PROMISING YOUNG WOMAN

Promising YW - Copyright FOCUS FEATURESBundesstart 19.08.2021
– Amazon Prime UK

Die Besprechung liegt der britischen Streaming-Fassung zugrunde.

Mit den Lobeshymnen die über PROMISING YOUNG WOMAN ausgeschüttet wurden, ließen sich etliche Zeilen beschreiben. Aber die wenigsten davon, würden sich für den Zuschauer wirklich erfüllen. Emerald Fennells Regiedebut ist alles und doch nichts davon konkret. Man sagt oftmals gerne über Filme, sie würden sich nicht einordnen lassen. Bei PROMISING YOUNG WOMAN kann man ruhigen Gewissens sagen, dass es bei ihm tatsächlich zutrifft. Die Geschichte von Cassandra ist traurig und schreiend komisch, sie ist bittere Satire und großes Drama. Cassandra hat eine ungewöhnliche Berufung. Auf perfide Weise bringt sie Männer in Versuchung sie zu missbrauchen, um sie dann damit zu demütigen und zu erpressen. Das ist dramaturgisch extrem dünnes Eis, denn die Schadenfreude ist groß, aber gleichzeitig wird es Klientel geben, die dem Szenario vehement widersprechen werden.

Es gibt einen Grund, warum sich Cassandra immer wieder diesem Wagnis aussetzt, die Sturzbetrunkene zu mimen, um dann als leichte Beute abgeschleppt zu werden. Dieser Grund liegt tief, er hat sich in ihr Innerstes gefressen und ihre Seele umschlossen. So absurd das Szenario manchmal wirkt, so abenteuerlich Cassandra diese Männer bloßstellt, so bereitwillig wird man ihr folgen. Wirklich verstehen, wird man Cassandra erst später, aber es fällt nicht schwer, ihre Motivation zu erahnen.

Es ist erstaunlich, wie selbstsicher und konsequent Emerald Fennell ihr eigenes Material umgesetzt hat. Rein vom filmischen Aspekt her, schlägt die Regisseurin in ihrer Erzählung immer wieder kleine Haken, die überraschen. In herkömmlichen Strukturen würde der Zuschauer immer etwas anderes erwarten. Das hat aber auch mit dem sehr geschickten Element zu tun, dass sich Cassandras Hintergrund und ihre tiefe Psyche nicht sofort, sondern erst in der Gesamtlänge der Geschichte erschließen wird.

In diesem Handlungsverlauf gibt es kein Schwarz oder Weiß, auch wenn dies in den einzelnen Szenen anfänglich immer so dargestellt scheint. Männer sind grundsätzlich Schweine, darüber lässt sich vortrefflich streiten. Dem stellt dann aber Fennell eine Protagonistin gegenüber, deren Seelenwelt heillos in der Finsternis gefangen ist. Und wie das Publikum nach und nach feststellen wird, kann sich Cassandra daraus nicht befreien. Mit undurchschaubarer Gelassenheit spielt Carey Mulligan ihre Figur. Stets mit einem verschmitzten Lächeln, bei dem einfach ein unbefangenes High-School-Girlie erwartet wird. Aber Mulligan beherrscht auch im selben Atemzug den Wandel zur Femme Fatale. Oder zur unberechenbaren Psychopathin.

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Die Grundstimmung in PROMISING YOUNG WOMAN ist schon einmal beunruhigend, weil Cassandras Welt eigentlich eine heile Welt ist. Liebevolle Eltern, loyale Freundin, fester Job und eine sich anbahnende Liebe. Mulligan drängt mit ihrem Spiel nicht in den Vordergrund, sie ist der Mittelpunkt, und sie nimmt das mit einer faszinierenden Leichtigkeit an. Die balancierte Inszenierung von Emerald Fennell ist aber sehr genau darauf ausgelegt, dass die anderen Darsteller im Ensemble genügend Freiraum behalten, und in diesem auch glänzen dürfen.

Bei PROMISING YOUNG WOMAN lacht man über Dinge, die bestürzen sollen. Man ist erschüttert über witzige Szenen. Über das Offensichtliche wird gestaunt, wie das Verrückte als natürlich hingenommen wird. Doch will Fennell keine filmische Extravaganz aufzeigen, sondern sie hat etwas zu sagen das essenziell ist. Auch wenn man in abwertend als feministisch bezeichnen könnte. Der Film ist feministisch, was aber mit seinem Grundtenor gar nichts zu tun hat. Aus dieser Sicht erzählt, ist PROMISING YOUNG WOMAN kein plumper oder gewöhnlicher Rape and Revenge Streifen ist. Und dann wiederrum, ist er genau das.

Vieles ist in unserem System noch nicht in Ordnung. Wenn zum Beispiel Frauen nicht Opfer von nur einer Person werden, sondern von einer ganzen Gesellschaft. Cassandra zerreißt zumindest dieses sie selbst betreffende Gefüge. Wenngleich der Film auf diesem radikalen Weg nicht wenige satirisch Humorspitzen hat, ist er kein einfacher Film. Aber er ist ein sehr wichtiger Film, der atmosphärisch immer genau den richtigen Ton trifft, und einen nicht mit unendlicher Düsternis erschlägt, wozu er die Möglichkeit gehabt hätte. So hallt er thematisch noch lange nach, gerade weil er seine Geschichte anders erzählt.

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Darsteller: Carey Mulligan, Clancy Brown, Jennifer Coolidge, Bo Burnham, Alison Brie, Connie Britton, Adam Brody, Max Greenfield, Laverne Cox u.a.
Regie & Drehbuch: Emerald Fennell
Kamera: Benjamin Kracun
Bildschnitt: Frédéric Thoraval
Musik: Anthony Willis
Produktionsdesign: Michael Perry
Großbritannien – USA / 2020
113 Minuten

Bildrechte: FOCUS FEATURES
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