Bleibt unter Verschluss: J. EDGAR

Die Geschichte eines Mannes, der jedes noch so gut gehütete Geheimnis der mächtigsten Männer Amerikas in den Händen hielt. Eines Mannes, der es verstand, über sein eigenes Leben nur Spekulationen zurückzulassen. Clint Eastwood hat mit seiner Biografie über John Edgar Hoover einen sehr schönen, sehr interessanten Film gemacht. Eastwood arbeitete allerdings mit einem von Dustin Lance Black verfassten Drehbuch, das kontinuierlich ohne Stimmungseinbrüche erzählt, aber zu keinem Zeitpunkt Spannungsbögen aufbaut. Das wirft den Zuschauer in die Position eines unbeteiligten Beobachters, der sehr genau beobachten, aber nicht wirklich teilnehmen darf.

Der Titel „J. Edgar“ suggeriert Annäherung an einen Mann, die über den persönlichen Abstand von „Mister Hoover“ hinausgeht. Doch dies ist ein Trugschluss, der Film zeigt den Mann, wie man ihn in der Öffentlichkeit wahrgenommen hat. Dustin Lance Blacks Drehbuch verweigert sich jeder Spekulation, und Regisseur Eastwood inszeniert entsprechend. Er lässt bildlich nur einfließen, was an Augenblicken und Verhalten zu diversen öffentlichen Spekulationen führte. Dabei gelingt es dem Regisseur genauso vage und unspektakulär zu bleiben, wie es J. Edgar Hoover in seinem bekannten Auftreten selbst war.

Die Zurückhaltung, die Buch und Inszenierung als Grundlage für ihre Erzählung wählen, ist auf der einen Seite sehr geschickt, anderseits lernen wir hierbei nur Mister Hoover kennen. J. Edgar bleibt außen vor, was fast vierzig Jahre nach dessen Tod auch nur fair erscheint. Was für die Dramaturgie des Films zu kurz kommt, reicht den Machern des Films zu Ehren. Sie versuchen erst gar nicht, Dinge darzustellen, die nie erwiesen wurden. War er nun homosexuell oder nicht, trug er gerne Frauenkleider? J. Edgar Hoover, der Mann, der wirklich jedes noch so intime Detail über die mächtigsten Männer Amerikas in entsprechenden Akten gesammelt hatte, schaffte es in seinen fast 50 Jahren als FBI-Direktor, die unangreifbarste Figur in der jüngsten amerikanischen Geschichte zu bleiben.

Eigentlich ist es ein sehr schöner Trend, Biografien von Personen des öffentlichen Lebens anhand eines kurzen, dafür entscheidenden Abschnitts ihres Wirkens festzumachen, wie zum Beispiel geschehen bei „The Queen“. „J. Edgar“ wendet sich wieder der klassischen Form zu, beschränkt sich dabei allerdings aus den bereits erwähnten Gründen ausschließlich auf die Jahre beim FBI. Ein wenig gelungener Kunstgriff ist dabei, drei Zeitebenen ineinander zu verweben. Darsteller und Inszenierung haben keine Probleme damit, sich in den jeweiligen Epochen akkurat an die Entwicklung der Charaktere anzupassen und in der Inszenierung dramaturgisch einzuordnen. Nur der Zuschauer gerät anfänglich etwas ins Schlingern. Zumal das Verschachteln der einzelnen Zeitebenen nicht wirklich aufeinander Bezug nimmt. Es hätte einiges an Feinschliff benötigt, wäre aber stimmiger gewesen, wenn das Ereignis aus einem Block jeweils als Resultat der vorangegangenen Zeitebene zu werten wäre. Oder künstlerischer noch aufwendiger, wenn man nach bestimmten Geschehnissen die Ursache in einem erklärenden Rücksprung erfahren würde.

Doch „J. Edgar“ liegt so vor, wie sich Dustin Lance Black und Clint Eastwood entschieden haben, ihn zu schreiben und inszenieren. Es ist trotz allem ein sehr gelungener Film, der oftmals wesentlich größer und aufwendiger inszeniert scheint, als er tatsächlich ist. Auch wenn wir nicht bis J. Edgar vordringen, so vermittelt ein unglaublich intensiver Leonardo DiCaprio doch, wie getrieben diese eigentlich unbekannte Figur war. Sein Gerechtigkeitssinn, seine Ordnungsliebe, die Liebe zu seinem Land und der Wille, sich durch nichts und niemanden von seinen Idealen abbringen zu lassen. Dabei gelingen Eastwood sehr viele durchaus humorvolle Momente. Keine schreienden Schenkelklopfer um des Unterhaltungswertes willen, dafür subtile Anspielungen und spitze Dialoge, die den Mann, seine Epochen und seine Anliegen eher unterstreichen. Als Hoover seinen zukünftigen Wegbegleiter Clyde Tolson kennenlernt, macht Hoover sofort einige Bemerkungen über Tolsons Garderoben-Auswahl. Es wird nicht weiter behandelt, aber dem Zuschauer wird schnell bewusst, dass dies die Standardkleidung der zukünftigen Agenten sein wird, die im Volksmund heute so berühmt und berüchtigt ist.

Man muss den Maskenbildnern von Leonardo DiCaprio ein grandioses Kompliment aussprechen. Seit Richard Dreyfuss’ Verwandlung in „Mr. Holland“ hat man nicht mehr eine derart überzeugende Altersmaske gesehen. DiCaprio spielt sich entgegen allen Kritikern tatsächlich die Seele aus dem Leib, und man darf nicht vergessen, dass er einen Mann verkörpert, der sich tatsächlich so gab. Aber mit dem atemberaubenden Makeup wird dem Darsteller eine zusätzliche, erschreckend realistische Note zuteil. Warum die Maske dann bei Armie Hammer und seinem vergreisten Clyde Tolson derart versagt, ist unbegreiflich. Man hat Hammer, seiner Darstellung und dem Regisseur keinen Gefallen getan. Wenn ein Zuschauer mit negativen Gedanken aus dem Kino gehen sollte, dann betreffen diese sicherlich das schreckliche Makeup von Armie Hammer.

Aber die kleinen und auch die markanteren Schwächen des Films täuschen nicht über die filmische Eleganz und den gegebenen Unterhaltungswert von „J. Edgar“ hinweg. Ein Film, der wirklich keine Absicht hat, jemanden zu demontieren, der selbst andere in die Knie zwang, um seine eigenen Interessen zu verfolgen. Das gibt dem Film eben auch etwas Leichtes und etwas Verspieltes, aber er ist nie leichtfertig oder desinteressiert. Und so ganz nebenbei ist es nicht uninteressant, wie das FBI tatsächlich so wurde, wie es heute noch von Hoover geprägt ist. Führt man sich vor Augen, dass dies keine Behörde ist, die aus irgendwelchen Kommissionen heraus entstand, sondern dass ein einzelner Mann die Hartnäckigkeit besaß, getrieben durch die eigenen Wertvorstellungen, alles im Alleingang zu erschaffen, macht diese Beobachtung durchaus Spaß. Dabei kann man von der Person des J. Edgar Hoover halten, was man mag. Aber was will man von ihm halten, wenn rein gar nichts von ihm weiß. Über diesen Film zumindest weiß man, dass er kein Meisterwerk zu sein vermag, aber dass er technisch und künstlerisch makellos ist. Und auch wenn er dem Zuschauer vielleicht erwünschte Spannungsbögen verwehrt, bleibt es doch ein sehenswertes Filmvergnügen mit der notwendigen Portion Anspruch. Ein Eastwood eben.


Darsteller: Leonardo DiCaprio, Naomi Watts, Armie Hammer, Josh Lucas, Judi Dench, Jeffrey Donovan, Miles Fisher, Ary Katz, Dermot Mulroney u.v.a.
Regie & Musik: Clint Eastwood
Drehbuch: Dustin Lance Black
Kamera: Tom Stern
Bildschnitt: Joel Cox, Gary D. Roach
Produktionsdesign: James Murakami
USA / 2011
zirka 136 Minuten

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