HIGHEST 2 LOWEST

Highest 2 Lowest - © Courtesy of A24 / Apple– Release 15.08.2025
– APPLE TV+ ab 05.09.2025

Der jüngste Joint von Filmemacher Spike Lee ist ein Remake des Akira Kurosawa Klassikers „Zwischen Himmel und Hölle“. Und doch ist es kein Remake. Im Kern haben beide Filme dieselbe Idee, aber wie jeder der Regisseur damit umgeht, scheint eine ganz andere Geschichte. Scheint. So unterschiedlich sich beide Filme geben, so ähnlich sind sie sich auch. Toshiro Mifune war 1963 ein Schuhfabrikant, der die Anteilsmehrheit kaufen wollte, um die Tradition des guten Handwerks aufrecht zu halten. Im Hier und Heute ist Denzel Washington Musik-Mogul und der Gründer von Stackin‘ Hits Records. Das einst führende Label erlebt Einbrüche an Erfolgen, und würde deswegen eine Umstrukturierung erfahren. Doch Washingtons David King hat einen Coup vorbereitet, bei dem er auf einen Schlag die Anteilsmehrheit bei Stackin‘ Hits Records wieder erlangen könnte. Kurz vor der Übernahme meldet sich ein Erpresser, der Kings Sohn Trey entführt haben will, und dafür 17,5 Millionen Dollar verlangt. Natürlich ist der Musikproduzent umgehend bereit das Lösegeld zu zahlen. Doch dann stellt sich heraus, dass wegen einer Verwechslung, die Entführer den Sohn von Kings Chauffeur und Freund Paul festhalten. Trey ist frei und wohlauf.

Wie auch bei Kurosawa, teilt sich der Film in zwei Teile. Unabhängig der Ausrichtung dieser zwei Teile, über die gesamte Laufzeit zieht sich der Mantel eines Thrillers. Ein Thriller der sich allerdings nicht kategorisieren lassen will, aber immer in Bewegung. Es ist ein Film von Spike Lee, entsprechend unvorhersehbar bleiben auch die künstlerischen Entscheidungen. An dieser Stelle zu sagen, die Inszenierung ist in gewisser Weise uneben, oder hätte keinen richtigen Fluss, wäre zwar zutreffend, würde aber dem Film nicht gerecht. Lee ändert immerzu die Stimmung und das Tempo, und genau das entwickelt eine ganz eigene Spannung. Der Thriller sozusagen als Metaebene.

Die erste Stunde täuscht. Oberflächlich wirkt sie behäbig, ohne klares Ziel. Auch wenn die Musik von Howard Drossin anderes vermitteln möchte. Es fehlt eigentlich Lees alter Partner Terence Blanchard. Drossin versucht sich ebenfalls im pathetischen Bombast, verliert sich aber in den immer gleichen Tonfolgen. Läuft bei Spike Lee sonst die Musik als erweiterte Dramaturgie mit eigenem Charakter, sind Drossins sich wiederholende Stücke eher kontraproduktiv. Dennoch versteht der Film in der ersten Hälfte jede seiner Figuren genau zu definieren. Ihre Motivation und ihre Leidenschaft. Dabei glaubt man bei David King, dem ‚Mann mit dem besten Gehör in der Branche‘, auch ein überhebliches Selbstverständnis zu erkennen. Die Frage ist, ob dies zutrifft.

Die Polizei findet Sohn Trey wohlbehalten, weil die Entführer den falschen Jungen haben. David King soll dennoch bezahlen, von dem Geld, mit dem er sein Label zurückkaufen wollte. Aber warum für ein anderes Kind bezahlen, selbst wenn es der Sohn des Freundes und langjährigen Mitarbeiters ist? Kings verstörende Rechtfertigung wirkt wie ein Statement gegen soziale Verantwortung. Doch die komplexe Regie von Lee und die mitreißende Überpräsenz von Denzel Washington lassen bruchstückhaft erkennen, worin die wahre Motivation für den Musikproduzenten David King liegt.

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Spike Lee hat so viel zu sagen, und er sagt es. Er hat so viel zu zeigen, und er zeigt es. Er tut das im Schmelztiegel von New York, den er nie nur als Kulisse nutzt. New York ist bei Lee immer eine der Hauptdarsteller. Niemand sonst würde über Matthew Libatiques episch strahlende Postkarteneinstellungen von New York ‚Oh, what a beautiful Mornin“ aus „Oklahoma“ legen. Was widersprüchlich scheint, wird zu einer Hymne für eine Stadt die in den Augen von Spike Lee alles tragen kann. Eine pulsierende Stadt, die einen Denzel Washington in sich aufnimmt, und ihn mit seiner treibenden Energie freien Lauf lässt. Zu Beginn stellt er seine Selbstgerechtigkeit als King, der Mogul, zur Schau. Er redet und verhandelt, und lässt kaum Zweifel daran ein haltloses Ego zu haben. Erst recht beim Thema Lösegeld. Was sperrig und überzogen scheint, wird mit dem dominierenden Charisma des Schauspielers verzeihlich. Dabei ist leicht zu übersehen, was in dieser ersten Stunde von Spike Lee an Themen und Aussagen eingeflochten ist.

Musik, Finanzen, Religion, Soziale Medien, Oberschicht und Proletariat. Highest 2 Lowest. Die üblichen Verquickungen von Drama und sozialen Kommentaren, wie bei Spike Lee üblich. Eine fesselnde Geschichte scheint zu Anfang nicht existent. Erst später wird klar, wie vibrierend dieser langgezogene Einstieg in Wirklichkeit ist, und wie notwendig er war. Dramaturgisch gesehen, ist dies kein glücklicher Einstieg, der – zugegeben – erst einmal verwirrt. Die ständige Flut von diversen gesellschaftlichen Faktoren und kulturellen Einflüssen, und der gewöhnliche Aufbau scheinen zuerst nicht zusammenzupassen. Was die zweite Hälfte aber passend macht.

Spike Lee hat schon bessere Filme inszeniert. Denzel Washington hat schon in besseren Filmen gespielt. Aber im Duo zaubern sie eine Dynamik in den Film, die sich jeder Charakterisierung entzieht. Es herrschte eine ständig wechselnde Dynamik, und mit dieser laufen Regisseur und Hauptdarsteller in der zweiten Hälfte regelrecht Amok. Vater Mentor, Freund, Magnat, das war zu Beginn. Jetzt wird King zum nackten Menschen auf der Suche nach seiner eigenen Identität. Die Konfrontation mit dem Entführer ist kein Feldzug für Gerechtigkeit, keine Rache – unterschwellig ist es nicht einmal Gut gegen Böse. Es ist die Vergangenheit gegen die Gegenwart. Qualität gegen Neue Medien. Tradition gegen die Schnelllebigkeit. Der Entführer – herrlich verachtenswert A$AP Rocky – scheint auf den ersten Blick als einfältiger Dilettant, aber seine wahre Agenda ist die geniale, wie überaus logische Wendung im Spektakel. Highest 2 Lowest.

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Mehr noch als die Stadt, die als Charakter für sich steht, umgibt den Charakter David King ein beeindruckendes Ensemble von starken Darstellern. Jeffrey Wright, allen voran, als Freund und Chauffeur mit dubioser Vergangenheit. Oder in der Rolle der Gattin und als rationaler Gegenpol brilliert Ilfenesh Hadera. Und so zieht sich das bis in die kleinsten Nebenrollen. Nur durch so einen Pool von verlässlichen Darstellern kann einer wie Washington auch entsprechend entfesselt und mitreißend schwimmen, um trotz all der unkontrolliert freigesetzten Energie durchweg authentisch zu bleiben.

„Ist geht im Leben mehr, als nur darum Geld zu machen. Es ist Integrität. Das, wofür du stehst.“ – Aber David Kings eigene Worte werden auf die Probe gestellt. Und dem ist kaum zu widerstehen, gerade weil er sich der klaren Form, oder einer gefestigten Struktur entzieht. Fast – aber nur fast – wie Akira Kurosawas „Zwischen Himmel und Hölle“. Spike Lee hat so viel Kraft und Leidenschaft in seinen Film gesteckt, wie ein Film nur ertragen kann, wenn er noch Substanz behalten will. Lee und Washington, zwei Männer weit über 60, stellen sich einer veränderten Zeit, mit Integrität und dem, wofür sie stehen – und bei aller Liebe zu allen anderen Darstellern: Es ist Washingtons Film. David King ist stellvertretend, sich dieser neuen Zeit zu stellen. Und wenn der Showdown nicht mit Waffen, sondern im Battle Rap ausgetragen wird, ist das nicht nur eine Sternstunde für Denzel Washington, sondern eine besondere Art von innovativem Kino.

Akira Kurosawa hat bereits seinerzeit einen zukunftsweisenden Mix über seine Kultur und moralische Verantwortung als Thriller verpackt. Es ist durchaus anzunehmen, dass ihn erfreute hätte, wie die Weiterentwicklung der kulturell gesellschaftlichen Betrachtungen seines Films im Heute etwas wirklich Eigenes geformt hat.

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Darsteller: Denzel Washington, Ilfenesh Hadera, Jeffrey Wright, A$AP Rocky, Aubrey Joseph, Elijah Wright u.a.

Regie: Spike Lee
Drehbuch: Alan Fox
basierend auf dem Film von Akira Kurosawa
Kamera: Matthew Libatique
Bildschnitt: Barry Alexander Brown, Allyson C. Johnson
Musik: Howard Drossin
Produktionsdesign: Mark Friedberg
Japan, USA / 2025
133 Minuten

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