TRUE GRIT oder der Marshall und die mutige Mattie

Poster 2011

Als Charles Portis geboren wurde, da war zumindest in Arkansas vieles noch an der Tagesordnung, was man eher den rauen Sitten des sogenannten Wilden Westen zuschreiben würde. Da wurde noch ordentlich gehängt, und die gezogene Pistole auf dem Bürgersteig war nicht selten. Bestimmt gute Inspirationen, die zu einem Roman führten, der dann aber sechzig Jahre früher angesiedelt ist. Portis trat 1933 in El Dorado, Arkansas, ins Licht des Lebens, vollzog als guter Amerikaner eine kurze Armee-Karriere, studierte anschließend Journalismus und arbeitete fortan als Schreiber für diverse Zeitungen.

Jenseits von Saint Louis gibt es kein Gesetz. Jenseits von Fort Smith gibt es keinen Gott. Unter dem Gesichtspunkt dieses historischen Sprichworts und angetan von der geschichtlichen Bedeutung seines Heimatstaates Arkansas, setzte Portis diesem ein unaufdringliches Denkmal in Form des geschriebenen Wortes. Der Autor setzte sich bestimmt nicht mit der Absicht an die Arbeit, ein Meisterwerk zu schreiben oder ihm gebührende Berühmtheit einzufordern. Und genau das ist wahrscheinlich der Grund, warum TRUE GRIT so ehrlich, so unverspielt und ein derartig fesselndes Buch wurde.

Die Geschichte ist dabei so einfach, wie es ein Western nur sein kann. Ein Mädchen möchte den Mord an ihrem Vater gesühnt wissen. Charles Portis’ Sprache ist einfach, direkt und ohne schmückenden Verbal-Ballast. Er erzählt aus Sicht der 14-jährigen Mattie Ross, die einen Deputy-Marshall anheuert, der den Mörder ihres Vaters finden soll. Der Autor vermittelt mit seiner einfachen Sprache sehr geschickt, aber auch eindringlich, dass ein jugendliches Mädchen im Grenzgebiet zum Westen im 19 Jahrhundert mehr Lebenserfahrung und -weisheit hatte und auch brauchte, als man das heute einem gleichaltrigen Kind zumuten könnte. Dieser Ausdruck von Verstand, Weisheit und Lebenserfahrung von Mattie Ross ist auch der Hauptunterschied zwischen den beiden Verfilmungen aus dem Jahr 1969 und 2010. Die eine als kindischer Trotzkopf mit naivem Übermut, die andere mit vom Leben geprägter Bodenständigkeit und rationaler Finesse.

Sah Autor Portis seinen Roman als Abbild des Lebens im Mittleren Westen, sah die Filmproduktion die Geschichte als Vehikel für John Wayne. Der „Wahre Schneid“ wurde der Western-Legende in Drehbuchform auf den Leib geschneidert. Die eigentliche Hauptperson wurde in die zweite Reihe verschoben, auch wenn Kim Darby als Mattie Ross wesentlich mehr Zeit auf der Leinwand verbringen darf. Mattie Ross will den härtesten Deputy Marshall haben, einen mit richtigem Schneid, mit wahrem Mut, der den Mörder ihres Vaters ins indianische Territorium folgen und ihn dort dingfest machen soll. Rooster Cogburn ist dieser mit Augenklappe versehene harte Kerl. Einer, der schon alles gesehen und auch schon alles selbst angestellt hat.

Halten sich beide Filme sonst ziemlich genau an den Handlungsablauf des Buches, wird ironischerweise bei beiden Filmen ausgerechnet Deputy Marshall Rooster Cogburn in jeweils extra für den jeweiligen Film geschriebenen Szenen vorgestellt. 1969 ist es ein Gefangenentransport, der von John Wayne in typisch selbstgerechter Art begleitet und kommentiert wird, um den raubeinigen, aber gerechten Charakter des Deputy Marshalls sofort zu verdeutlichen. In Ethan und Joels neu geschriebener Szene von 2010 hat Jeff Bridges als neuer Rooster Cogburn anderes zu tun, macht aber seinen Charakter ebenso sofort verständlich. Es ist eine für die Coen-Brüder sehr typische, weil absurde Szene, legt aber auch den Ton für ihre Interpretation des Stoffes fest. Der Film ist schmutziger, ehrlicher und eben auch echt. Der Held als abgehalfterter, unrühmlicher Säufer zeigt sich zeitgemäßer.

Was Charles Portis oftmals in Neben- und kurzen Absätzen über die Zustände, Gerichtsbarkeiten oder Verhältnisse aus den Grenzgebieten erzählt, findet in keinem der beiden Filme große Aufmerksamkeit. Ein Grund für die spannende Lektüre sind eben auch die unaufdringlich und nicht belehrend eingestreuten Informationen, die mehr über die Tage im alten Westen vermitteln, als man zuerst annehmen möchte. Die Filme hingegen sind reine Charakterstücke. Doch wo bei Henry Hathaways Film der kassenträchtige Schwerpunkt auf einer Person liegt, bemühen sich die Coen-Brüder erfolgreich um jede einzelne ihrer Figuren.

Der 1969 gedrehte Film unter der Regie von Veteran Henry Hathaway brachte John Wayne nach zwei Nominierungen seinen einzigen Oscar-Sieg. Auch der Golden Globe ging in diesem Jahr an das Urgestein des Western. Bei beiden Preisen setzte er sich gegen Schwergewichte wie Richard Burton, Peter O’Toole, John Voigt oder Dustin Hoffman durch. Grund dafür war natürlich Waynes Bereitschaft, mit Rooster Cogburn zu versuchen, gegen das eigene Image anzuspielen. Glenn Campbell, der nach dem Ausscheiden von Elvis Presley die Rolle des Texas Ranger La Boeuf bekam, und Kim Darby als Mattie Ross, die sich gegen Waynes Tochter und Sally Field durchsetzte, konnten da dem Ikonen-Status der Legende John Wayne wenig entgegensetzen.

Die Freiheiten, die sich Drehbuchautorin Maggie Roberts 1969 herausnahm, sind als gering zu bezeichnen. Dennoch sind es markante Freiheiten. Dass man am Anfang noch Matties Vater kennenlernt, bevor er von Tom Chaney erschossen wird, fällt dabei kaum ins Gewicht. Dass sich allerdings am Ende Mattie Ross und Rooster Cogburn als gute Freunde trennen, steht im harten Kontrast zu Portis’ eigentlichem Ende, das weniger versöhnlich und im Ton wesentlich dunkler ist. Der harte Preis, den das Abenteuer am Ende fordert, ist in der filmischen Inszenierung nicht vorhanden.

Zudem beschreibt das Buch den Deputy Marshall und den Texas Ranger La Boeuf als Männer um die Vierzig und Mattie als Vierzehnjährige. Wayne war zum Zeitpunkt der Dreharbeiten bereits 61, während der 32-jährige Glen Campbell selbst noch grün hinter den Ohren scheint, und als ausgefuchster Ranger weniger glaubhaft wirkt. Eine 22-jährige Kim Darby als 14 zu verkaufen, gehörte in dieser Zeit noch zu der gängigen Praxis in Hollywood. Darby selbst überzeugt aber keinen, der Mattie Ross bereits im Roman kennenlernen durfte.

Die heile, bunte Westernwelt eines Henry Hathaway hatten Ethan und Joel Coen gewiss nicht im Sinn, als sie sich die ersten Gedanken über eine Neuverfilmung machten. Sie wollten sich dem Charakter des Buches annähern, und ein echtes, greifbares Bild jener Tage vermitteln, wie es Charles Portis mit der Nüchternheit seines Romans gelungen war. Stimmung erzeugt diese Neuinterpretation nicht mit einem Erzähler, sondern, wie kaum anders zu erwarten, unter anderem mit beeindruckenden Bildern des Coenschen Stammkameramannes Roger Deakins. Und es stehen die Figuren im Vordergrund, glaubwürdige und greifbare Charaktere, die durch ihre Individualität auffallen, neugierig machen und fesseln.

TRUE GRIT ist sicherlich nicht der raffinierteste oder künstlerischste Film der Gebrüder, aber das war er seinerzeit auch nicht für die Regie-Legende Henry Hathaway. Doch er ist in sich stimmig, zudem verzichtet er auf das Glätten von Kanten oder Relativieren sozialer Umstände. Die Coen-Regie verlässt sich auf ihre Darsteller, die den Figuren echtes Leben abverlangen. Matties Verhandlungen mit einem 50 Jahre älteren Pferdehändler machen sie nicht zur Neunmalklugen, sondern definieren die Ansprüche, die an ihr bisher junges Leben gestellt wurden. Wenn sie den Hut ihres Vaters ausstopft, weil er ihr zu groß ist, ist das kein emotionales Gehabe. Mattie braucht einfach einen Hut. Der harte und versoffene Cogburn mag sich selbst gerne als Unsympathen sehen, wenn er aber, ohne ein Wort darüber zu verlieren, zwei Jungs mit Tritten malträtiert, weil diese ein Maultier ärgern, dann wird unterschwellig viel über diesen Charakter preisgegeben.

Einer der subtilsten Szenen ergibt sich zwischen Jeff Bridges und Hailee Steinfeld, wie sie ihm die Zigarette fertig dreht, mit der er nicht zurechtkommt. Wie die Schauspieler interagieren und dabei immer im Charakter bleiben, ist fantastisch anzuschauen. Wenn Josh Brolin als Vatermörder Tom Chaney schließlich Mattie Ross gegenübersteht, dann lacht er sie nicht aus, wenn sie ihn mit der Pistole bedroht. Tom Chaney bleibt der Angsthase, auch einer Vierzehnjährigen gegenüber. Zudem weiß Chaney aus den Tagen auf der väterlichen Farm, wie er Mattie einzuschätzen hat. So stoßen sich die Charaktere durch den ganzen Film hindurch immer wieder gegenseitig an. Matt Damons Charakterisierung von Texas Ranger La Boeuf macht da keine Ausnahme. Er ist der einzige, der nicht gewillt ist, Mattie als ebenbürtige Begleiterin im Indianer-Territorium zu akzeptieren. Eine latent sexuelle Zuneigung bleibt dabei zwar unausgesprochen, aber dringt immer wieder durch.

TRUE GRIT ist für einen Film dieses Genres eine extrem action-arme Geschichte, was aber kaum auffällt. Das erste große Setting ist die schon aus der ersten Verfilmung legendäre Hütten-Sequenz, wenn Mattie samt Deputy Marshall und Texas Ranger zwei Banditen ausschalten können und anschließend versuchen, die Ned-Pepper-Bande dingfest zu machen. Ausgerechnet in dieser Sequenz kommen sich die Figuren auch noch am nahesten, erzählen voneinander, wachsen zusammen, könnten fast Freunde werden. Das zweite action-angereicherte Setting ist der vermeintliche Showdown, in dem Cogburn gegen die Ned-Pepper-Bande anreitet. Eine sehr kurze Szene anstelle einer aufgeblasenen Dramaturgie, hauptsächlich mit weiter entfernten Einstellungen und subjektiven Zwischenschnitten inszeniert. Schon an dieser Stelle führen die Coens den Zuschauer auf den wirklichen Höhepunkt hin.

In der ersten Film-Fassung hatte man aus verständlichen Gründen den Ritt mit Matties Pferd Little Blackie weniger dramatisiert. Doch wie im Buch zeigen Ethan und Joel, wie konsequent man eine Geschichte erzählen muss, um das emotionalste aus ihr herauszuholen. Wenn Little Blackie alles gibt, um gleich zwei Reiter in Sicherheit zu bringen, werden die fatalen Folgen zu einer packenden Erweiterung des eigentlichen Charakterstücks, das die Brüder aus Charles Portis‘ Geschichte gezaubert haben. Die titelgebende Beharrlichkeit ist vielschichtig zu sehen und eröffnet immer wieder neue Aspekte in der Geschichte.

Das Hollywood-Kino hatte 1969 bereits große Umbrüche erfahren. Der Production-Code war längst gefallen, die neue Generation hatte angefangen, das Studiosystem zum Wanken zu bringen. Leute wie Arthur Penn oder die Meute um Francis Coppola begannen moderneres Kino zu machen. WILD BUNCH schockierte, NUR PFERDE GIBT MAN DEN GNADENSCHUSS verstörte und MIDNIGHT COWBOY wurde mit einer X-Freigabe abgestraft. 1969 hätte TRUE GRIT eigentlich schon der Film sein können, den die Coens letztendlich 2010 auf die Leinwand gebracht haben. Weniger verkitscht und ehrlicher gegenüber der Vorlage.

Er ist erstaunlich, wie sich die drei verschiedenen Fassungen doch gleichen. Selbst komplette Dialoge wurden eins zu eins übernommen in beiden Verfilmungen, Szenenbeschreibungen, Charaktere, Geschichtshintergrund. Charles Portis hat aus seinen anfänglich in Serienform erschienen Zeitungsgeschichten ein hinreißendes Buch verfasst, das die jeweiligen Drehbuchautoren sehr geschickt für sich umzusetzen wussten, und aus dem sie mit sichtlichem Vergnügen zu schöpfen verstanden. Es ist erstaunlich, wie gleich diese Fassungen sind, doch wesentlich erstaunlicher ist, wie unterschiedlich die Stimmungen und Schwerpunkte dabei ausfallen. Dabei spielt es keine Rolle, in welcher Reihenfolge oder zeitlichem Abstand man Buch und die beiden Filme konsumieren möchte, das Erlebnis wird dabei stets ein anderes sein.

Die Original-Geschichte endet nicht als zu feierndes Heldenstück. Dem Ausgang des Rachefeldzugs wird eine alttestamentarische Gleichung gegenübergestellt. Im Coen-Film verlässt Mattie Ross den Zuschauer 25 Jahre nach der Begegnung mit Rooster Cogburn. Es ist eine sehr lange Einstellung, bis Mattie hinter dem Horizont verschwindet. Mit sich trägt sie ihr Schicksal, das sie Jahre zuvor akzeptiert hat. Der Film begann auch mit einer ebenso langen Einstellung, als Mattie den Zuschauer über die Ermordung ihres Vaters aufklärt. Schon in dieser Anfangssequenz war sie bereit gewesen, das mögliche Schicksal zu akzeptieren, das ihr das kommende Abenteuer auferlegen könnte. Ein Mädchen mit wahrem Schneid.

 

True Grit von Charles Portis
Verlag: RoRoRo
Taschenbuch, 220 Seiten
ISBN-10: 3499256622
ISBN-13: 978-3499256622
Preis 8,99 Euro
ältere Ausgabe: Die mutige Mattie /Der Marshall und die mutige Mattie

Der Marshall – True Grit
Darsteller: John Wayne, Kim Darby, Glen Campbell, Robert Duvall, Jeremy Slate, Dennis Hopper, Jeff Corey u.a
Regie: Henry Hathaway – Drehbuch: Marquerite Roberts – Bild: Lucien Ballard – Musik: Elmer Bernstein – Productionsdesign: Walter Tyler – Kostüme: Dorothy Jeakins
USA / 1969 – zirka 128 Minuten

True Grit
Darsteller: Jeff Bridges, Hailee Steinfeld, Mat Damon, Josh Brolin, Barry Pepper,  Jarlath Conroy, Paul Rae u.a.
Regie & Drehbuch: Joel Coen, Ethan Coen – Bild: Roger Deakins – Musik: Carter Burwell – Produktionsdesign: Jess Gonchor – Kostüme: Mary Zophres
USA / 2010 – zirka 110 Minuten

Bildquellen: Paramount, Oxfordamerican, colider.com
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