Leos Carax‘ ANNETTE

Annette - Copyright ALAMODE FILM– Bundesstart 16.12.2021
– bereits bei Amazon Prime US & UK

Wenn man es kurz zusammenfassen will, dann macht Leos Carax Kunst. In der vierzigjährigen Karriere des mittlerweile 60 Jahre alten Filmemachers finden sich gerade einmal sechs Spielfilme, und eine Episode in einem Anthologiewerk. Seine drei Musikvideos und fünf Kurzfilme kann man kurz einmal außer Acht lassen. Musik spielt allerdings immer ein übergeordnete Rolle bei Carax, aber es sind keine Musikfilme, geschweige denn Musicals. Es sind Filme die sich nicht wirklich zuordnen lassen wollen, die von ihren Überraschungen in einzelnen Szenen, im gesamten Handlungsverlauf, oder von der visuellen Umsetzung geprägt sind. Und sie lassen das Unmögliche immer ganz normal erscheinen. Mit ANNETTE hat er das alles noch einmal erhöht, und zudem tatsächlich sein erstes Musical inszeniert.   

Es ist der erste Spielfilm, an dem Leos Carax nicht mitgeschrieben hat, macht sich die Geschichte aber so brachial zu eigen, dass ANNETTE mit jeder Faser zu seinem Film wurde. Die Handlung ist eigentlich einem Konzeptalbum entliehen, welches die Musiker Ron und Russell Mael realisieren wollten, den meisten Menschen als Sparks Brothers bekannt. Die selbstzerstörerische Liebe zwischen der Opernsängerin Ann Defrasnoux und dem Stand-Up Comedian Henry McHenry. Die atemberaubende Leidenschaft zerfällt, als ihr gemeinsames Kind Annette geboren wird.

Es ist viel Geduld und noch mehr Verständnis gefragt, wenn man sich erst einmal auf den Film eingelassen hat. Die erste Stunde dreht er sich erst einmal immer im Kreis, um die Beziehung zwischen Henry und Ann. Und das ist eine sehr lange Zeit dafür, dass nie schlüssig wird, was die beiden aneinander finden und bindet. Die schmerzhaft spärlichen Liedtexte machen die Beziehung nicht verständlicher, wenn als exemplarisches Beispiel der Song ‚We Love Each Other So Much‘ tatsächlich nur seinen Titel als endlose Wiederholung zum Text hat.

Vielleicht kann man die Lieder und ihre lyrischen Inhalte besser bewerten und einschätzen, wenn man mit der Musik der Sparks Brothers vertraut ist. Buch, Songs und Texte sind Ron und Russell Maels kreativen Köpfen entsprungen. Doch allein als Konzeptalbum, wie es ursprünglich geplant war, macht das Werk einen eher hilflosen Eindruck. Eigentlich rettet sich ANNETTE als Film über die atemberaubende visuelle Umsetzung, die mit experimentellen Spielereien genauso überzeugt, wie mit seiner ungewöhnlichen Kamera-Choreografie und opulenten Bildgestaltung.

Annette 1 - Copyright ALAMODE FILM

Der gewaltigste Einschnitt in die üblichen Sehgewohnheiten allerdings, kann hier gar nicht besprochen werden, wenn der Film für unbedarfte Zuschauer funktionieren soll. Es ist aber ein Punkt, der die emotionalsten Diskussionen provozieren wird. Das musikalische Konzept hingegen läuft währenddessen sehr schnell aus. Der Text eines jeden Songs kulminiert in der endlosen Wiederholung einer einzelnen Textzeile. Was ANNETTE anfangs noch mit einem mitreißenden und eingängigen ‚So May We Start‘ in Schwung bringt, kann der Film im restlichen Verlauf nicht noch einmal liefern.

Marion Cotillard und Adam Driver sind ohnehin Brückenbauer zwischen Blockbuster-Kino und Arthouse-Filmen. So verwundert kaum, dass sie sich auch bei diesem wechselfrohen Panoptikum von erzählerischen Stilmitteln sehr natürlich bewegen. Aber auch Simon Helberg, dem leider zu wenig Leinwandzeit gegeben ist, fühlt sich spürbar wohl als verschmähter Ex und leidenschaftlicher Dirigent. Ihm gelingt es ebenfalls sehr eindringlich, die dramatische Fassade zu wahren, wenn er zwischen seriösem Spiel und schlicht, naiven Sing-Sang pendeln muss.

Aber die Bühne gehört stets Adam Driver, der fast jede Szene mit brachialer Energie dominiert. Seine sonore Stimme hat viel beruhigendes, und klingt gleichermaßen stets bedrohlich. Er tobt über die Kulissenbühne, vereinnahmt dabei die Leinwand als seine wirkliche Bühne, und nutzt jeden Raum, selbst wenn er in stoischer Hilflosigkeit zu erstarren droht. Driver ist einer der führenden Faktoren, die ANNETTE sehenswert machen. Noch vor Leos Carax‘ fruchtlosem Mix, die filmtechnischen Konventionen nicht nach einer kohärenten Dramaturgie zu erfüllen, sondern diese stilistisch immer wieder nach der persönlichen Lust zu brechen. So kann sich ANNETTE auch nicht als allgemein verträgliches und bewährtes Musical präsentieren. Und das macht den Film zu einer echten Herausforderung, für die man einiges Verständnis mitbringen muss.

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Darsteller: Adam Driver, Marion Cotillard, Simon Helberg, Devyn McDowell, Angèle , Natalia Lafourcade u.a.
Regie: Leos Carax
Drehbuch, Musik und Liedtexte: Ron Mael, Russell Mael (The Sparks Brother)
Kamera: Caroline Champetier
Bildschnitt: Nelly Quettie
Produktionsdesign: Florian Sanson
Frankreich – Belgien – Deutschland – USA – Japan – Mexiko – Schweiz
2021 / 142 Minuten

Bildrechte: ALAMODE FILM
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