DAS ERWACHEN DER JÄGERIN

Marsh Kings 1 - Copyright TOBIS FILMTHE MARSH KING’S DAUGHTER
– Bundesstart 25.02.2024
– Release 05. 10.2023 (ISR)

Daisy Ridley hat erst mit dem STAR WARS-Film DAS ERWACHEN DER MACHT international große Aufmerksamkeit erregt hat. Das muss zu der Annahmen führen, dass sich deswegen auch die Künstler des deutschen Tobis Verleihs zu der grandiosen Übersetzung des Titels durchgerungen haben. Die Jägerin erwacht hier nicht, sondern sie ist es seit ihren ersten Tagen. Irgendwo im Marschland der oberen Halbinsel von Michigan ist Helena groß geworden. In einer Hütte, weit abgeschieden von anderen zivilisatorischen Einflüssen. Lediglich mit ihrer Mutter, die gar keine wirkliche Beziehung zu Helena haben scheint. Und ihrem Vater Jacob, den Helena verehrt, und der ihr auch sehr viel Liebe und Verständnis entgegenbringt. Von Jacob lernt Helena alles über die Natur, über das Fährtenlesen, und über die Jagd. Sie lernt auch über das Wesen von Mensch und Tier, was diese bereit sind zu tun, und wie weit sie gehen würden für sich selbst oder den Schutz der Familie. Es ist ein naturverbundenes Idyll.

Mit ihren fünfzehn Jahren ist Helena mit ihrem spartanischen Leben im Einklang. Sie muss von ihrer Mutter erst bewusstlos geschlagen werden, weil sie die Zusammenhänge nicht begreift, als sich eine Möglichkeit zur Flucht ergibt. Neil Burger hat hier eine außergewöhnlich spannenden Moment inszeniert, wobei er die Zuschauenden auf eine Ebene mit Helena bringt. Verwirrung, Aufregung, und unvermittelte Brutalität. Konnte man den Film in diesen ersten fünfzehn Minuten zeitlich überhaupt nicht einordnen, taucht unvermittelt ein versprengter Tourist mit einem Quad auf, und einem Smartphone ohne Empfang. Unbekannte Fremdkörper in Helenas Verständnis für die Welt.

Für die Mutter ist es die erste ernsthafte Möglichkeit zu fliehen. Jacob hat sie seinerzeit entführt, und dann Helena gezeugt. Was die Tochter von der Mutter als Ablehnung empfunden hat, war in Wirklichkeit Schutz. Trotz etlicher Möglichkeiten, wollte sie nie ohne ihre Tochter aus Jacobs Fängen entfliehen. Die Flucht gelingt, Jacob erschießt dabei den Touristen, und der Film macht einen Sprung 20 Jahre vorwärts. Helena hat geheiratet, selbst eine Tochter, und die Vergangenheit weit hinter sich gelassen. Doch erneut wird Helenas vertraute Welt zerstört, als ihr Vater Jacob aus der Gefangenschaft fliehen kann, und sein altes Leben in den Wäldern zurückfordert. Zusammen mit ihr.

Es ist eine unglaublich starke Leistung die Daisy Ripley als erwachsene Helena zeigt. Nicht das Brooklyn Prince als junge Version nicht ebenso überzeugen würde, wie sie in ihrer für sie perfekten Welt aufgeht, ihren Vater regelrecht vergöttert. Das ist sogar sehr ergreifend. Aber Ripley muss das alles aufnehmen, und dagegen agieren. Nach außen hin will sie vergessen, aber manchmal spricht das was man in ihrem Gesicht lesen kann eine andere Sprache. Es ist blanke Verunsicherung. Erst wenn sie nach langer Zeit wieder mit ihrem Ziehvater Clark zusammenkommt, dem Polizisten der sie und ihre Mutter nach der Flucht aufgenommen hat, scheint sie ihrem Vater Jacob endgültig abschwören zu können.

Marsh Kings 2 - Copyright TOBIS FILM

Doch da ist es längst zu spät. Nicht nur für die Stabilität in Helenas Familie, sondern Neil Burger hat in seiner Inszenierung schon den Weg des eher handelsüblichen Thrillers eingeschlagen. Gil Birmingham ist als sanftmütiger und treusorgender Clark ist einfach zu perfekt, was ihn schon sehr schnell als dramaturgisch notwendiges Opfer ausmacht. Natürlich wird Jacob auch Gewalt anwenden, um sein Vorhaben der gemeinsamen Familie umzusetzen. Helena muss ihren Vater finden, und die Verhältnisse klären. Auch wenn die Romanvorlage von Karen Dionne die Handlung so vorgibt, orientiert sich der Regisseur in der Umsetzung viel lieber an Klischee- und Standardsituationen.

Ben Mendelsohn ist einer der ganz starken Schurkendarsteller im Kino, der nie in blanke Schwarzweißmalerei fällt. Eine eindimensionale Figur wie Jacob ist für ihn unaufgeregter Standard, aber für den Zuschauer leider ermüdend. Nicht nur Burger, sondern die Geschichte selbst weiß mit dem Potential dieses Charakters nichts anzufangen, was Mendelsohns Art des Spiels einfach verschenkt. Und Potential ist die Komponente, die in MARSH KING’S DAUGHTER ständig ungenutzt bleibt. Wo die guten Möglichkeiten für ein starkes Psychogramm liegen, werden lieber die Versatzstücke des Thrillers bemüht. Diese inszeniert Neil Burger zwar spannend, aber doch immer wieder vorhersehbar.

Daisy Ridley kann als getriebene Mutter, die ihre Familie schützen muss, ganz wie es sie der Vater gelehrt hat, absolut überzeugen. Man spürt förmlich ihre gleichsame Unsicherheit gegenüber ihrem ehemaligen Idol, und Entschlossenheit dem ein Ende zu setzen. Aber Ripley geht selbst da weit darüber hinaus. Irgendwann besinnt sich Helena zurück und muss feststellen, was sie als gute Erinnerung bewahrt hatte, waren eigentlich klare Anzeichen für den Wahnsinn ihres Vaters. In diesem Moment wünscht man sich wirklich, der Film würde einen Schritt zurücktreten, und tiefer in Helenas Psyche vordringen. Vielleicht lieber über die vergangenen Jahre nach der Flucht erzählen.

Marsh Kings 3 - Copyright TOBIS FILM

 

Darsteller: Daisy Ridley, Ben Mendelsohn, Brooklynn Prince, Gil Birmingham, Garrett Hedlund, Caren Pistorius u.a.
Regie: Neil Burger
Drehbuch: Elle Smith, Mark L. Smith
nach dem Buch von Karen Dionne
Kamera: Alwin H. Küchler
Bildschnitt: Naomi Geragthy
Musik: Adam Janota Bzowski
Produktionsdesign: Tim Grimes
USA / 2023
109 Minuten

Bildrechte: TOBIS FILM GmbH
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