LA TOUR DE GLACE
a.k.a. THE ICE TOWER
– Bundesstart 18.12.2025
– Release 17.09.2025 (FR)
Es ist ein interessanter Ansatz von Regisseurin Lucile Hadzihalilovic, Andersens Kunstmärchen „Die Schneekönigin“ zu interpretieren. Die essenziellen Züge der Geschichte, die Zeichnung der Figuren, schmückende Elemente. Die goldene Kutsche ist durch einen ausladenden Mercedes ersetzt. Hadzihalilovics Film spielt Anfang der 1970er. Die sechzehnjährige Waise Jeanne wohnt bei einer Pflegefamilie in den Südtiroler Alpen. Die Einsamkeit nach dem Tod ihrer Mutter und die Sehnsucht nach wirklicher Geborgenheit treibt sie in die Stadt. Unterschlupf findet sie in einem Gebäude, in dem der Film „Die Schneekönigin“ gedreht wird – mit der berühmten und verführerischen Christina van den Berg. Durch gewisse Umstände wird Jeanne ein Extra im Film. Die schwierige und meist verbitterte Christina findet Gefallen an Jeanne, und es entwickelt sich eine komplexe Beziehung zwischen den beiden unterschiedlichen Menschen.
Man kann sich nur schwer der Faszination dieser beiden Schauspielerinnen entziehen. Als Filmdebütantin kann Clara Pacini sehr elegant und einnehmend mit dem charismatischen Urgestein Marion Cotillard Schritt halten. Pacini als offene und neugierige Jeanne bleibt mit Cotillard als mysteriöse und verschlossene Christina immer auf darstellerischer Augenhöhe. Die Regisseurin inszeniert dies aber nie als Wettbewerb zwischen den Darstellerinnen, sondern nutzt deren Polarität für manchmal subtiles, manchmal rigoroses Machtspiel zwischen Jeanne und Christina.
Natürlich verstärkt sich das Dilemma der beiderseitigen Abhängigkeit durch das Szenario des Film-im-Film. Jeanne und Christina sind äquivalent zu Gerda und der Schneekönigin im Märchen. Doch für die außenstehenden Zuschauenden lässt Hadzihalilovic immer mehr die eigentlich klare Linie zwischen Realität und Filmaufnahmen verschwinden. Und nach und nach verschieben sich auch ihre individuellen Charakterzüge. Das Märchen wird zur Wirklichkeit, die Wirklichkeit wird zum Traumgebilde.
Es ist tatsächlich schwer sich der Faszination von Pacini und Cotillard zu entziehen. Das Einzige was bleibt, in einer sonst mäßigen Inszenierung. Hadzihalilovic hat das Drehbuch zusammen mit Geoff Cox und Alante Kavaite geschrieben – nicht die erste Kollaboration des Trios. Und das Dreiergespann ist auch merklich bedacht darauf, dass Szenario so fern vom Mainstream zu halten, wie möglich. Besonders in der ersten halben Stunde nimmt der Film viel komplizierte Umwege, um die Geschichte überhaupt in Gang zu bringen. Nur mit viel Verständnis können zu Anfang immer wieder Parallelen zur Vorlage gezogen werden. Die wirken eher bemüht, aber keineswegs organisch.
In der Inszenierung selbst, will Lucile Hadzihalilovic auch nicht von einem nüchternen 70er-Jahre-Ambiente ablassen, in welcher die Handlung spielt. Die Bilder von Jonathan Ricquebourg sind durchweg kalt. Die filmische Wirklichkeit wird in braun-orangen, aber wenig einladenden Tönen dargestellt. Die Filmszenen sind in eintönigem Stahlblau gehalten, ganz nach der Welt der Schneekönigin. Ricquebourgs Kameraeinstellungen bleiben dabei ebenso leidenschaftslos, wie das Farbkonzept. In seiner Umsetzung beraubt sich der Film in allen Elementen von atmosphärischer Poesie.
Lucile Hadzihalilovic widersetzt sich jeder Form von magischen oder märchenhaften Möglichkeiten. Seien es die realen Drehorte, oder die im-Film-Kulissen, die Geschichte bleibt stets in rational nüchternen Settings. Der Verzicht auf künstliche Lichtsetzung macht es zusätzlich schwierig, den beiden hervorragenden Hauptdarstellerinnen auf ihrer imaginär phantastischen Ebene zu folgen. Warum eine namhafte Größe wie August Diehl in einer nichtssagenden Nebenrolle involviert ist, bleibt schleierhaft. Das Märchen in die Realität zu übertragen, scheitert am eigenen Anspruch.
Darsteller: Marion Cottillard, Clara Pacini, August Diehl, Gasper Noé, Aurélia Petit u.a.
Regie: Lucile Hadzihalilovic
Drehbuch: Lucile Hadzihalilovic, Geoff Cox, Alante Kavaite
Kamera: Jonathan Ricquebourg
Bildschnitt: Nassim Gordji Tehrani
Sound Designer: Ken Yasumoto
Produktionsdesign: Julia Irribarria
Deutschland, Frankreich, Italien / 2025
117 Minuten

