WHEN WE WERE BULLIES

nominiert KURZ DOKUMENTATION – bei ARTE Mediathek

When We Were Bullies 1 - Copyright JAY ROSENBLATT / HBOAus unerfindlichen Gründen ist der Film, den es nur im Original mit deutschen Untertiteln gibt, nicht unter seinem Original Titel zu finden. Die Suchmaschine braucht den deutschen Quatsch ALS WIR TYRANNEN WAREN. Deutsche Fernsehanstalten haben die Zwangsstörung, mit absurden Eigentiteln jedem preisgekrönten Film die Chance auf angemessene Verfügbarkeit zu nehmen. –
– Die Eingangssequenz mutet eigenartig an. Zwei Männer übersteigen ein Eisentor, um auf ein abgesperrtes Gelände zu kommen. Eine der Männer stellt sich beim Klettern etwas ungeschickt an, um nicht zu sagen, es ist fast peinlich seinen Bemühungen zu folgen. Es ist der Filmemacher Jay Rosenblatt selbst. Aus dem Off hört man den zweiten Mann, wie er belustigt Anweisungen gibt. Es ist Richard Silberg, ein ehemaliger Klassenkamerad von Rosenblatt. Und sie betreten das Schulgelände, das vor über 50 Jahren Ort eines Vorfalls war, an dem sich beide beteiligt haben. Die kollektive Demütigung eines einzelnen Schülers durch alle übrigen Kassenmitglieder.

Allein wie Jay und Richard sich nach über 50 Jahren wieder über den Weg laufen ist obskur, und eine Geschichte für sich. Aber sie ist nicht nur stimmungsvolle Bereicherung, sondern essenzieller Anteil an der Aufarbeitung des lange zurück liegenden Vorfalles. Rosenblatt will nicht nur eine Erklärung finden, wie eine ganze Klasse zu einer derart demütigenden Schikane fähig war. Er möchte auch herausfinden, warum sich dieses eine Ereignis so stark in das Gedächtnis der beiden Männer eingebrannt hat.

Ja, es geht um Schuld und Sühne. Es geht aber auch um Wahrnehmung, Empathie, und am Ende um Lebenserfahrung. Rosenblatt macht die eigentliche Entstehung der Dokumentation gleichzeitig zu einem Handlungselement. Dieses und all die anderen Elemente hat er unheimlich spannend zusammen gefasst, ineinander verwoben, und zu einem mitreißenden Exkurs über menschliche Schwächen, Lebensanschauungen und der Macht der individuellen Wahrnehmung geformt.

Rosenblatt erzählt aber niemals ernst oder streng, maßregelnd oder moralisierend. Er stellt dem Zuschauer eher kumpelhaft die Frage nach dem Warum. Viele Mitschüler jener Klasse kommen über Telefon zu Wort. Manche erinnern sich gar nicht an den bewussten Zwischenfall selbst, aber dafür sehr genau daran, das jener seinerzeit gepeinigte Schüler, sehr nervige Marotten hatte. Einige haben es ganz anders in Erinnerung als Jay und Richard. Und dann ist da die 92 jährige Klassenleiterin, die eine ganz persönliche Sicht auf die Dinge im Allgemeinen hat.

Jay Rosenblatt braucht nicht einmal 5 Minuten, um den Zuschauer an die Geschichte zu fesseln. Vielleicht weil wir uns in der ein oder anderen Aussage, Verhaltensweise oder sogar Verdrängungsphase wieder erkennen. Das Ende mag zuerst überraschend sein, mit Tendenz zur Enttäuschung. Aber es ist Rosenblatts logisches Fazit, das diese Geschichte eines vermeintlichen Einzelschicksals, eben eine allgemeingültige Geschichte ist. So wird WHEN WE WERE BULLIES nicht allein wegen seiner hervorragenden Inszenierung sehenswert, sondern auch wegen seiner Menschlichkeit.

Am Ende erklärt sich dann auch die Eingangssequenz. Mit so wenig sportlichem Geschick und eines Jungen unwürdigen Zauderns, wäre Jay Rosenblatt 50 Jahre früher selbst die Zielscheibe von Spott und Demütigung am Pausenhof geworden.

When We Were Bullies - Copyright JAY ROSENBLATT / HBO

 

Als sie selbst: Richard J. Silberg, Mark Athitakis, Ruth Bromberg, Wendy Newman & Jay Rosenblatt
Regie & Drehbuch: Jay Rosenblatt
Kamera: Paul Foster, Kirsten Johnson, Ellie McCutcheon, Jay Rosenblatt, Jerome Rosenblatt, Roberta Rosenblatt
Ton: Pete Horner, Judy Karp
Bildschnitt & Farbkorrektur: Robert Arnold, Jim Farber, Summers Henderson
Musik: Erik Ian Walker
Animation: Jeremy Rourke
Deutschland – USA / 2021
36 Minuten

Bildrechte: JAY ROSENBLATT / HBO
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