RELAY
– Bundesstart 25.09.2025
– Release 21.08.2025 (AUS)
Preview Kinofest, 14.09.25, Cineplex Fürth
Warum einen originalen, englischen Filmtitel mit einem anderen Filmtitel in Englisch ersetzen? Das wird das ewige Geheimnis stupider, deutscher Verleiher bleiben. Unabhängig davon, „The Negotiator“ ist ein guter und spannender Film. Besonders in der ersten Hälfte erinnert er an die Paranoia-Thriller der 1970er. Was-wäre-wenn-Szenarios in denen die Heldenfigur den Häschern immer einen Schritt voraus sein muss, ohne zu wissen, was diese tatsächlich antreibt. Im Vergleich zu jenen Filmen aus den 1970ern, muss man bei David Mackenzies Film allerdings schon Abstriche machen, der nach einem Drehbuch von Justin Piasecki entstanden ist. Das Buch war 2019 auf der Black List der beliebtesten nicht-produzierten-Filme zu finden. Die Black List betont das ‚beliebteste Script‘, was nicht mit ‚bestes Script‘ verwechselt werden darf. Und hier wird es interessant, denn diesem Paranoia-Thriller kommt im Verlauf abwechselnd entweder der Thrill oder die Paranoia abhanden. Leider nicht die einzigen Abstriche.
Immer wieder hört man in Filmen die Drohung: „Sollte mir etwas zustoßen, gehen alle Beweise an die Polizei und alle Zeitungen der Welt.“ Wer sich schon immer gewundert hat, wie das funktioniert, der bekommt bei diesem Film eine ausführliche Antwort, ebenso wie die junge Sarah. Die wollte eigentlich ihre Firma mit kompromittierenden Beweisen bloßstellen, will diese Dokumente nun doch lieber zurückgeben, aber dafür die Zusage nicht mehr behelligt zu werden. Sarah bekommt die Nummer eines ‚Services‘, den sie nur über einen Relay-Dienst erreicht. Diese – real existierenden – Dienste schalten sich zwischen zwei miteinander telefonierende Parteien, von denen einer, oder beide Gesprächspartner gehörlos sind. Die/der Gehörlose empfängt oder sendet über ein – real existierendes – Schreibtelefon via des Relay-Dienstes.
Sarah erreicht am anderen Ende Ash. Der ist nicht gehörlos, aber das Schreibtelefon ist als veraltetes Kommunikationsmittel die sicherste Verbindung in unserem digitalen Zeitalter. In Ashs Geschäft ist es üblich, und auch die Garantie für beider Parteien Sicherheit, dass sich Klient und Dienstleister niemals sehen oder kennenlernen. Da die Klientin aber Lily James ist, und der Dienstleister von Riz Ahmed gespielt wird, ist die zweite Hälfte des Films keine wirkliche Überraschung. Egal wie sehr sich die Inszenierung bemüht, der Grundidee Folge zu leisten, und damit Spannung zu halten.
Natürlich ist ein Trupp an finsteren Gestalten Sarah auf den Fersen, und deren Anführer wird von Sam Worthington gespielt. Und Worthington spielt den Antagonisten mit so viel ungewöhnlicher Zurückhaltung, dass sich schnell die Frage ergibt, ob er tatsächlich zu den Bösen gehört, oder vielleicht selbst zur großen Überraschung im Verlauf werden könnte. Aber selbst Worthington schafft es nicht den Fokus von Riz Ahmed abzulenken. Ahmed ist zweifelsfrei einer der besten Darsteller der jüngeren Generation, der aufpassen muss, sich nicht durch konventionelle Filme vereinnahmen zu lassen. „The Negotiator“ ist zwar ein konventioneller Film, im Sinne seiner Ausrichtung auf ein Mainstream-Publikum, aber ein Film der einen Riz Ahmed braucht um zu funktionieren.
Gerade die erste Hälfte wird von der spürbaren Energie des Hauptdarstellers getragen. Ahmed hat in diesen ersten 50 Minuten auch keinen Text. Wie er mit Lily James‘ Sarah kommuniziert, wie er sie von einem Punkt zum nächsten dirigiert, wie er durch sie falsche Fährten für die Verfolger legen lässt, immer mit verschiedenen Verkleidungen in ihrer Nähe, und dazwischen immer die vibrierenden Zwischenschnitte aus der Relay-Dienststelle. Das ist in erster Linie Riz Ahmeds stets sensitive Präsenz, dessen unterschwelliges Spiel sich aber intensiv aufs Publikum überträgt.
Bei allem Respekt vor dem Darsteller, ist es natürlich David Mackenzies dichte Inszenierung, die dem Film ein bemerkenswertes Tempo gibt, aber mit exakt getroffenen Momenten, kurz einmal durchatmen zu können. Aber ohne die punktgenaue Montage des bislang unauffälligen Matt Mayer, würde „The Negotiator“ nicht diese Intensität erreichen. Mayer weiß welches Bild zu welcher Zeit, und wie lange. Da werden verschiedene Umschläge verschickt, diverse Schließfächer bemüht, am Schreibtelefon neue Kennwörter vergeben, es gibt raffinierte Täuschungsmanöver, und Menschen werden gegeneinander ausgespielt. Und immer wieder spielt der Regisseur mit seinem Publikum, und streut sehr geschickt falsche Fährten. Ein Beleg wie Spannungskino durch optimale Symbiose von Regie und Schnitt noch effektiver werden kann – und sollte.
So perfekt sich manche Elemente in allen künstlerischen und technischen Bereichen präsentieren, ist David Mackenzies Film im Gesamten weniger brillant. Spannend inszeniert, ja durchaus. Sehr gut gespielt, ohne Zweifel. Aber im Nachhinein betrachtet hat der Film viel zu viele Zufälle in seinem Ablauf, als das die ganzen raffiniert orchestrierten Manöver dann wirklich in sich geschlossen wären. Und er zaubert am Ende ein Kaninchen aus dem Zylinder, das nach Einfallslosigkeit schreit. David Mackenzie hat mit „Hell or High Water“ und „Starred Up“ Filme vorgelegt, die ohnehin schwer einzuholen sind. Ein Paranoia-Thriller der 1970er ist „Negotiator“ dann doch nicht.
Darsteller: Riz Ahmed, Lily James, Sam Worthington, Willa Fitzgerald, Jared Abrahamson, Pun Bandhu u.a.
Regie: David Mackenzie
Drehbuch: Justin Piasecki
Kamera: Giles Nuutgens
Bildschnitt: Matt Mayer
Musik: Tony Doogan
Produktionsdesign: Jane Musky
USA / 2024
112 Minuten