Drive-In: STRASSE ZUM JENSEITS

Across 110th Street Drive-In

ACROSS 110th STREET
Bundesstart 19.04.1973 – Release 19.12.1972 (US)

Aus ABGESCHMINKT, Ausgabe Mai 1973, deutsche Kinofassung:
Across 110th Street a - © UNITED ARTISTS / WARNERSeit einigen Jahren drängen immer mehr Filme in die Kinos, die vornehmlich auf ein schwarzes Publikum ausgerichtet sind. Es sind keine Filme die einen intellektuellen Anspruch erfüllen. Schwarze Regisseure bedienen sich im übertriebenen Maße bei den Stereotypen und Klischees, wie Schwarze im vornehmlich von Weißen produzierten Filme dargestellt und wahrgenommen werden. Der amerikanische Bürgerrechtler Junius Griffin hat erst kürzlich dafür den Begriff ‚Blaxpoitation‘ geprägt. Es ist ein Kofferwort, das die Ausbeutung von eben jenen Klischees und Stereotypen der schwarzen Gesellschaft beschreibt. Gangster werden zu Helden, und ihre überzogenen Gewaltexzesse von einem belustigten Publikum gefeiert. Es sind moralisch sehr fragwürdige Filme, die allerdings ihre Rechtfertigung im System der soziopolitischen Ungerechtigkeit ihres Landes finden. Produzent Anthony Quinn hat nun so einen Film gemacht. Allerdings mit dem renommierten, aber weißen Regisseur Barry Shear.

Anthony Quinn hat hier auch selbst die Hauptrolle übernommen. Nach Angaben haben Burt Lancaster, John Wayne und Kirk Douglas die Rolle des Hauptkommissar Mattelli abgelehnt. Mattelli muss mit dem aufstrebenden Polizeileutnant Pope ein Massaker an Bandenmitgliedern aufklären. Drei als Polizisten verkleidete Schwarze überfallen eine Geldübergabe zwischen zwei Gangsterfamilien. Durch ein Missgeschick werden alle Bandenmitglieder erschossen, die falschen Polizisten können mit 300.000 Dollar unerkannt fliehen (Anm.d.R.: 2024 etwa ein Wert von 2,3 Millionen Dollar). Das alles geschieht in Harlem, einem Stadtteil von Manhattan in New York. Harlem ist ein vornehmlich von Schwarzen bewohntes Viertel mit hoher Armutsrate. Die im Originaltitel des Films genannte 110. Straße bezeichnet die Grenze zu den nobleren Gegenden in der Stadt. Nach dem Roman des kaum bekannten Wally Ferris, hat Krimispezialist Luther Davis das Drehbuch geschrieben. Es ist in erster Linie ein Kriminalfilm, der seine Faszination allerdings aus der ungeschönten Milieustudie bezieht. Die eine Bande mit schwarzen Mitgliedern, kommt aus Harlem, die anderen sind Teil einer italienischen Familie. Der Überfall verstärkt die kulturellen Spannungen zwischen den Banden.

Kommissar Mattelli und Leutnant Pope müssen nun im Hexenkessel von Harlem die drei Räuber finden, bevor es die Gangsterbanden tun. Doch die Zusammenarbeit der beiden Polizisten gestaltet sich schwierig. Der altgediente Mattelli ist ein fremdenfeindlicher Hitzkopf, der gelegentlich sogar Schmiergeld nimmt. Der junge Pope hingegen ist besonnen, und er ist schwarz, zum Vorteil bei den Ermittlungen. Es werden auch die Geschichten der drei Räuber erzählt, die aus unterschiedlichen Gründen ihre Tat begangen haben. Vorrangig ist es jener nachvollziehbare Traum von einem besseren Leben, von einem Leben wie Jenseits der 110. Straße. Doch dann ist da noch Nick D’Salvio, der von Anthony Francosia gespielt wird, er ist der Schwiegersohn des italienischen Familienoberhauptes und muss sich bewähren, beim Auffinden des Geldes und einem Exempel an den Räubern. Nun werden die Diebe jener 300.000 Dollar gleich von drei Seiten gejagt. Doch auch die zwei Gangsterfamilien bekommen sich ständig brutal in die Haare, sowie die zwei ermittelnden Beamten, die sich ebenfalls ständig gegenseitig angehen. Es ist ein düsterer, unschöner Film, den Barry Shear gemacht hat.

Across 110th Street d - © UNITED ARTISTS / WARNER

Mit einer neuartigen Kamera, von der deutschen Firma Arri, gelingt es dem Kameramann Jack Priestley sehr authentisch wirkende Bilder zu machen. Das Auge der Kamera ist auch mit im Geschehen, steht zwischen den Akteuren, der Zuschauer wird zum Beteiligten. Die neue Kameratechnik macht das möglich. Die Authentizität und Nähe ist allerdings bisweilen sehr unbequem und verstörend. Die Darstellung von Gewalt ist ein wesentlicher Bestandteil des Films, wie ihn der Regisseur inszeniert. Es geht manchmal an die Grenze des Ertragbaren, wenn Menschen in Blutfontänen niedergeschossen werden, oder Leute ihre Gegner als Machtdemonstration einfach halbtot prügeln. Das mag realistisch sein, wirkt hier aber wie reine Zurschaustellung. Genau wie es diese Art von Filmen beabsichtigen, die Junius Griffin Blaxpoitation nennt. Es bleibt zu hoffen, dass sich dieser Trend von verherrlichender Amoralität und Gewalt nicht weiter verbreitet, und Spannungsfilme wieder zurück zu einem guten Maß von Anstand finden.

Across 110th Street c - © UNITED ARTISTS / WARNER

Erstaunlich ist die Ausarbeitung und Darstellung der einzelnen Protagonisten. Anthony Quinn, wie schon auch angemerkt auch Produzent des Films, ist als Kommissar Mattelli ein Mensch der sich seiner Verfehlungen und Schwächen bewusst ist, aber am Ende dem Gesetz Genüge tun möchte. Quinn überzeugt auch mit körperlichem Einsatz der einen richtiggehend fesselt. Einen starken Eindruck hinterlässt der nur durch Nebenrollen bekannte Yaphet Kotto. Der schwarze Leutnant Pope überzeugt durch eine eigenwillig ruhige Ausstrahlung. Trotz seiner immens körperlichen Erscheinung bewegt sich Pope, ganz anders als sein aufbrausender Partner Mattelli, mit Besonnenheit und ehrlichen Worten durch das schwierige Milieu der Gangster. In dem ganzen Umfeld von Totschlägern, Halbkriminellen und Korruption sticht der überraschende Anthony Francosia hervor. Franciosa spielt den sich bewährenden Schwiegersohn D’Salvio. Ganz ausgezeichnet zwischen Überheblichkeit und überspielter Nervosität. Man sieht ihm förmlich an, wie viel für ihn auf dem Spiel steht, wenn er vor der Familie versagen würde.

Across 110th Street b - © UNITED ARTISTS / WARNER

Es wäre an dieser Stelle falsch, nur wegen der ohnehin nicht davon zu trennenden Gewaltdarstellung, den starken Qualitäten von „Straße zum Jenseits“ abzuschwören. Das Schauspiel ist beeindruckend, wenngleich beängstigend real in seiner rohen Form. Durch seine konsequente Regie gelingt Barry Shear ein sehr spannender und immer mitreißender Kriminalfilm. Die Spannung kommt aber auch aus den authentischen Rollen, die trotz ihres brutalen und gesetzlosen Verhalten, auch immer wieder Verzweiflung und Ausweglosigkeit zeigen. Der Film gipfelt in einer atemberaubenden Verfolgung, in der die Sinnlosigkeit von Gewalt und das Schicksal der Protagonisten als Höhepunkt zusammengefasst sind. Schlichtweg grandios ist, was am Ende mit dem geraubten Geld passiert. Filme wie dieser, wollen mit ihrer starken Übertreibung und moralischen Verzerrung eine fragwürdige Form von Unterhaltung bieten. Aber das Ende kann dann doch zum Nachdenken anregen.


Across 110th Street - © UNITED ARTISTS / WARNERDarsteller: Anthony Quinn, Yaphet Kotto, Anthony Franciosa, Antonio Fargas, Paul Benjamin, Ed Bernard, Richard Ward, Norma Donaldson u.a.

Regie: Barry Shear
Drehbuch: Luther Davis
nach dem Roman von Wally Ferris
Kamera: Jack Priestley
Bildschnitt: Byron ‚Buzz‘ Brandt, Carl Pingitore
Musik: J.J. Johnson
Songs: Bobby Womack, J.J. Johnson
Art Director: Perry Watkins
USA / 1972
102 Minuten

Bildrechte: UNITED ARTISTS / WARNER
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