Apple TV+: THE LOST BUS

Lost Bus - (c) APPLE TV+– APPLE TV+ seit 03.10.2025
– Kino 19.09.2025 (nur US, CAN, IRE)

Die Camp Fire von 2018 in und um Paradise, Kalifornien, waren bisher die verheerendsten und tödlichsten Busch- und Waldbrände des Staates. 13.500 Häuser wurden zerstört und 85 Menschen verloren ihr Leben. Dies ist die wahre Geschichte des Busfahrers Kevin McCay und der Lehrerin Mary Ludwig, die 22 Kinder in einem Schulbus durch das flammende Inferno bringen. Paul Greengrass hat den Film gemacht, fünf Jahre nach seinem letzten Werk „News of the World“. Und jene sollten sich glücklich schätzen, die die Möglichkeit hatten und genutzt haben, in dem zweiwöchigen Fenster vor dem Streaming, „The Lost Bus“ im Kino zu sehen. Vor zwei Jahrzehnten war es noch Wasser, welches den Effekte-Leuten am Computer Schwierigkeiten bereitete. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass es den Trickstudios schwer fällt, Feuer wirklich glaubwürdig und realistisch in visuellen Effekten umzusetzen. Es gibt bei „Lost Bus“ vielleicht zwei oder drei kurze Einstellungen, die in diesem Bereich Zweifel aufkommen lassen. Ansonsten erweist sich Paul Greengrass‘ Katastrophenfilm als durchweg erschreckend glaubwürdig in seiner Feuersbrunst.

Worunter die Dramaturgie leidet, sind die formalistischen Figuren. Zwanzig Minuten vergeudet der Film damit, detailliert aufzuzeigen wie Matthew McConaugheys Charakter des Kevin McCay als Vater, als Ehemann, als Sohn, und dann noch im Job versagt. Es ist das schon lange ausgebrannte Versatzstück, den vermeintlich fehlbaren Protagonisten durch seine Heldentat zu rehabilitieren. Und es ist nervtötend, dies gleich in der ersten Minute erkennen zu müssen. Vor allem, weil Greengrass die gesamten Abläufe von Alarmierung über Ausführung der Notfallpläne, von Koordinierung der Rettungsdienste bis hin zur taktischen Bekämpfung fast schon dokumentarisch hält.

Es gibt auch keine der sonst üblichen Bedenkenträger, oder intervenierenden Profiteure. Was es gibt, sind durchaus überforderte Bürokraten, doch das wird nie mit überspitzten Konfrontationen oder moralischen Belehrungen gelöst. Hier sind Menschen zu sehen und zu erleben, die ihren Job verstehen und wissen was sie tun. Und wenn ihnen die Situation entgleitet, gibt es kurze, klärende Worte auf professioneller Ebene. Grundlegend ist der Film eine realistische Nachbildung eines jederzeit möglichen Szenarios.

Lost Bus 4 (c) APPLE TV+

Herausragend, im dramaturgischen wie inhaltlichen Sinne, sind dabei Yul Valquez und Kate Wharton als Divisions- und Bataillonskommandeure der zuständigen Feuerwehr. Beide bringen mit ihrer rationalen und fokussierten Darstellung eine starke Glaubwürdigkeit in den Ablauf von Brandbekämpfung und Rettungsmaßnahmen, und in feinen Nuancen auch eine bestechende Menschlichkeit. Matthew McConaughey und America Ferrera sind absolut die richtigen Identifikationsfiguren, um die Zuschauenden auch emotional zu binden. Nur kommen ihre Figuren nicht aus den Tiefen der Blaupausenkiste. Paul Greengrass gibt ihnen sogar die leider auch absehbare, und dabei noch extrem ausgedehnte Pause, inmitten der Feuersbrunst über ihre verpassten Chancen und bleibenden Träume zu sprechen. Das man ihnen dennoch zuhört ist allein America Ferrera und Matthew McConaughy zu verdanken. 

Paul Greengrass hat das Drehbuch zusammen mit Brad Inglesby geschrieben, dem Schöpfer und Autor von der sensationellen „Mare of Easttown“ und jetzt schon hochgelobten Serie „Task“. Da Greengrass für einen harten, fast schon dokumentarischen Stil bei seinen Filmen bekannt ist, kann man ungefähr abschätzen in welche Richtungen sich das Drehbuch auf die beiden Autoren aufteilt. Die charakterbezogenen Sequenzen würden auch ihre Berechtigung finden, ständen sie nicht in so starkem, inszenatorischem Gegensatz zu den katastrophalen Ereignissen um sie herum.

Leider kann der Regisseur auch hier nicht auf sein quälendes Markenzeichen verzichten, ausgerechnet in Nahaufnahmen zittrige, handgeführte Kamera einsetzen zu lassen. Dabei hat sich der Katastrophen-erprobte Norweger Pål Ulvik Rokseth – „Die Todeswelle“ oder „Todesfalle Nordsee“ – bildgestalterisch wirklich atemberaubende und furchterregende Einstellungen und Szenenfolgen einfallen lassen. Er versteht nicht nur die Zuschauenden tatsächlich auch in die Feuerszenarien zu bringen, sondern auch das ganze Chaos während der Evakuierung in vollem Umfang aufzuzeigen. Die Effekte-Firmen sind für den Realismus von mindestens 80 Prozent des Filmmaterials verantwortlich. Und was diesen Realismus angeht, haben sie wirklich Erstaunliches geleistet.

Lost Bus 3 (c) APPLE TV+

Mit einem den Atem raubenden Sound Design und angsteinflößenden Ton Effekten, verfehlt der Film seine angedachte Wirkung nicht. Vielleicht hat Paul Greengrass im Showdown etwas übertrieben – zumindest dies sei ihm verziehen – aber wie Bild und Ton zusammenspielen, reißt einen mitten hinein. Was selbst nur auf dem Bildschirm sehr beängstigend wird. Leider auf wahren Begebenheiten, ist „The Lost Bus“ selbst mit Abstrichen, der beste und ehrlichste Katastrophenfilm seit Jahren. Es schockiert, wie ohnmächtig der Mensch gegen Urgewalten ist. Noch dazu, wo sie von ihm selbst verursacht werden. Wie die kalifornischen Flächenbrände von 2025.

Lost Bus 1 - (c) APPLE TV+Darsteller: Matthew McConaughey, America Ferrera, Yul Vazquez, Ashlie Atkinson, Kate Wharton, Kimberli Flores, Nathan Gariety u.a.

Regie: Paul Greengrass
Drehbuch: Paul Greengrass, Brad Ingelsby
Nach dem Buch von Lizzie Johnson
Kamera: Pål Ulvik Rokseth
Bildschnitt: Peter Dudgeon, William Goldenberg, Paul Rubell
Musik: James Newton Howard
Produktionsdesign: David Crank
USA / 2025
129 Minuten

Bildrechte: APPLE TV+
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