EMPIRE OF LIGHT

Empire Light - Copyright 20th CENTURY STUDIOS– Bundesstart 20.04.2023

Sam Mendes beginnt seinen Film wie eine herzzerreißende Ode an das Kino. Ein Filmpalast aus längst vergangenen Tagen erwacht zum Leben. Die Bilder sind exakt kadriert. Keine Menschen, nur Interieur. Eingangsfassade, Kassenbereich, Stufenaufgänge, Zugänge zu den zwei Kinosälen. Die Neonbeleuchtung bringt nach und nach die Räumlichkeiten in gelb-orangen Farben zum erstrahlen, bis alles fast schon golden anmutet. Das Dreamland wurde 1923 erbaut. Ein atemberaubendes Art-Deco Gebilde, dass im Film Empire heißt. Diese längst vergangenen Tage sind gerade einmal 40 Jahre her. Der Film spielt 1981 in Margate, England, und scheint zuerst drei verschiedenen Themen zu behandeln, die es schwer haben sich zu finden. Aber Sam Mendes ist kein Filmemacher, der tatsächlich den Kern seiner Geschichten aus den Augen verlieren würde.

Im Empire ist Hilary Small die leitende Angestellte, und sorgt freudlos, aber gewissenhaft für den reibungslosen Ablauf im Theater. Zuhause geht sie ihrer täglichen Routine mit der selben Melancholie nach. Und wenn sie von Theaterbesitzer Donald Ellis ins Büro gebeten wird, um sich sexuell abzureagieren, nimmt Hilary das mit stoischer Gelassenheit. Sie ist eine zutiefst traurige Frau, und es dauert, bis wir hinter ihre Fassade blicken dürfen. Währenddessen stößt Stephen als Platzanweiser zu der kleinen Kino-Gruppe. Er findet schnell Zugang, und pflegt eine verletzte Taube, die er in einem gesperrten Bereich des Empires gefunden hat.

Was Sam Mendes hier zusammen mischt, ist unverhohlen das, was man Oscar-Köder nennt. Aber vorweg – das ist nicht abwertend gemeint. Eine außergewöhnliche Frauenfigur, ein historisches Zeitgemälde, das Kino als mystisches Seelenheil, die kameratechnische Extravaganz, und ein wieder erstarkender Fremdenhass. Denn Stephen ist schwarz, und das im angebrochenen Thatcher-Zeitalter, wo sich Frust auf Politik und Ökonomie in irrationaler Weise entlädt. Selbstreden ist das eine Mixtur von thematischer Avance an den massentauglichen Geschmack, die in versnobten Arthouse-Kreisen streng verpönt ist.

Wenn, dann ist es Sam Mendes der aus absehbaren, gewöhnlichen, oder abgedroschenen Versatzstücken eine fesselnde, sehr vielschichtige Geschichte zaubern kann. Als intensiver Darsteller-Regisseur muss er sehr wohl gewusst haben, was er sich als sein eigener Autor auflädt, und hat das auch souverän und sehr ansprechend umgesetzt. Selbst wenn er sich in der ersten Hälfte viel zu lange mit der Exposition von den Figuren aufhält. Doch dann laufen die scheinbar losen Fäden nach und nach zusammen und entsteht ein imposantes Psychogramm von Charakteren, die erst an den richtigen Stellen zusammengeführt, die Erzählung als Einheit formen.

Empire Light 3 - Copyright 20th CENTURY STUDIOS

 

Der nervig neunmalkluge Platzanweiser entpuppt sich verständnisvoller Freund, und Tom Brooke ist für diese Rolle des Neil wie geboren. Colin Firth kann als Chef Ellis endlich gemein und unberechenbar sein, und auch bleiben. Dabei strahlt er allerdings ein Selbstbewusstsein aus, dass er trotz seines Wesens weiterhin Respekt genießt. Was es aber mit Hilarys unendlicher Traurigkeit auf sich hat, kann man über den Zeitraum der ersten Hälfte nur nur erahnen. Das wäre ein einschneidender Knackpunkt in Mendes’ Inszenierung, aber dafür gibt es Olivia Coleman, auf der letztendlich die ganze emotionale Strahlkraft von EMPIRE OF LIGHT ruht.

Coleman hier in allen Stadien von geistiger Verfassung beobachten zu dürfen, ist Kino par excellence. Mit ihr lacht man, weint man, hofft und ist oftmals auch peinlich berührt. Das macht es Michael Ward nicht einfach, der als Stephen eigentlich ein gleichwertiger Charakter sein sollte. Trotz seiner einnehmenden Leistung, einen starken Gegenpol für Colemans Figur zu bilden, wirkt er in einigen Szenen dann doch nur wie der Stichwortgeber. Das ist insofern bedauerlich, weil mit einem bewusster aufgebauten Stephen, dieses Drama eine wesentlich stärkere Attraktivität gewonnen hätte. Aber selbst die Szenen von gewaltsamen Übergriffen auf Stephen, werden von Colemans Präsenz überschattet.

Doch auch inszenatorische Stolpersteine ändern nichts daran, dass EMPIRE OF LIGHT eindrucksvolles Schauspielkino ist. Offen bleibt allerdings die homogenere Verquickung mit der Leidenschaft Film. Roger Deakins hat in seinen Bildern das Empire, sprich Dreamland, erwartungsgemäß sehr beeindruckend inszeniert. Die Darsteller werden immer in den bestmöglichen Ausschnitt gesetzt, um das ausladende Art-Deco wirken zu lassen. Aber das Empire wird nicht wirklich Teil des Ensembles, obwohl Deakins es wie einen eigenständigen Charakter darstellt. Deakins bringt den Film zum atmen, und das Empire zum strahlen.

In Stellvertretung darf sich ein wunderbarer Toby Jones als griesgrämiger Vorführer mit überzeugenden Worten von der Faszination von Film und Projektor schwelgen. Dazu haben Trent Reznor und Atticus Ross auf ihre sonst üblichen Trademark-Elektroklänge verzichtet, und einen herrlich integrativen Soundtrack geschrieben, der im positiven Sinne fast schon mit Thomas Newman verwechselt werden kann. Egal wie man es betrachten möchte, ist EMPIRE OF LIGHT einfach ein wunderbarer Film – in dem fast alles stimmt, aber einiges viel stimmige sein könnte.

Empire Light 2 - Copyright 20th CENTURY STUDIOS

 

Darsteller: Olivia Coleman, Michael Ward, Colin Firth, Tom Brooke, Toby Jones, Tanya Moodie, Hannah Onslow u.a.
Regie & Drehbuch: Sam Mendes
Kamera: Roger Deakins
Bildschnitt: Lee Smith
Musik: Trent Reznor & Atticus Ross
Produktionsdesign: Mark Tildesley
USA, Großbritannien / 2022
115 Minuten

Bildrechte: 20th CENTURY STUDIOS
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