten Schauer über den Rücken laufen lässt. Was allerdings nur durch die einnehmende Strahlkraft von Rhea Seehorn gelingen kann.

Pluribus 2 - © Apple TV+

Rhea Seehorn hat sich schon durch „Better Call Saul“ als ausdrucksstarkes Wunder im Charakterfach bewiesen. Und sie ist das Herzstück von „Pluribus“, und auch in jeder Szene präsent. Seehorn ist hart, zerbrechlich, rational und emotional. Von einem Moment zum nächsten kann sie ihr Temperament wechseln, und bestimmt auch die Emotionalität jeder Szene. Und dahingehend bekommt sie als Carol unglaublich viel zu tun, wenn es durchweg um moralische Abwägungen und ethische Nuancen geht.

Es ist wesentlicher Teil von Gilligans Konzept, durchaus komplexe Fragen zu Mensch und Gesellschaft aufzugreifen, aber nicht unbedingt Lösungen anzubieten. Es fordert zu eigenen Perspektiven und persönlichen Gedankenspielen heraus. Und das funktioniert verdammt gut. Denn mit jeder neuen Folge werden neue Ansätze und Aspekte über eine gedanklich verschmolzene Welt eingeworfen, und über eine Welt, in der jemand das einzige Individuum sein würde. Es eröffnet die Frage, ob der Mensch tatsächlich für andauerndes Glück geschaffen ist. Oder will man als Einzelne/r wirklich das Wissen und Können aller in sich vereint. Auch wenn die Serie sequenziell erzählt wird, haben die einzelnen Episoden einen in sich geschlossenen Charakter. Bereits mit jeder der ersten Folgen taucht die Handlung tiefer und intensiver in das Szenario, folglich ist im Verlauf noch mit  profunderen Überraschungen zu rechnen.

Auch wenn Marshall Adams als ‚Director of Photography‘ aufgeführt ist, trägt „Pluribus“ eindeutig die visuelle Handschrift von Vince Gilligan. Er liebt Wüstenstaaten und ihre sonnengefluteten Weiten, in diesem Fall New Mexico. Und Adams Bilder machen die kargen Landschaften zu einem eigenen Charakter, der die Geschichte mit fast schon überirdischer Atmosphäre umhüllt. Lange Tracking Shots, ausladende Kameraschwenks, Drohnenflüge und extreme Weitwinkelbilder. Und eine stark reduzierte Schnittrate. Jede Einstellung nimmt so viel wie möglich an Umgebung wahr. Keine Sequenz hat auch nur einen Funken Anmutung von Kulisse. Als Zuschauer sieht man ständig wo man ist, und das an den Spielorten wirklich Leben herrscht.

Sich der Faszination von Erzählung und Darstellerin zu entziehen ist nur schwer möglich. Besonders Freunden von „The Leftovers“ oder „The Returned“ (das Serien-Original) dürfte bereits mit der ersten Folge warm ums Herz werden. Originell, witzig, mysteriös, böse, unheimlich, aber auch satirisch. Doch vor allem ist „Pluribus“ intelligent, und in seiner technischen, künstlerischen und inhaltlichen Umsetzung zum Zeitpunkt das anspruchsvollste Programm. An siebter Stelle der Streaming-Anbieter, wird es Apple TV schwer haben „Pluribus“ hinreichend bekannt zu machen. Die Hoffnung auf eine schnelle Freigabe weiterer Lizenzen scheint aber vergebens.

Pluribus 1 - © Apple TV+


Darsteller: Rhea Seehorn, Karolina Wydra, Carlos Manuel Vesga
Nebenrollen: Miriam Shor, Samba Shutte, Peter Bergman, Alexis Berent u.a.

„We is Us“ & „Lady Pirate“
Regie & Drehbuch: Vince Gilligan
Kamera: Marshall Adams
Bildschnitt: Skip Macdonald
Musik: Dave Porter
Produktionsdesign: Denise Pizzini
USA / 2025
„We Is Us“ 56 Minuten
Pirate Lady“63 Minuten

Bildrechte: APPLE TV+

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