Heimkino: KLEINE DINGE WIE DIESE

Small Things - (c) PLAION PICTURESSMALL THINGS LIKE THESE
– VoD + DVD / Blu-ray 25.09.2025
– keine deutsche Kinoauswertung
– Release 01.11.2024 (GB)

Sheila O‘Malley hob in ihrer Rezension, kurz nach der Premiere, die Tonebene des Films hervor. Für sie ist der Ton essenzieller Teil. Und tatsächlich – Dank des unterschwelligen Designs ist es nichts was sich aufdrängt, aber wahrgenommen wird. Da sind zum Beispiel die Kirchenglocken. Natürlich sind sie zu hören, es ist die eingängige Atmosphäre für eine kleine irische Gemeinde, wie diese. Ein heimisches Gefühl. Das Sound Design übernahm der Komponist des Soundtracks, Senjan Jansen. Für den Abspann hat Jansen auch nicht wirklich Musik komponiert, sondern eine atmosphärische Tonkollage gemischt. Und jetzt im Abspann, werden die Kirchenglocken zum Zeichen des Unheils. Bis dahin hat „Peaky Blinders“-Regisseur Tim Mielants einen langen Weg zurückgelegt. Und bis dahin kann man immer wieder die Atmung von Darsteller Cillian Murphy hören, die unnatürlich laut über die Szenerie gemischt wurde. So, als würde es gleich aus ihm herausbersten, der Schrei über die Ungerechtigkeit in der Welt – in seiner Welt.

Wer Claire Keegans Novelle gelesen hat, weiß auch zu welcher Zeit Tim Mielants Adaption angelegt ist. Ansonsten geben uns Dexys Midnight Runners einen musikalischen Hinweis. Wer Claire Keegans Novelle gelesen hat, weiß auch wovon der Film handelt. Das ist in gewisser Weise äußerst schade. Allerdings hantiert der Regisseur auch mit einem zweischneidigen Schwert, das in unsere mitfühlende Seele schneidet. Edna Walsh hat die Novelle sehr präzise in Drehbuchform gebracht. So bleibt für ein unbedarftes Publikum lange Zeit unklar, worauf der Film hinaus will. Dieses Publikum müsste dann aber auch etwas von den grundlegenden Hintergründen der Geschichte wissen.

Im Mittelpunkt steht der Kleinunternehmer Bill Furlong, der in der katholisch geprägten Gemeinde New Ross, Irland, Kohle und Heizmittel vertreibt. Cillian Murphy ist dieser Bill Furlong, und er hat die Geschichte seiner Figur den Herren Matt Damon und Ben Affleck ans Herz gelegt, die den Film dann auch produziert haben. Und diese Geschichte ist keine große Studio-Angelegenheit. Es muss ein bescheidener, unabhängig produzierter Film sein, denn „Small Things like these“ ist schwierig, weil er nicht wirklich erzählt. Tim Mielants zeigt und beobachtet. Die Kamera von Frank van den Eeden sieht Bill meist über die Schulter. Wie er zu Kunden fährt, wie er Kohlesäcke schleppt, wie ihm die Schulter schmerzt, wie er sein verspätetes Abendessen zwischen seinen 5 Kindern einnimmt, wie er Nachts nicht schlafen kann und über seine Kindheit sinniert.

Small Things a - (c) PLAION PICTURES

Es gibt kaum klärende Dialoge, nur Alltagsgespräche und Floskeln. Bill Furlong ist ein guter Mann, ein gütiger Mensch, ein Familienvater, der lieber zwischen seinen lärmenden Kindern sitzt, anstatt sich in Ruhe vom Arbeitsalltag zu erholen. Das ist Cillian Murphy, der so unglaublich viel ausdrücken kann, wenn er einfach nichts sagt. Und ab und an wechselt Tim Mielants zu einer anderen Geschichte. Die eines Jungen, dessen Mutter Haushälterin bei einer reichen Witwe ist. Eine Witwe, die den Jungen aufnehmen wird, als unvermittelt seine Mutter stirbt. Es sind Rückblenden – was der Film aber für lange Zeit zu verschleiern weiß. Rückblenden auf die Kindheit von Bill Furlong.

Natürlich haben die Ereignisse in der Vergangenheit einen direkten Einfluss auf den Bill Furlong, der sich rechtschaffend durchs Leben bewegt, und ein respektiertes Mitglied in der funktionierenden Gemeinde ist. An dieser Stelle sollte vermieden werden weiter über die Handlung zu reden. Was allerdings unheimlich schwer fällt. Doch zu stark würde der Film von seiner berührenden Kraft verlieren, die er exakt durch seine fast schon zähe, vollkommen unabsehbare Erzählweise gewinnt. Still, nachdenklich, verunsichert, aber nie verschlossen. So beeindruckend es sein mag, bleibt dennoch für lange Zeit völlig unklar, wohin uns der Weg führen wird den Murphy traumwandlerisch, aber mit faszinierender Anziehung durch den Film geht. Sollte das genügen, diesen Film zu sehen – den dann auch niemand bereuen wird – sollte ab hier nicht weiterlesen…

Small Things c - (c) PLAION PICTURES

Zu Bill Furlongs täglichen Touren um Kohle auszuliefern gehört auch das von katholischen Schwestern geleitete Magdalenen Institut für „gefallene Mädchen“. Wer mit diesen Institutionen vertraut ist, bekommt eine ungefähre Ahnung worauf Geschichte hinauslaufen wird. Aber nur ungefähr, denn das Schicksal der misshandelten und ausgebeuteten Mädchen, die entweder Waise, oder unverheiratet schwanger, oder beides waren, liegt im krassen Gegensatz zu Bills eigener Vergangenheit.

Das derbe Schicksal von Magdalenen-Insassinnen wurde in anderen Filmen bereits viel expliziter behandelt. Wie in Peter Mullens „Magdalene Sisters“ von 2002, in dem Eileen Walsh die weibliche Hauptrolle spielt. Zwanzig Jahre später spielt Eileen Walsh die Ehefrau von Bill Furlong. Mielants vermeidet den Aufschrei, das überzogene Drama, die wütende Anklage. Auf ungewöhnlich ruhige und anspruchsvoll subtile Weise macht der Film die Verhältnisse zwischen der Gemeinde und dem Einfluss der Kirche deutlich. Der beiläufige Hinweis eines Freundes, oder ein nebensächlich scheinender Rat von der Ehefrau. Furlong soll sich raushalten aus dem was er beobachtet hat.

Claire Keegans Geschichte findet einen ganz eigenen Ansatz, das brutale Leben in den Magdalenen-Institutionen mit dem Schicksal von Bill Furlong zu verbinden. Er ist kein Held, kein Eiferer, nur jemand der sein unfassbares Glück im Leben begriffen hat, und zu schätzen weiß. Tim Mielants nimmt sich außergewöhnlich viel Zeit die Kulisse aufzubauen, es ist trotz Murphy eine herausfordernde Zeit, weil der Regisseur auch auf emotionale Spannungsbögen in der ersten Stunde verzichtet.

Umso intensiver entfaltet sich die finale Halbestunde. Es ist ein mutiger Film, nicht wegen des Themas, sondern wie er strukturell umgesetzt ist, und Versatzstücke nutzt, um sie von innen nach außen zu drehen. Im Abspann wird angegeben das 56.000 Mädchen zwischen 1922 und 1998 in den unzähligen Magdalenen-Institutionen missbraucht und ausgebeutet wurden. Anderorts sind niedrigere Zahlen zwischen 20.000 und 30.000 zu finden, was ohne Bedeutung sein sollte – jedes einzelne Mädchen war zu viel. Immer wieder hört man über dem Film die übernatürlich laut abgemischte Atmung von Bill Furlong. So, als würde es gleich aus ihm herausbersten, der Schrei über die Ungerechtigkeit in der Welt – aber dieser Schrei kommt letztendlich aus uns Zuschauenden.

Small Things b - (c) PLAION PICTURES


Darsteller: Cillian Murphy, Eileen Walsh, Michelle Fairley, Emily Watson, Clare Dunne, Zara Devlin u.a.

Regie: Tim Mielants
Drehbuch: Enda Walsh
nach dem Buch von Claire Keegan
Kamera: Frank van den Eeden
Bildschnitt: Alain Dessauvage
Musik: Senjan Jansen
Produktionsdesign: Paki Smith
Irland – Belgien – USA / 2024
98 Minuten

Bildrechte: PLAION PICTURES
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