Colin McKenzie – Pionier

Colin, mit Bruder Brooke (sitzend)

Der vergessene Filmpionier

1995 feierte das biblische Epos SALOME seine Leinwandpremiere, 60 Jahre nach Beendigung der Dreharbeiten. Mit Finanzhilfen der New Zealand Film Commission war es möglich gewesen das sechzig Jahre alte, unsachgemäß gelagerte Filmmaterial zu sichten, restaurieren und zu schneiden.

Herausgekommen ist ein vierstündiges Meisterwerk, das den Ruf des Filmpioniers Colin McKenzie nicht nur festigt, sondern ihn in Expertenkreisen sogar über die Leistungen von D.W. Griffith und Sergei Eisenstein stellt. Aber in Zeiten von digitalen Filmprojektionen und 5.1 Raumklang verpuffen die Anstrengungen eines McKenzie sehr schnell. Technische Meisterleistungen relativieren sich über die Jahrzehnte. Und so ist Colin McKenzie im allgemeinen Bewusstsein der Filmindustrie nur eine Fußnote. Lediglich Historiker und fanatische Filmliebhaber werden sich seiner stets vom Unglück verfolgten Leistungen erinnern.

Colin McKenzie war 1888 in Geraldine, Neuseeland geboren. Sehr früh schon entdeckt der Junge seine Leidenschaft für mechanische Konstruktionen, was dadurch gefördert wurde, das sein Onkel einen Fahrradladen in Geraldine besaß. Als die Erfindung des Kinematographen auch in Geraldine bekannter wurde, war Colin so fasziniert von der Technik, dass er sich von diesem Augenblick an mit all seiner Leidenschaft dem Kino verschrieb.

Das Medium Kino war gerade mal 5 Jahre alt, da konnte man nicht im nächsten Laden eine Kamera kaufen. Colin McKenzie bastelte sich seine Eigene. Und er fand auch eine Lösung für einen mechanischen Antrieb, indem er seine Kamera auf ein Fahrrad montierte und über Kettenantrieb das Kamerasystem auslöste. Datiertes Filmmaterial zeigt McKenzies Versuche mit dieser Erfindung und gleichzeitig die erste, wenn auch unbeabsichtigte Kamerafahrt der Geschichte. Das war 1901, lange Jahre bevor Griffith die Kamera erstmals in Bewegung versetzte.

1927 gilt im Volksmund als das Jahr in dem der Tonfilm mit Jazz Singer Einzug hielt. Bereits fantastische 19 Jahre vorher, gelang es dem Erfindungseifer von Colin McKenzie, Bild- und Tonaufnahmen zu synchronisieren. Das Ergebnis war der Ein-Akter WARRRIOR SEASON von 1908. Doch das Dilemma dieses Dialog starken Kung Fu Filmes waren eben das Gesprochene. McKenzie hatte den Film mit chinesischen Gastarbeitern gedreht, die allesamt nur chinesisch sprachen. Das Publikum war durchaus fasziniert, verliess den Film aber nach nur ein paar Minuten, weil niemand verstand, was die Darsteller von sich gaben und worum es im Film ging. Die wahre Geburt des Tonfilmes wurde wie bei Kaspar Hauser, einfach weggesteckt.

Colin McKenzie und sein Bruder Brooke waren finanziell ruiniert, weil der Tonfilm sich nicht durchgesetzt hatte. Aber Colin gab nicht auf und experimentierte mit Chemie, weil er sich in den Kopf gesetzt hatte, dass Kinobilder wenigstens But sein müssten. Mit einer speziellen chemischen Mixtur gelangen 1912 hervorragende, naturgetreue Farbaufnahmen. Der Weg dorthin war allerdings beschwerlich, weil Teil der Mixtur ein Pflanzenextrakt war, von einer Beere, die nur auf Tahiti wächst. Colin und Brooke waren unverzüglich dorthin aufgebrochen, ihren Farbfilm hergestellt und direkt vor Ort die Probeaufnahmen gemacht. Die Aufnahme zeigt eine herrliche Landschaft mit einigen weiblichen Statisten. Der Film war überzeugend und die Mädchen, standesgemäß nackt.

Anstatt zu ruhmvollen Ehren ob ihrer fantastischen Erfindung, wurden die Brüder zu 6 Monaten Haft verurteilt, wegen des anstößigen Vorführmaterials mit entblößten Damen. Die Zeit schien eben noch nicht reif für den Farbfilm. Doch alle ihn in den Weg geworfenen Hindernisse bringen Colin McKenzie nicht von seiner Leidenschaft ab. Während seiner Haft wandelt sich Colins Interesse von der technischen Seite, hin zu den künstlerischen Aspekten. Er gibt bekannt, die biblische Geschichte Salome zu verfilmen. Wobei er sich in seine Hauptdarstellerin Maybell verliebt, ohne ihr diese Liebe zu gestehen.

Szene aus SALOME

Colin dreht mit riesigem Aufwand an SALOME, während sich sein Bruder ebenfalls in Maybell verliebt und diese beiden ein Paar werden, was Colin wohl geschmerzt hat, er aber hinnahm. Nach nur fünf Drehtagen verlassen alle Schauspieler den Drehort, weil kein Geld mehr da ist und Colin sie nicht bezahlen kann. Das Versagen mit den Finanzen, sowie das Ergebnis der verschmähten  Liebe stacheln Colin McKenzie nur noch mehr an. Salome soll Colins Lebenswerk werden.

Ohne eine Spur zu hinterlassen, verschwindet der Filmemacher 1915, um erst drei Jahre später wieder in der Öffentlichkeit zu erscheinen. Wortgewaltig verkündet er, das Salome als sein Lebenswerk, vier Stunden lang werden soll und den größten Aufwand mit sich bringen soll, den jemals ein Film benötigt hat. Das gesamte Filmteam und Tausende von Statisten ziehen in den Dschungel Neuseelands, wo der inzwischen fanatisch gewordene McKenzie wohl die letzten drei Jahre verbracht hatte. Dem Filmmaterial nach zu urteilen, muss dort in dieser Zeit eine gewaltige Filmkulisse errichtet worden sein, die alles, was man bisher im Kinematographen gesehen hat, in den Schatten stellte.

Colin mit (links) Stan -The Man- Wilson

Der erneute Beginn der Aufnahmen fällt in eine Regenzeit, die sechs Wochen anhält und in der nur drei Minuten Material gedreht werden können. Colin muss Geldgeber finden und wird mit Stan Wilson belohnt. Wilson und Colin entwickeln eine Filmserie, die der Vorläufer zur Versteckten Kamera ist. In verschiedenen Städten  geht Stan – The Man mit Sahnetorten  herum und schleudert diese unbedarften Passanten ins Gesicht. Colin filmt alles mit einer selbst entwickelten Koffer-Kamera. Die extrem unwitzigen Filme werden in den jeweiligen Städten vorgeführt, und bringen leidlich Geld ein. Kurios wird es in der Stadt Buller, wo Stan – The Man ausgerechnet dem Premierminister von Neuseeland, welchen er nicht erkannte, die Torte ins Gesicht wirft. Die anwesenden Sicherheitsleute prügeln daraufhin mit Schlagstöcken Stan Wilson zusammen und Colin hält mit der Kofferkamera drauf. Was in selber Situation und ähnlicher Kameraperspektive Jahrzehnte später bei Rodney King Krawalle in Los Angeles auslöst, wird für Colin McKenzie zum Kassenschlager. Der gemeine Neuseeländer will sehen wie der sonst so unlustige Stan Wilson zusammen geschlagen wird. Colin McKenzie verdient soviel Geld, um die Dreharbeiten an Salome wieder aufzunehmen.

Doch nach dem Regen kommt der heißeste Sommer seit dreißig Jahren nach Neuseeland. Die Schauspieler, die unendlich vielen Statisten und die Crew sind am Ende ihrer Kräfte und können nicht weiter arbeiten. Salome wird gestoppt.

Rex Salomon aus Hollywood, der mit seiner Firma Majestic Lion Pictures nur Bibelfilme dreht, möchte Salome weiter finanzieren. Inzwischen haben sich Hauptdarstellerin Maybell und Colin gefunden, verliebt und 1926 sogar geheiratet. Das Glück schien für McKenzie zu sprechen. Mit 15,000 Statisten und hunderttausenden von Dollar, mehr als jeder andere Hollywoodfilm bisher gekostet hat, geht Colin McKenzie zurück in den Dschungel zu der gigantischen Jerusalem-Kulisse. Der Regisseur legt soviel Enthusiasmus in seine Arbeit, der in unvorstellbaren Aufwand gipfelt. Rex Salomons gigantische Finanzierung ist in nur einem einzigen Tag aufgebraucht. Die Darsteller gehen wieder nachhause.

1930 erkennt Josef Stalin die Propaganda Möglichkeiten der Filmindustrie und nimmt mit Colin McKenzie Kontakt auf. Stalin möchte Salome fertigstellen, unter der Bedingung, dass alle Bezüge auf Religion und die Bibel aus dem Drehbuch gestrichen werden. Zeitgleich hat die kriminelle Vereinigung der Palermo-Brothers die Geschäfte des durch Salome ruinierten Rex Salomon übernommen. Die Palermo-Brothers forderten nun ihr Stück vom Kuchen Salome.

Der Perfektionist beim Sichten

Wie letztlich der Plan von Colin McKenzie aussah, den Palermo-Brothers eines auszuwischen und auch Josef Stalins Forderungen zu umgehen, konnte nie erforscht werden. Doch wie verrückt wurde im Dschungel gedreht, an dem Ort, von dem niemand wusste, wo er wirklich lag. Manisch peitschte Colin McKenzie das Team von Filmrolle zu Filmrolle, ohne Pausen, ohne freie Tage. Die Situation am Drehorte begann in Form von totaler körperlicher Erschöpfung bei der gesamten Crew zu eskalieren. Bis nur noch eine einzige Einstellung zu drehen war, das Ziel eigentlich schon erreicht. Colin McKenzies geliebte Maybell bricht vor der letzten Einstellung zusammen – und stirbt.

Für den Perfektionisten Colin McKenzie blieb Salome unvollendet. Unbemerkt verschwindet er 1931 mit unbekanntem Ziel aus Neuseeland. Das Filmmaterial von Salome war nicht auffindbar und galt als vernichtet. Erst Jahrzehnte später entdeckt man bei der Auswertung von filmischem Nachrichtenmaterial, das Colin im spanischen Bürgerkrieg als Reporter unterwegs war. In einer Sequenz ist zu sehen, wie ein Soldat verwundet wird, die Kamera scheinbar auf den Boden gelegt wird und Colin dem verwundeten Soldaten helfen will. Dann fällt eine zweite Salve von Gewehrfeuer, der auch der begnadete Filmpionier und geistreiche Erfinder Colin McKenzie zum Opfer fällt.

Eine Expedition von Filmexperten machte sich 1995 auf die Suche nach dem geheimen Standort der legendären Jerusalem-Kulisse und wurde fündig. Die Kulisse präsentierte sich dabei als um ein wesentliches größer als man nach alten Fotos gewagt hatte zu vermuten. In einem unterirdischen Lagerraum für Requisiten fand man in einem Sarkophag hunderte von Filmdosen mit dem Material von Salome.
Der Artikel entstand mit freundlicher Unterstützung von Costa Botes und Peter Jackson – Bildquelle: Forgotten Silver

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