THE ZONE OF INTEREST

Zone of Interest 1 - Copyright LEONINE DISTRIBUTION– Bundesstart 29.02.2024
– Release 14.12.2023 (GR)

Die Geschichte ist simpel. Eine Familie hat sich ihren Traum vom eigenen Heim erfüllt. Sie ist Hausfrau, und kümmert sich leidenschaftlich um den riesigen Garten. Er hat einen gesicherten Job, den er mit der selben Leidenschaft erfüllt. Die drei Kinder sind gesund und wohl erzogen. Es fehlt auch nicht der Familienhund. Schwiegermutter zeigt sich begeistert. Doch dann soll er versetzt werden, und sie weigert sich zu gehen. Dies ist jetzt ihr Zuhause, dafür hat sie schwer gearbeitet. Es kriselt in der Ehe, ihm ist allerdings am Wohl von Frau und Kindern gelegen. Es wird eine Trennung auf Zeit, aber die wird schwer. Eine ganz simple Geschichte, die dennoch mühelos 104 Minuten mit ständiger Anspannung und fokussierter Komplexität füllt. Er ist Rudolf Höss, Lagerkommandant von Auschwitz. Und Hedwig Höss‘ wundervoller Blumen- und Gemüsegarten direkt neben dem großzügigen Wohnhaus wird von der Mauer zum Konzentrationslager begrenzt.

Künstlerisch ist THE ZONE OF INTEREST einer der bemerkenswertesten Filme der letzten Jahren. Auch wenn er immer und immer wieder mit exzessiven Stilbrüchen die Sehgewohnheit verkehrt. Inhaltlich ist THE ZONE OF INTEREST einer der verstörendsten Filme der letzten Jahre. Kein Film hat so erschreckend die Gefühle des Publikums aufgewühlt, ohne aber tatsächlich manipulativ zu sein. Nachhaltig ist THE ZONE OF INTEREST einer der eindringlichsten Filme der letzten Jahre. Mit radikaler Stringenz schafft er es seine emotionale Sogwirkung  unablässig aufrecht zu er halten.

Erste Stimmen nach der Weltpremiere bei den Filmfestspielen in Cannes sprechen enthusiastisch von der verstörenden Qualität, dass man zwei Filme in einem sehen und erfahren würde. Das ist technisch durchaus richtig, aber es wird dem Film in seiner Struktur und dem Publikum in seiner Wahrnehmung überhaupt nicht gerecht. Dennoch ist es schwer ZONE OF INTEREST anders zu erklären. Der Film den man sieht und der Film den man hört. Jeder Teil für sich ist schon unangenehm, doch in ihrem sich ergänzenden Kontext wird der Film zu einem verschlingenden Monstrum.

Ununterbrochen faucht der Ofen des Krematoriums, hört man entfernt Schreie, und immer wieder Schüsse. Oder man hört einen ankommenden Zug. Alles jenseits der Mauer, aber ein ständig vernehmbarer Geräuschteppich, der sich unter das banal inszenierte Idyll der Familie Höss legt. Der Verstand will diese beiden Ebenen einfach nicht zusammenbringen. Der korrekte Vater, die kümmernde Mutter, die Geschäftigkeit der Angestellten, die unbedarften Kinder. Und dann sagt Hedwig kichernd und ausgelassen zur Schwiegermutter, man würde sie die Königin von Auschwitz nennen.

Zone of Interest 2 - Copyright LEONINE DISTRIBUTION

Einige vermeintlich klare Szenen, werden erst später in ihren tatsächlichen Bezug gestellt. Wenn zum Beispiel die Hausmädchen Kleidung geschenkt bekommen, dauert es, bis man begreift woher die Stücke kommen. Diese absurde Normalität die Jonathan Glazer inszeniert, täuscht immer wieder, und schlägt dann um so fester in die Magengrube. In das Lager führt der Regisseur nicht, wozu auch, die Geräusche bleiben allgegenwärtig. Nach Strecken der Normalität nutzt Glazer hin und wieder Motive, welche die Banalität des Alltags durchbrechen, um mit grotesken Konfrontationen zu verunsichern.

Es geht nie ins Lager, aber man sieht es. Während der Vater den Kindern beim plantschen im Schwimmbecken zusieht, spuckt weit im Hintergrund der Schornstein des Krematoriums schwarze Wolken in den strahlend blauen Himmel. Manchmal ist der Schrecken subtiler, aber nicht minder erschreckend. In einer Einstellung sieht man unabhängig vom Inhalt der Szene, hinter einer Baumreihe Rauch eines Zuges der in das Lager einfährt. Unerwartet schiebt der Regisseur auch verfremdete Szenen einer unverfänglich scheinenden Parallelgeschichte eines jungen Dorfmädchens ein.

Das Jonathan Glazer filmisch und inhaltlich unvermittelt kurz aus dem Fluss der Erzählung ausbricht, geschieht einige Male. Aber hauptsächlich bleibt er bei Hedwig und Rudolf, und geht erstaunlich präzise den Grat dieser Familie eine alltägliche Normalität zu geben, jedoch ohne sie zu idealisieren oder gar sympathisch werden zu lassen. Die filmtechnischen Raffinessen, diese widersprüchliche Atmosphäre so beklemmend zu realisieren, werden sehr schnell nebensächlich. Aber kein visuelles Stilmittel und kein Bruch mit gewohnten Filmstrukturen verfehlt hier seine angedachte Wirkung.

Seit seiner Weltpremiere gibt es auch Stimmen, die THE ZONE OF INTEREST eine besondere Aktualität zusprechen. An dieser Stelle soll soweit widersprochen werden, dass seit jenen Ereignissen die Geschichte und Form ihrer Präsentation noch nie an Aktualität verloren hatte. Sollte man THE ZONE OF INTEREST gesehen haben? Ja, man sollte ihn gesehen haben. Sollte er von dieser Stelle aus empfohlen werden? Das ist kaum zu beantworten. Jonathan Glazer hat keinen Film gemacht, der einfach nur funktioniert, sondern sich erst im Nachhall unglaublich tief einbrennt, extrem aufwühlt und richtig schmerzt. Selten hat man soviel Unmenschlichkeit ohne explizite Gewalt erlebt. Und das hat auch sehr viel mit Johnnie Burns bedrückendem Sounddesign zu tun.

Zone of Interest 3 - Copyright LEONINE DISTRIBUTION

 

Darsteller: Christian Friedel, Sandra Hüller, Johann Karthaus, Nele Ahrensmeier, Luis Noah Witte, Julia Babiarz, Maximillian Beck, Slava – der Hund u.a.
Regie & Drehbuch: Jonathan Glazer
nach dem Buch von Martin Amis
Kamera: Lukasz Zal
Bildschnitt: Paul Watts
Sound Design: Johnnie Burn
Musik: Mica Levi
Produktionsdesign: Chris Oddy
Polen, Großbritannien, USA / 2023
105 Minuten

Bildrechte: LEONINE DISTRIBUTION
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