SKINAMARINK

Skinmarink - Copyright CAPELIGHT PICTURES– Bundesstart 07.09.2023
– Release 13.01.2023

Keine gesetzte Beleuchtung, nur natürliche Lichtquellen. Eine suchende Taschenlampe, die über die Wände und Schränke huscht. Oder das Deckenlicht im Nebenraum, das an und ausgeht. Aber meistens der Fernseher, der wegen der unterschiedlichen Bildfrequenz zur Kamera immer flackert. Unablässig. Ein Videorekorder füttert den Bildschirm mit Cartoons. Es ist wenig zu erkennen, weil der Bildschirm im Dunkeln völlig überstrahlt. Aber er beleuchtet das Sofa, oder das Spielzeug am Boden, die Decke, oder wirft seinen flackernden Schein in die Diele. Es gibt nur wenige Kameraschwenks durch die Räumlichkeiten. Zum größten Teil besteht der Film aus festen Einstellungen. Und die lassen oft nur in die absolute Dunkelheit kucken. Durch die Unterbelichtung verursacht die vermeintliche Grobkörnigkeit des Filmmaterials ein durchgängiges Bildrauschen. Der Blick in die Dunkelheit ist nie ein Blick in die volle Schwärze. Durch das grieselige Bild glaubt man Bewegungen hinter der Finsternis zu erahnen.

Mit HECK hat Kyle Edward Ball bisher nur einen Kurzfilm gedreht. Mit dem durch Crowdfunding finanzierten ersten Spielfilm SKINAMARINK zeigt er ein sehr klares Bild seines ganz persönlichen Profils als Filmemacher. Aber hier wird es schon kompliziert, wie man dieses Debüt einstufen müsste. Eine wirkliche Geschichte hat der Film nicht, und auch keine erkennbare Struktur. Aber anstelle von Struktur steht ein konsequentes Konzept. Ein Konzept der ununterbrochener Unruhe, die das Publikum befällt, und nicht mehr loslässt. Auch wenn es sich zum größten Teil um unscheinbare Standbilder handelt.

Einher geht die Frage, ob man SKINAMARINK überhaupt mit Publikum sehen sollte. Und die Frage, ob der Film beim bewussten Ansehen die gleiche Wirkung erzielt, wie wenn man zufällig und ohne Vorwissen im Mitternachtsprogramm reinschalten würde. Zwei Kinder erwachen Nachts, und sind scheinbar alleine im Haus. Sie sind nur selten im Bild. Wenn, dann sieht man vielleicht ihre Füße, höchstens ihre Rücken. Man hört sie sich leise bewegen, manchmal mit Bauklötzen spielen, und sie flüstern nur. Aber wirkliche Gespräche gibt es nicht, nur kurze Sätze, auf die erst lange später reagiert wird.

Skinmarink 2 - Copyright CAPELIGHT PICTURES

 

Vor den Augen von Kaylee und Kevin verschwinden die Fenster und Türen, später auch die Toilette. Unterlegt ist das mit einem elektronischen Toneffekt eines B-Movie aus den Fünfzigern. Was geschieht ist, nur eine Vermutung. Sehen kann man es nicht. Später vernimmt man auch den Vater, der genauso ominös wieder verschwindet. Das Szenario wirkt wie ein undefinierbarer, aber unangenehmer Traum. Und hinter jeder Einstellung vermutet man einen fürchterlichen Alptraum. Sehr lange blickt man immer wieder in die vergrieselte Schwärze der Räume und erwartet den ultimativen Schreckmoment.

Tatsächlich hat Ball exakt fünf Jump Scares eingebaut, diese aber an Stellen platziert, wo man sie im klassischen Stil nicht vermuten würde. Allerdings wäre der Cutter, Autor und Regisseur in Personalunion auch sehr gut darin beraten gewesen, auf diese Schockeffekte zu verzichten. Sie helfen dem Film nicht. Die Atmosphäre der diffusen Bilderfolgen alleine schafft schon aufwühlendes Unbehagen. Was allerdings auch mit der Zeit einhergeht, die sich die Inszenierung nimmt. Sekundenlang bleibt der Blick auf dem entsprechenden flackernden Bilder. Manche Einstellungen stehen auch weit über eine Minute.

SKINAMARINK, dessen Titel sich aus dem hierzulande kaum bekannten Kinderlied ableitet, ist eigentlich kein Spielfilm. Der Film ist experimentelles Kino. Kyle Edward Ball spielt mit den Konventionen, mit der Erwartungshaltung, und den Sehgewohnheiten. Und er spielt auch mit der Geduld. Der Film ist mit der Dauer durch seine unspektakulär scheinende Inszenierung einfach zermürbend, wenn man sich nicht darauf einlassen kann. Er findet aber sicher nicht wenige, die ihn in seiner Absicht als packend und verstörend bejubeln werden. Balls Absicht war, diverse Inkarnationen von Angst- und Alpträumen als Gesamtbild zu reflektieren, laut eigener Aussage. Das ist ihm in beide Richtungen der Akzeptanzschwelle absolut gelungen. Man stelle sich vor, mitten in der Nacht, zappt man ein letztes Mal durchs Programm, und bleibt bei diesem Film hängen… und man würde hängenbleiben. Eine extrem unruhige Restnacht wäre garantiert.

Kyle Edward Balls 28 Minuten dauernder Kurzfilm HECK ist bei YouTube in voller Länge zu sehen, und gibt einen perfekten Eindruck, was man bei SKINAMARINK zu erwarten hat.

Skinmarink 1 - Copyright CAPELIGHT PICTURES

 

Darsteller: Lucas Paul, Dali Rose Tetreault, Ross Paul, Jaime Hill
Regie & Drehbuch & Bildschnitt: Kyle Edward Ball
Kamera: Jaime McRae
Kanada / 2022
100 Minuten

Bildrechte: CAPELIGHT PICTURES
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