Völlig HAYWIRE, und doch völlig bodenständig

Steven Soderbergh ist sehr bestrebt, nach jedem Film das Folgeprojekt in ein vollkommen anderes Genre zu legen. Nach CONTAGION konnte man also davon ausgehen, dass die nächste Regiearbeit kein unangenehm realistisches, minutiös ausgearbeitetes Untergangsszenario sein würde. Und nur scheinbar konnte man sich vorstellen, was mit dem Casting von Gina Carano tatsächlich für ein Film kommen sollte. Nun treffen Frauen, die sich gegenseitig den Körper malträtieren, nicht jedermanns Geschmack. Mixed-Martial-Arts-Turniere sind eben eine brutale und nicht immer schön anzusehende Sportart. Ganz anders sieht es hingegen aus, wenn im Film eine weibliche Kampfmaschine auf eine Horde zwielichtiger Agenten und fieser Killer losgelassen wird. Da kann das Blut des Action-Fans durchaus in Wallung kommen. Gina Carano mag nicht unbedingt die erfolgreichste Mixed-Martial-Arts-Kämpferin in den Ligen gewesen sein, sicherlich aber eine der Ansehnlichsten. Wenn dann Steven Soderbergh Gina Carano zur Hauptfigur in einem mit viel Action angereicherten Agenten-Thriller macht, dann ist das wallende Blut gewiss und weckt hohe Erwartungen.

Aber am Ende ist HAYWIRE dann doch nicht die zu erwartende Prügel-Orgie geworden, welche das Marketing und die Präsenz von Gina Carano zu versprechen schienen. Steven Soderbergh hat den Thriller der siebziger Jahre für sich entdeckt. Dabei bedient der Regisseur, Kameramann und Cutter in Personalunion nicht einfach nur Versatzstücke und Stilelemente, sondern mischt sehr geschickt und bewusst das moderne Kino mit hinein. So sind die Mann-gegen-Frau-Kämpfe in ihrer Härte und blutigen Ergebnissen den ungeschönten Sehgewohnheiten des aktuellen Mainstream angepasst. Optik und Schnittfolge sind allerdings eine traumhafte Anpassung an eine Zeit, die es dem Zuschauer ermöglichte, den Geschehnissen in langen Einstellungen zu folgen. Sie tragen den Darstellern Rechnung, die ihre physischen Kräfte in perfekten Choreografien beweisen können. Ihre Bemühungen werden nicht in schnellen Schnitten und unübersichtlichen Nahaufnahmen unterschlagen.

Aber HAYWIRE bleibt dennoch fern von den heute überfrachteten Action-Krachern. Sich den siebziger Jahren verschrieben zu haben, hält der Film bis zum Ende durch. Von FRENCH CONNECTION mag HAYWIRE weit entfernt sein, aber auch hier kommen die Spannungs- und Actionelemente ohne jede Art von Dialog aus. Die Ton-Effekte vermischen sich mit David Holmes spartanisch-effektiver Musik, die selbst nur wie eine Collage aus Tönen wirkt.

HAYWIRE ist vielleicht auch kein SERPICO. Doch auch hier belauern sich die Figuren, jeder mit dem Wissen über den anderen, aber nach außen hin immer den Schein wahrend. Es gibt eine unglaublich dichte Sequenz, in der sich Gina Carano als Agentin mit einem angeblich befreundeten Agenten umkreist, wie Tiger kurz vor dem Losschlagen. Lange Zeit geben sie für ihre Umwelt das perfekte Paar, obwohl sie längst weiß, dass sie den Abend nicht überleben soll. Und er ist sich durchaus bewusst, dass er schon durchschaut ist. Das ist Spannungskino pur und archaisch. Dabei entsteht eine unglaubliche Sinnlichkeit in den Szenen, die sich durch die Endgültigkeit der Auflösung wie ein Kopfschuss beim Zuschauer entlädt.

Mit einem Staraufgebot, wie es heutzutage einfach nur noch Steven Soderbergh zu versammeln mag, wirkt die Debütantin Carano manchmal etwas verloren. Die einnehmende Präsenz, welche die Kämpferin im Käfig so beliebt und unwiderstehlich machte, lässt sich eben doch nicht so einfach auf die wesentlich komplexere Kunst des Schauspiels übertragen. Soderbergh musste das schon einmal erleben, als sich Porno-Darstellerin Sasha Grey als Call-Girl bei GIRLFRIEND EXPERIENCE als schwächstes Glied in der Inszenierung erwies. Aber HAYWIRE ist trotzdem exzellent umgesetztes Kino, das unterhält und Spaß macht, weil Steven Soderbergh beweist, dass Intensität in Thriller- und Action-Sequenzen nichts mit verquerer Kameraführung und belastenden Schnittfolgen zu tun hat. Und wenngleich Gina Carano keine sensationelle Neuentdeckung ist, sieht man ihr doch gerne zu. Besonders, wenn die Jungs ordentlich eins übergebraten bekommen.

Ewan McGregor bezieht Prügel auf Probe – Macher Soderbergh (re.) wirkt noch kritisch / Claudette Barius SMPSP – © 2011 Five Continents Imports

Darsteller: Gina Carano, Channing Tatum, Michael Angarano, Michael Douglas, Antonio Banderas, Ewan McGregor, Michael Fassbender, Mathieu Kassovitz, Bill Paxton u.a.
Regie: Steven Soderbergh
Drehbuch: Lem Dobbs
Kamera: Peter Andrews (a.k.a. Soderbergh)
Bildschnitt: Mary Ann Bernard (a.k.a. Soderbergh)
Musik: David Holmes
Produktionsdesign: Howard Cummings
USA / 2011
zirka  93 Minuten

Bildquelle: Postermotiv – Concorde Filmverleih / Set-Photo – Claudette Barius SMPSP – © 2011 Five Continents Imports

 

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