THE TRAGEDY OF MACBETH

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Wenn Kunst sich über die Kunst erhebt. Einen Macbeth, den inszeniert man nicht einfach, dafür muss man eine angemessene Motivation inne haben. Grob überschlagen gibt es mindestens 5 Opern, 10 Fernsehfassungen und 14 Spielfilme die sich mit dem machthungrigen und den Verstand verlierenden König von Schottland und seiner nicht minder sonderlichen Lady Macbeth auseinandersetzen. Mal in überbordender Opulenz, mal schlicht auf den Text herunter gebrochen, gerne in aktuelle Bezüge gesetzt, aber auch wieder in klassischer Theaterform. Weil Bruder Ethan seine Theatererfahrung mit seinen jetzt schon gefeierten Stücken weiter ausbauen möchte, inszeniert und schreibt Joel währenddessen erstmals solo einen Film. Interessanterweise mit einer Adaption aus einem Metier, die ihn schon wieder sehr nahe neben seinen Bruder stellt.

Man kann und sollte sich eine Handlungsabriss sparen, weil ein Teil der Zuschauer hinlänglich mit der Geschichte vertraut sind, und der andere Teil durchaus auch einmal in einen unvoreingenommenen Genuss kommen sollten. Wie bohrende Reporter gerne zu fragen pflegen: Warum Shakespeare? Und warum gerade dieses Stück? Die Antwort scheint bei Joel Coen völlig unerheblich. Was er für eine Geschichte erzählt, ist weniger herausfordernd, als die Art wie er dieses vielfach behandelte Stück erneut belebt.

Noch bevor der Text den Zuschauer in Beschlag nimmt, überfällt einen die außergewöhnliche Optik. Schwarzweiß ist kein Stilmittel mehr, das noch großen Eindruck schindet. Aber was Bruno Delbonnel mit der Kamera anstellt, geht selbst über verwöhnte Sehgewohnheiten weit hinaus. Delbonnel hat bisher lediglich bei LLEWYN DAVIS und BUSTER SCRUGGS mit den Coen-Brüdern zusammen gearbeitet. Vom feinen Naturalismus bei DAVIS zu der Technicolor-Cinemascope-Extravaganza von SCRUGGS, beweist Delbonnel mit dem deutschen Expressionismus von MACBETH, dass er bei den Coen-Brüdern gleichwertig neben Roger Deakins steht.

Allerdings wäre Bruno Delbonnel ohne das mutige, bisweilen verstörende Bühnenbild von Jason T. Clark und Nancy Haigh unter der Leitung von Stefan Dechant ein wenig verloren gewesen. Wer die Skizzen und Bühnenentwürfe des 1966 verstorbenen Theater-Multitalentes Edward Gordon Craig kennt, der erkennt sofort die Ursprünge von MACBETH‘ visueller Gestaltung. Eigentlich sind Craigs monumentale Stelen und Stufengebilde auf Theater- und Opernbühnen allgemein gerne verwendete Motive. Aber wie Delbonnel dies mit bewegter Kamera und optischer Raffinesse visuell überhöht, ist einmalig.

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Die Optik lässt sich aber nicht von strukturell pragmatischen Bauten zähmen. Viel Licht und noch mehr Dunkel spielen mit der Wahrnehmung. Wenn Macbeth vom Geist seine Freundes gequält wird, erscheinen Schatten an Wänden und Boden, wo keine sein dürften. Schwirrende Lichtreflexionen gehen immer wieder einher mit dem Wahnsinn, dem Lady Macbeth zu verfallen droht. Die spartanische Kulisse ist Bildnis der Monstrosität und radikalen Geradlinigkeit der Geschichte gleichermaßen. Das Vorbild des expressionistischen Kinos der 1920er ist eminent.

Die Kamera unterstreicht ständig den Zustand des Geschehens. Wo ist oben, wo ist unten? Die Perspektiven sind verdreht. In welche Richtung führt die Treppe an der Lady Macbeth steht? Wir können auch nicht erkennen, ob wir von oben auf die kreisenden Raben sehen, oder die Vögel auf uns herab. Auch bei Nacht strahlt die Sonne durch die Fenster, und die Tage sind im Dunkel darsgestellt. Das Setting verliert sich im Nebel, wenn das Schicksal der Figuren ungewiss scheint, aber das Bühnenbild wird klar und scharf, wenn ihre Bestimmung besiegelt ist.

Einer Theateraufführung gleich, treten die Charakter von der Totalen geradewegs auf die Kamera zu in die Nahaufnahme, bevor sie ihren Dialog beginnen. Sie blicken die Zuschauer direkt an, rezitieren aber nicht, sie spielen. Vor allem Denzel Washington, der Amerikaner, der im britischsten aller Bühnenstücke von einem Amerikaner in Szene gesetzt wurde. Den 400 Jahre alten Text nutzt Washington nicht zum Vortrag, sondern als Instrument für sein naturalistisches Spiel, in dem die ohnehin schwierige Sprache eher als Leitfaden dient.

Die Inhalte der Texte vermitteln die Darsteller in ihrer ganz eigenen Akzentuierung mit Darstellung anstelle von Vortrag. Sie blenden die Theatralik der Bühne vollkommen aus, und Joel Coen inszeniert seine Schauspieler viel näher am klassischen Filmdrama, als an einem Shakespeare-Stück. Die furchtlose Verflechtung von stark artifiziellen Kulissen, visuell verschwenderischer Bildgestaltung und dem überragend modern realistischem Spiel beantwortet alle Fragen von selbst. Warum Shakespeare? Und warum gerade dieses Stück? Weil Joel Coen sehr eindrucksvoll noch viel Neues dazu beizutragen wusste, und somit die Kunst über die Kunst erhob.

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Darsteller: Denzel Washington, Frances McDormand, Alex Hassell, Bertie Carvel, Brendan Gleeson, Corey Hawkins, Harry Melling, Kathryn Hunter u.a.
Regie & Drehbuch: Joel Coen
nach dem Stück von William Shakespeare
Kamera: Bruno Delbonnel
Bildschnitt: Reginald Jaynes, Lucian Johnston
Musik: Carter Burwell
Produktionsdesign: Stefan Dechant
United States / 2021
105 Minuten

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