WILLKOMMEN UM ZU BLEIBEN

Mr K a - Courtesy NEUE VISIONENMR. K
– Bundesstart 14.08.2025
– Release 16.01.25 (NDL)

Es beginnt mit einer beeindruckenden Vorführung eines Illusionisten, unser Protagonist. Aber das Publikum im Parkett ist mehr am Essen und an Konversation interessiert. Es ergibt sich, dass jemand diese einführende Sequenz als Metapher einordnet. Filme wie „Mr. K“, ihr ganzer Aufbau, die Figuren, die Dialoge, alles trägt einen vorerst unscheinbaren Teil von Bedeutung. Meistens – aber dann sind es auch keine Filme wie „Mr. K“. Der reisende Illusionist, dessen Name im Film nie genannt wird, will bis zu seinem nächsten Auftritt in einem Hotel nächtigen. Es ist ein ausladender, viktorianischer Prachtbau, der schon bessere Zeit gesehen hat, der den Illusionisten am nächsten Morgen aber nicht mehr gehen lassen will. Tatsächlich macht der Film zuerst den Eindruck des bekannten Horrors von betörenden Orten, aus denen es einfach kein Entrinnen mehr gibt. Was etwas in die Irre führt, denn die Norwegerin Tallulah Hazekamp Schwab macht es ihrem Publikum nicht so einfach.

Den Amerikaner Crispin Glover in einer europäischen Produktion zu besetzen, trägt natürlich zu dem großen Mysterium bei, mit dem der Film einen überschüttet. Alles ist unbestimmt – Zeit, Ort, und Konzeption. Doch, um die Metaebene zu bemühen, Crispin Glover ist eigentlich zeit seiner Karriere der Darsteller für absonderliche Figuren. Doch hier ist er das einzig vernünftige Element. Alles andere ist surrealer Wahnsinn. Der Illusionist irrt durch die Gänge des Hotels, ohne den Ausgang zu finden. Einmal treibt ihn eine ganze Blaskapelle vor sich her, deren normalgewachsene Musiker aus Löchern in den Fußbodenleisten gekrochen sind. Ergibt das Sinn?

Eine Antwort können auch die irischen Schwestern Ruth und Sara nicht geben, die seit Jahren ihr Zimmer nicht mehr verlassen haben. Sie haben ja alles was sie brauchen. So wie Anton, der in der Großküche des Hotels arbeitet, und den ganzen Tag nur Eier aufschlägt, und sehnsüchtig auf Beförderung wartet, damit er die Eier endlich auch rühren darf. Metapher? Vielleicht. Die Beantwortung wälzt Filmemacherin Tallulah auf ihr Publikum ab. Immer mehr Menschen machen sich in den Gängen breit. Der Illusionist wird als Befreier gepriesen. Währenddessen verwelkt das Hotel.

Und das Hotel verwelkt tatsächlich. Die Farben blättern ab, Tapeten lösen sich langsam, Flure und Zimmer werden kleiner, und es stöhnt im Gebälk. Würde es an dieser Stelle mit dem Aufzählen aller Absurditäten weitergehen, wurde dieser Beitrag absurd lange weitergehen. Und doch bewegt sich unter diesem surrealen Spektakel ein seltsam einfaches Design – der Mensch, der in sich selbst gefangen ist.

Mr K - Courtesy NEUE VISIONEN

Ein klassisches Konzept von Kafka. Der Titel des „Mr. K“ kommt also nicht von ungefähr. Hingegen sind Parallelen zu „Der Prozess“ nur schwer zu ziehen, aber durchaus möglich. Crispin Glover spielt diese unscheinbare und deswegen entmachtete Figur mit entwaffnender Würde. Eine Würde die er sich selbst dann bewahrt, wenn er sich am Ende mit leidenschaftlicher Entschlossenheit gegen seine erdrückende Umwelt erhebt. Clover ist kein Held. Er trägt seine Verzweiflung still und leidend vor sich her, zeigt aber auch ansteckende Freude, wenn er Glück in seiner eigenen Leere findet.

Crispin Clover ist die treibende Kraft des Films, aber der wirklich Star ist das unglaubliche Produktionsdesign um Manolito Glas und Maarten Piersma. Ihr Team von Ausstattern, Set Designern, Handwerkern und der peniblen Continuity machen das Hotel nicht nur sinnbildlich zum Darsteller. Sie erwecken es wortwörtlich zum Leben. Gruß an dieser Stelle auch an die beeindruckende Tonmischung. Was mit dem maroden Charme einer Luxusherberge um 1900er Wende beginnt, wandelt sich stöhnend und ächzend, im fortschreitenden Verfall schrumpfend, zu einer für den Abriss bereiten Bruchbude. Und man fühlt mit der dahinsiechenden, ehemals stolzen Pracht.

Zwischen zwei herausragenden Darstellern steht eine sehr herausfordernde Geschichte, wenn man diese als solche bezeichnen will. Tallulah (auf Hazekamp Schwab wird im Marketing verzichtet) ist ausgesprochen rigoros in ihrer Vision, und rücksichtslos gegenüber dem herkömmlichen Erzählen. Die Filmemacherin vergeudet keine Zeit, und trotz der unentwegt wechselnden Settings und Umstände, treibt sie den Film auch noch ohne Leerlauf voran. Das ist manchmal schweißtreibend, meistens aber in seiner eigentlichen Absicht auch sehr unterhaltsam. Die äußerst dynamische Kamera von Martin Griebe unterstützt das Geschehen in jeder Einstellung, mit Perspektiven und Bewegungen, welche die Stimmung noch intensivieren. Was letztendlich den Film nicht einfacher macht. Aber von Kafka hätte man das schließlich auch nicht erwartet.

Mr K 2 - Courtesy NEUE VISIONEN


Darsteller: Crispin Glover, Bjorn Sundquist, Jan Gunnar Roise, Fionnula Flanagan, Dearbhla Molloy, Sunnyi Meiles u.a.

Regie & Drehbuch: Tallulah Hazekamp Schwab
Kamera: Frank Griebe
Bildschnitt: Maarten Janssens
Musik: Stijn Cole
Produktionsdesign: Manolito Glas, Maarten Piersma
Niederlande, Belgien, Norwegen / 2024
93 Minuten

Bildrechte: NEUE VISIONEN
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