THE WHALE

Whale - Courtesy of A24THE WHALE
– Bundesstart 27.04.2023

Es ist verwunderlich, dass sich mit Plaion derart spät ein Verleih dazu durchgerungen hat, einen der meist diskutierten Filme des letzten Jahres endlich auch in Deutschland zugänglich zu machen. Vielleicht sollte das durch den gesamten Preisverleihungszirkus entstandene Aufheben bis zu dessen Ende voll und ganz ausgeschöpft werden, um nach dem Einheimsen prestige-trächtiger Trophäen, die Massen gebündelt ins Kino zu locken. Da machten dann aber die Preisverleihungen nicht wirklich mit. Oder man wollte vielleicht wohlweislich schon im Vorfeld eine eventuelle Schmach weiter in die Vergangenheit rücken lassen. Was durchaus naheliegender wäre. THE WHALE ist die atemberaubend beeindruckende Leistungsschau eines Mannes, der im wahren Leben seine eigenen Dämonen grandios ausgetrieben hat. Nur dieser Film, in dem Brendan Fraser alles an körperlicher und emotionaler Kraft aufbringt, was Schauspieler leisten können, dieser Film wird seinem Hauptdarsteller nicht gerecht.

Die Web-Cam bleibt bei den Online-Kursen von Englischprofessor Charlie aus. Mit fast 300 Kilogramm, ist Charlie eine ungewöhnliche Erscheinung, und möchte aus Scham so nicht in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Warum Charlie zum krankhaften Esser mit Hang zu Kentucky Fried Chicken und Schokoriegeln wurde, erfahren wir später. Krankenschwester Liz ist seine beste Freundin, und beim aktuellen Blutdruck prophezeit sie ihm eine Lebenserwartung von gerade noch einer Woche. Hong Chau spielt Liz, die Amerikanerin mit vietnamesischen Wurzeln brillierte unter anderem in DRIVEWAYS oder zuletzt in THE MENU.

Hong Chau und Fraser bestreiten ihre Paarung, wie aus einem Guss. Hätte Samuel D. Hunter sein Bühnenwerk als Zwei-Personen-Stück verfasst, wäre THE WHALE in seiner filmischen Adaption zu einer sensationellen Achterbahnfahrt der Gefühle herangewachsen. Aber Hunter hatte größeres im Sinn, was Ausnahmeregisseur Darren Aronofsky bereits vor zehn Jahren dazu verleitete, ‚The Whale‘ fürs Kino zu adaptieren, aber lange an der richtigen Besetzung scheiterte. Aronofsky hatte mit THE WRESTLER schon Mickey Rourke zurück ins Rampenlicht gebracht. Die Besetzung von Brendan Fraser beweist erneut sein empathisches Gespür.

Leider kann der Rest des Ensembles der Stärke von Chau und Fraser nichts entgegensetzen, oder die emotionale Leistungsschau erweitern. Nicht einmal die vielschichtige Präsenz einer Samantha Morton als Charlies Ex-Frau, deren Auftritt in dem düsteren Appartement-Zimmer nichts tiefgründigeres zur allgemeinen Situation beiträgt, sondern lediglich Konflikte verschärfen soll. Wohl aus Gründen des Respekt zur Vorlage, hat sich Aronofsky dazu entschieden, THE WHALE auch wie ein Theaterstück zu inszenieren. Und da wird ausgerechnet Sadie Sink zu einer echten Herausforderung für die Akzeptanz der Zuschauenden.

Whale 1 - Courtesy of A24

 

Charlie will vor seinem Lebensende noch mit seiner Tochter Ellie ins Reine kommen, die er mit ihrer Mutter acht Jahre vorher im Stich gelassen hat. Schon als eine der großen Hoffnungen aus dem Pool der STRANGER THINGS-Talente erkoren, stampft Sink lautstark durch die Kulisse, spricht überdeutlich und gestikuliert, als ob sie auch von Zuschauern in der allerletzten Reihe des Theaters klar wahrgenommen werden muss. Aber Sadie Sink spielt nicht Drama, sondern erinnert unpassenderweise an Boulevard-Komödie. Ihr Charakter ist auch vollkommen unausgereift, und kann sich nie zwischen Isolation oder Aggressivität entscheiden.

Kameramann Matthew Libatique hat sein Gefühl für düstere, unbequeme Bilder schon des öfteren für Aronofsky genutzt. Charlies Wohnraum ist nur von natürlichen Lichtquellen erhellt, wobei das Wort ‚Hell‘ nicht ganz zutreffend wäre. Aber wirkliche Akzente in der räumlichen Struktur gibt es nicht, dazu ist auch noch die Farbintensität zurückgenommen. Libatique hält die Atmosphäre durchweg ungemütlich. Freundlich strahlende Farben sind den Verpackungen der Süßigkeiten und dem Logo von Pizzaschachtel oder Kentucky Fried Chicken vorbehalten. Und es schmerzt wortwörtlich, wenn man diese Farben sieht, denn dann beginnt wieder eine von Charlies Fressattacken.

Die meist brutale Radikalität von Darren Aronofskys Werken schafft sich hier keinen Weg. Fettleibigkeit, krankhafte Esssucht, Homosexualität, Selbstmord, Elternschaft, religiöse Wiedererweckung. Jedes für sich schon das Thema eines eigenen Films wert, wird bei Hunters THE WHALE zu einem unbefriedigenden Durcheinander. Vieles wird angerissen, aber nichts davon angemessen zu Ende gebracht. Da muss Aronofskys kreativer Ehrgeiz größer gewesen sein, als das Ursprungsmaterial bereit ist herzugeben. Wahllos springt die Inszenierung thematisch von einem Problem zum anderen und wieder zurück.

Immer wieder verliert sich der Film in dramaturgischen Standards und oberflächlichen Aussagen, weil er letztendlich einfach zu viel will. Von anspruchsvollen Provokationen, oder explizite Konfrontationen des Regisseurs ist nur im Ansatz etwas zu spüren, wenngleich jedes der einzelnen Themen für Aronofsky sonst unverblümte Offenheit eine Herausforderung wäre. Schonungslos ist lediglich Brendan Fraser, dessen schmerzerfüllte Leidenschaft die narrativen Unzulänglichkeiten immer wieder vergessen lässt. Die vergangene Saison im Preisverleihungszirkus blieb wirklich einmal stimmig zu den Leistungen.

Whale 2 - Courtesy of A24

 

Darsteller: Brendan Fraser, Hong Chau, Sadie Sink, Ty Simpkins, Samantha Morton, Sathya Sridharan und Jacey Sink
Regie: Darren Aronofsky
Drehbuch: Samuel D Hunter, nach seinem Bühnenstück
Kamera: Matthew Libatique
Bildschnitt: Andrew Weisblum
Musik: Rob Simonsen
Produktionsdesign: Mark Friedberg, Robert Pyzocha
USA / 2022
117 Minuten

Bildrechte: Courtesy of A24
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