Sam Mendes‘ 1917

1917 c, Copyright UNIVERSAL PICTURES INTERNATIONAL1917 – Bundesstart 16.01.2020

Es gibt zwei Dinge die man vielleicht in Erwägung ziehen sollte, wenn man seiner cineastischen Pflicht nachgehen wird, Sam Mendes‘ 1917 auf der großen Leinwand zu sehen. Zum einen muss man sich von der Erwartungshaltung verabschieden, der Film würde in Echtzeit spielen. Viele Schlagzeilen und Artikel propagieren das. Auch wenn 1917 wie in einem Stück inszeniert wirken soll, umfasst der Handlungszeitraum mindestens acht Stunden. Wie das zusammen geht, ist clever und Geschichten erzählen par excellence. Zum zweiten sollte man es tunlichst vermeiden, also wirklich Abstand davon nehmen, Bilder und Aufnahmen von den Dreharbeiten anzusehen, bevor man den Film gesehen hat. Sie werden es sich selbst danken. Und als dritter der zwei Punkte, dies ist wirklich ein Film für die große Leinwand. Egal wie groß ihr Fernseher, oder wie teuer ihr 5.1 Soundsystem ist. Vertrauen sie auf diese Worte.


Nach der bahnbrechenden und erschütternden Dokumentation THEY SHOULD NOT GROW OLD, hat nach Peter Jackson auch Filmemacher Sam Mendes eine Geschichte über den Großen Krieg gefunden, ebenfalls nach den Erlebnissen des Großvaters. Die Lance Corporals (vergleichbar mit dem niedrigsten Unteroffiziersgrad) Schofield und Blake sollen sich schnellstmöglich zur Frontlinie durchschlagen. Der Befehl in ihrer Tasche soll eine Offensive der eigenen Truppe verhindern, weil der Feind seinen Rückzug nur vorgetäuscht und dafür einen Hinterhalt geplant hat. Sollten Blake und Schofield nicht rechtzeitig den Befehl übergeben, wird es ein Massaker an 1600 britischen Soldaten geben.

Man könnte sagen, dass 1917 ein Kriegsfilm ganz nach dem Muster des aktuellen Kinos ist. Er ist dramatisch, brutal, ungeschönt, ohne stereotypen Helden und verweigert sich jeder Romantisierung durch das angeblich Gute im Menschen. Aber Mendes packt dennoch alles hinein, was eine ordentliche Mischung an Abenteuer und Action ausmacht. Feuergefechte, Granateneinschläge, Faustkampf, Spannungselemente, Verfolgungsjagden, die Zerstörung eines vermeintlich friedvollen Augenblicks. Doch es steht der beabsichtigten Aussage überhaupt nicht im Wege, dass Krieg niemals greifbar wird und solche Zeiten immer ihre eigene Widersprüchlichkeit mit sich tragen. Auch wenn hier der Feind ganz klar ist, und auch in Erscheinung tritt, löst sich das Gut und Böse auf. Im Moment der Konfrontation gibt es kein Recht und Unrecht, sondern nur auf beiden Seiten gleichermaßen verstörte und verzweifelte Menschen.

1917 b, Copyright UNIVERSAL PICTURES INTERNATIONALEin Krieg im Film hat immer etwas faszinierendes ebenso wie abstoßendes. Das war die weise Voraussicht in Mendes‘ Entscheidung der Film müsste aussehen, wie an einem Stück gedreht. Die suggestive Kraft dieses künstlerischen Kniffs entfaltet sich aber erst beim eigentlichen Ansehen. Und was man erlebt ist überwältigend. Der logistische Aufwand war atemberaubend. Wenngleich es jede Minute wert ist, bleibt die Produktion im Gedächtnis als alptraumhafter Wahnsinn. In der Vorproduktion konnten die Branchen nicht parallel arbeiten. Erst nach intensiven Proben, konnten die verschiedenen Sets entworfen werden. Nach diesen Entwürfen musste erneut geprobt werden, bevor die Kulissen gebaut werden konnten. An welchem Punkt im Drehbuch mussten die Darsteller an welcher Stelle im jeweiligen Set sein. Keine Kulisse ist zweimal zu sehen, die Kamera konnte immer nur vorwärts, sich aber niemals zurück bewegen.

Ein besonderes dramaturgischer Kniff, ist das zeitliche Raffen von mehreren Stunden auf die reinen zwei Stunden Leinwandzeit. Obwohl der Charakter eines ununterbrochenen Bildes beibehalten wird, und auch keinen Anlass gibt in Frage gestellt zu werden. Allen Ambitionen zum Trotz, muss sich Initiator Sam Mendes die Anmerkung gefallen lassen, dass dies ganz leicht in die Hose hätte gehen können. Die Dialoge sind auf den Punkt, die Länge der Szenen genau ausgewogen, das gesamte Team merklich höchst motiviert. Es hätte kein auch noch so kleines Zahnrad im Getriebe versagen dürfen.

1917 ist ein wirklich seltenes Exemplar von Film, bei dem man die geschlossene Leistung aller Beteiligten spürt. Doch dabei drängt sich keineswegs die Technik oder die künstlerische Finesse nach vorne. Auch wenn man Anfangs geneigt ist, allein durch die immense Vorberichterstattung, die technische Umsetzung zu durchschauen. Schon in den ersten Minuten wischen die überzeugenden Hauptdarsteller Dean-Charles Chapman und George MacKay solche Versuche beiseite. Selbstverständlich mit der unaufdringlichen Manipulation durch Szenenaufbau, Kameraführung und Bildausschnitt. Und spätestens bei der schon jetzt zum Klassiker avisierten Night-Window-Szene inmitten von flammenden Ruinen, wird man überwältigt von einer atemberaubenden Gewissheit, hier etwas ganz Besonderes zu erleben. Wo Musik und Bild zu purer Emotion verschmelzen.

Es hat schon Filme mit sehr großem Aufwand gegeben, die tatsächlich an einem Stück gedreht wurden, wie RUSSIAN ARC. Oder TIMECODE mit gleich vier Kameras und vier Handlungssträngen parallel. Aber keiner hat so intensiv mit den Versatzstücken und Konventionen den Mainstream-Kinos gespielt, um diese gleichzeitig zu brechen. Irgendwann wird es Leute geben, die felsenfest davon überzeugt sind, von 1917 im heimischen Wohnzimmer überwältigt gewesen zu sein, und das es auch so ein atemberaubendes Ereignis war. Nein. Zuhause ist es das sicherlich nicht.

1917 a, Copyright UNIVERSAL PICTURES INTERNATIONAL

Darsteller: George MacKay, Dean-Charles Chapman, Daniel Mays, Colin Firth, Pip Carter, Mark Strong u.a.
Regie: Sam Mendes
Drehbuch: Sam Mendes, Krysty Wilson-Cairns
Kamera: Roger Deakins
Bildschnitt: Lee Smith
Musik: Thomas Newman
Produktionsdesign: Dennis Gassner
Großbritannien – USA / 2020
119 Minuten

Bildrechte: UNIVERSAL PICTURES INTERNATIONAL
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