AUGE UM AUGE direkt OUT OF THE FURNACE

OUT OF THE FURNACE – Bundesstart 03.04.2014

out-of-the-furnace-2, Copyright Relativity Media / TOBIS FilmDas alte Leid der ungleichen Brüder. Dennoch ein Hohelied auf die Familie. Die Stadt ist geprägt von den dampfenden Kaminen der Stahlhütte, der einzige größere Arbeitgeber. Wer hier im Westen Pennsylvanias wohnt, dem bleibt nur das Stahlwerk. Russell Baze hat in diesem Teil Amerikas sein Leben gefunden. Ein sicherer Job, wenngleich ohne Aufstiegsmöglichkeit, eine bezaubernde Freundin, einen sterbenden Vater, den er pflegt. Nur sein Bruder Rodney glaubt nicht an eine Zukunft an diesem Ort, ist allerdings auch unfähig dagegen anzutreten. Er verspielt seine magere Soldatenrente, und schiebt all seine Probleme auf sein Trauma aus dem Irak-Krieg. Der schleichende Prozess von radikalen Änderungen ist nicht mehr aufzuhalten. Sie alle brauchen sich. Russell die Verantwortung, Rodney die Stütze seines Bruders. Doch was passiert, wenn dieses Gefüge auseinanderbricht? Denn ausgerechnet Russell spielt das Schicksal einen ganz üblen Streich. Autorenfilmer Scott Cooper hat mit seinem Regiedebüt GRAZY HEART große Aufmerksamkeit errungen, der hervorragend inszeniert und gespielt war, aber immer wieder in gewohnte Spuren von dargestellten Problemen rutschte. AUGE UM AUGE geht einen mutigen Schritt weiter, lässt den möglichen Action-Film hinter sich, und verliert sich nicht in einem verstörenden Drama, welches möglich gewesen wäre. AUGE UM AUGE ist eine amerikanische Ballade.

Natürlich verspricht der Name Christian Bale etwas vollkommen anderes. Nicht etwa das damit etwas besseres gemeint wäre, sondern schlichtweg eine andere Art von Film. Bale spricht für das ganz große Drama, ebenso wie für überzeichnetes Action-Kino. Die Welt des Scott Cooper sieht allerdings anders aus. Spätestens während der Vorstellung merkt man, das der Film zu jeder Zeit, an jedem beliebigen Punkt der Erzählung, auch eine vollkommen andere Richtung nehmen könnte. Erfolgreich verweigert er sich der Versuchung von herkömmlichen Strukturen. Ebenso verweigert sich der Film von herkömmlichen Charakteren. Scott Cooper scheint mit allen Mitteln einen Vergleich zur obligatorischen Erzählform abzulehnen. Wenn es auf den Showdown zugeht, dann hat das nichts mit den herkömmlichen Formen des aktuellen Kinos zu tun.

Das diesem Film, der sich so gegen den Mainstream sperrt, dennoch das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit entgegen schlägt, ist zweifellos Christian Bale geschuldet. Bale war schon immer in allen Genres zuhause, und wählte seine Projekte auch nie nach dem Produktionsetat. Genau diese Mischung, von Hollywood-Großproduktionen bis zum billigen Independent-Streifen, verschafften diesem Mann einen Namen, den man aufmerksam verfolgen sollte. Doch Filmemacher Cooper erweiterte das Spektrum seines Filmes, in dem er Namen wie Affleck, Saldana, Dafoe, Harrelson, Shepard und Whitaker für OUT OF THE FURNACE gewinnen konnte. Eine beeindruckende Besetzung, in der einige Charaktere leider zu kurz kommen, wie Sam Shepards Onkel Gerald, oder Forest Whitakers Rolle als Sheriff.

Doch was ist OUT OF THE FURNACE wirklich für ein Film? Es ist eine getragene Ballade, deren Ausgang man erahnen, aber zu keinem Zeitpunkt voraussehen kann. Seine Struktur und Erzählform lässt sich am besten mit den Regiearbeiten von Sean Penn vergleichen, der mit INDIAN RUNNER oder INTO THE WILD Amerika nicht als Land, sondern als Zustand beschrieb. Die Familie Baze ist der amerikanische Durchschnitt, wo Arbeit nicht als Erfüllung sondern als Notwendigkeit bezeichnet, und das Schicksal als notwendiges Übel akzeptiert wird. Man hat nur dieses Leben, also nimmt man es, wie es kommt. Russell wird im Verlauf der Handlung etwas Schreckliches widerfahren, und er wird es mit einer stoisches Gelassenheit über sich ergehen lassen. Genau hier setzt Filmemacher Cooper die Spannungsschrauben an, denn es geht darum, wieviel ein Mensch an emotionaler Belastung letztendlich ertragen kann. Sein Leidensweg ist nachvollziehbar und auch absehbar. Der Ausgang der Geschichte allerdings, ist eine wirkliche Überraschung.

OUT OF THE FURNACE hatte keinen leichten Start als Produktion. Regisseure wurden ausgetauscht, Drehbücher wurden umgeschrieben, die Wahl der Hauptdarsteller wechselte ständig. Das am Ende doch noch ein derart fesselnder Film wurde, grenzt fast an ein Wunder. Denn AUGE UM AUGE macht den Eindruck eines stimmungsvollen Werkes, das in dieser Form von Anbeginn so kalkuliert war. Christian Bale hat Großartiges für das Mainstream-Kino geleistet, in dem er seinen Namen mit BATMAN in Verbindung brachte. Doch davon profitierten letztendlich auch Filme wie MACHINIST und THE FIGHTER, eben weil Bale nicht nur in allen Genres, sondern auch in jedem Produktionsniveau zuhause ist. Dem Publikum offeriert sich damit ein vielschichtiger Blick auf das amerikanische Kino unseres Jahrzehnts, denn wer Bale wegen DARK KNIGHT sehen möchte, der will ihn auch als sensiblen Bruder eines gestörten Irak-Veteranen sehen. Eine einzigartige Wechselwirkung, die tatsächlich sehr selten im Kino geworden ist.

AUGE UM AUGE bezieht sich als Titel erst auf den abschließenden Akt der Geschichte. Regisseur Terrence Malick und AUGE UM AUGE Darsteller Sam Shepard überzeugten Scott Cooper vom griffigen Titel, der direkt AUS DEM HOCHOFEN kommen sollte. Viele Anleihen in der Inszenierung könnte man Sidney Lumet zuordnen, der in klaren und ungeschönten Bildern seine Sicht auf den Zustand eines verrufenen Amerikas vermittelte. Scott Cooper hat mit Schreiber Brian Ingelsby diese Sichtweise auf den aktuellen Zustand eines bitteren Blickes auf die Gesellschaftsordnung übernommen. OUT OF THE FURNACE trifft mitten in Herz, weil die Ehrlichkeit in der Zurschaustellung von Lebensumständen in dieser Form sehr selten geworden ist. Eine Ballade von Herzschmerz und Familiensinn, und dem Blick über diese amerikanischen Lebensumstände hinaus.

OUT OF THE FURNACE, Copyright Relativity Media / TOBIS Film

Darsteller: Christian Bale, Casey Affleck, Woody Harrelson, Zoe Saldana, Willem Dafoe, Sam Shepard, Forest Whitaker u.a.
Regie: Scott Cooper
Drehbuch: Scott Cooper, Brian Ingelsby
Kamera: Masanobu Takayanagi
Bildschnitt: David Rosenbloom
Musik: Dickon Hinchliffe
Produktionsdesign: Thérèse DePrez
USA / 2013
zirka 116 Minuten

Bildrechte: Relativity Media / TOBIS Film
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