– Bundesstart 20.11.2025
– Release 22.10.2025 (FIN)
Immer wieder kommen Filme daher, die so unscheinbar und wenig beworben sind, dass sie selbst hart gesottenen Cineasten erst einmal entgehen. Und von Zeit zu Zeit kommt einer dieser unscheinbaren, kaum beworbenen Filme daher, die so einzigartig sind, dass sie bereits zum verdienten Kult-Klassiker werden noch bevor die Mundpropaganda abgeebbt ist. So ein Film ist Jalmari Helanders „Sisu“. Ein Film der so schmählich im Kino behandelt wurde, dass seine wahre Stärke für den größten Teil des begeisterten Publikums gar nicht wahrgenommen wurde. Das war einfach die große Leinwand. Ein ultrabrutales Spektakel, welches sich mit Kjell Lagerroos‘ phantastischen Kamerabildern zum überwältigenden Epos steigerte. Die Geschichte des ehemaligen Elitesoldaten und jetzigen Goldgräbers Aatami Korpi, der 1945 von aus Finnland abziehenden Nazis zum Äußersten gezwungen wird. Jetzt ist es 1946, und Russland hat Gebiete von Finnland annektiert. Auch das Stück Land, welches der wortkarge Korpi in früheren Zeiten mit Frau und zwei Kindern bewohnt hat. Jetzt ist er gekommen um sein Haus Balken für Balken abzubauen, um es auf finnischem Territorium wieder aufzubauen.
Erst die Deutschen, jetzt die Russen. Jalmari Helander hat nicht lange suchen müssen, um der Stimme des Kinovolkes folgen zu können. Und er folgt auch den Gesetzmäßigkeiten des Kinos selbst. Man nehme die stilbildenden Elemente und überhöht sie. Und weil die Überhöhung des ersten Films bedeuten muss, dass der Nachfolger eine Karikatur seines Selbst wird, liefert Jalmari Helander genau das: Die Live-Action Version eines Cartoons am Samstagmorgen. Und was will man sagen – es ist grandios.
Was fehlt ist ganz offensichtlich Kjell Lagerroos Kameraarbeit. Lagerroos hat Lappland zu einem Charakter werden lassen, hat ein eigentlich fremdes Land in all seiner Trostlosigkeit in etwas Wunderbares verwandelt. „Sisu: Road to Revenge“ ist ein überwältigendes, abgefahrenes Spektakel, aber bei Mika Orasmaas Verständnis für Landschaftsaufnahmen hätte dieser Film auch in Niedersachsen gedreht sein können. Doch die Action stimmt, da darf kein Zweifel aufkommen, hier ist das Verständnis perfekt.
Und wie Juho Virolainen diese Aufnahmen montiert, ist pure Achterbahnfahrt – allerdings ohne die einhergehende Übelkeit. In jeder Sequenz der extrem kurzweiligen 88 Minuten, ist die innige Harmonie zwischen Kamera, Schnitt und Regie tatsächlich spürbar. Jeder Moment ist stimmig, weil Virolainen selbst zeitlich widersprüchliche Bildfolgen raffiniert zu kürzen versteht, um Szenen eine schlüssige Dynamik zu geben.
Der KBG erfährt schnell, das Korpi die Grenze überquert hat. Jener Kerl, der während des Kriegs eigenhändig 300 russische Soldaten umgebracht hat. Der KGB schickt einen Soldaten, der noch viel skrupelloser ist, als es Korpi je sein könnte – Yeagor Dragunov. Ja, genau so heißt jemand, wenn das Böse einen Namen braucht um den Comic-artigen Charakter zu unterstreichen. Nur Dragunov ist grausam genug den Mann mit dem Sisu zu töten. Sisu ist jener finnische Begriff, der sich nicht in andere Sprachen übersetzen lässt – aber Sisu manifestiert sich, wenn alle Hoffnung verloren scheint.
Hier hat der Film ein Problem. Von allen Stereotypen in Hollywood ausgerechnet Stephen Lang als Dragunov und Robert Drake als KGB Offizier zu besetzen nimmt viel von den dramaturgischen Möglichkeiten. Sie sind eingefahrene, nicht wandlungsfähige Darsteller, um in irgendeiner Weise der außergewöhnlichen Präsenz von Jorma Tommila etwas entgegensetzen zu können. Natürlich ist der Film – noch wesentlich überzogener als sein Vorgänger – ein schamlos bitterböser Exploitation-Kracher. Aber die funktionieren am besten mit originellen Figuren, und angemessenen Darstellern.
In dieser Richtung muss Jorma Tommila mit seinem schweigenden Aatami Korpi den Film alleine tragen. Und das tut er auf seine stoische, oft vor Wut bebende Weise absolut fantastisch. Tommila ist nach den Standards nicht der Typ des ‚Mannes der nicht sterben will‘, und genau das macht ihn perfekt. Keiner kann so viel Schmerzen ertragen ohne wirklich zu leiden. Und wer kann derart viel Rage mit einem einzigen Blick ausdrücken? Korpi muss es, denn seine Gegner haben die Hölle entfesselt.
Schwer zu sagen, ob Jalmari Helander wirklich so viel Fantasie hat, oder er einfach viel zu viel Tom gegen Jerry, oder Roadrunner gegen Coyote gesehen hat. Erneut ist der Film in Kapitel unterteilt, die auch halten, was die Überschrift verheißt. Von Anfang an geht Helander in die Vollen, und es stellt sich nach wenigen Minuten die Frage, wie der Film dieses Chaos und Gemetzel, diese Wucht und so viel Tod durchhalten soll. Zugegeben, die letzte halbe Stunde ist tatsächlich etwas ruhiger, aber noch immer mehr als bei jedem ähnlich gelagerten Film. Also kann geneigter Fan beruhigt sein.
Die Anleihen bei „Indiana Jones“ und „Mad Max“ kann der Regisseur nicht verheimlichen, doch was er daraus macht ist nicht nur erstaunlich, sondern auch sehr eigenständig. Und es ist erstaunlich, wie ein mit einem Haus vollgepackter LKW die Gesetze der Physik außer Kraft setzt, und sogar Flugzeuge bekämpft. Für schwache Nerven sind nicht nur die Action-Szenen hochgradig belastend, sondern auch die höchst innovativen, und extrem grafischen Tötungsarten. Das Helander seinen Film in der Umsetzung selbst nicht so ernst nimmt, die Action wunderbar überfrachtet, und das Morden satirisch überzieht, entschärft ein klein wenig auch die düstere Grundstimmung, die sonst wahrscheinlich unerträglich wäre. Bis auf einige unzeitgemäße Trickeffekte, ist „Sisu: Road to Revenge“ schlicht und ergreifend wie eine Fortsetzung sein muss – und mit feinen Abstrichen – genau so, wie es sich der geneigte Fan nur wünschen kann.
Darsteller: Jorma Tommila, Stephen Lang, Richard Brake, Simba u.a.
Regie & Drehbuch: Jalmari Helander
Kamera: Mika Orasmaa
Bildschnitt: Juho Virolainen
Musik: Juri Seppä, Tuomas Wäinölä
Produktionsdesign: Otso Linnalaakso
Finnland, Großbritannien, USA / 2025
88 Minuten

