THE RETURN OF THE FIRST AVENGER

CAPTAIN AMERICA: THE WINTER SOLDIER – Bundesstart 27.03.2014

Captain-America-Winter-Soldier-1, Copyright Walt Disney Studio Motion PicturesEin einfacher Algorithmus. Alter, Geschlecht, Größe, Haarfarbe, Familienstand, Ethik, Wohnort, Geburtsjahr. Und aus einem zu Grunde liegenden Querschnitt, lässt sich der Verbrecher von Morgen bestimmen. Es mag Abweichungen geben, werden aber sofort in den Algorithmus aufgenommen. Innerhalb geringster Zeit, wird die Fehlerrate auf Null sinken. Ein Schuss, und Schluss. Der Rest ist Abschreckung. Die Waffe auf jedermann in der Welt zu richten, um es als Schutzmaßnahme zu deklariere, ist für Steve Rogers ein sehr verdrehter Blick auf die Welt. Auf die Welt, wie er gedacht hat, sie zu kennen. Doch selbst nach zweieinhalb Jahren ist Captain America noch nicht wirklich im Heute angekommen. Könnte die Welt wirklich so einfach sein? Da gehört Rogers Notizblock zu den amüsanteren Einfällen, wo Dinge festgehalten sind, die noch aufgeholt werden müssen. Star Trek, Star Wars, oder als jüngster Eintrag die Musik von Marvin Gaye.

Lässt man Ang Lees HULK-Interpretation außen vor, geht mit WINTER SOLDIER Phase 1 und 2 des Marvel Cinematic Universe bereits in die neunte Runde. Mit durchweg anhaltendem Erfolg und steigender Qualität der Filme. Dreizehn Filme werden es sein, wenn die bisher in Produktion befindlichen Filme abgeschlossen sind. In dieser Zeit werden Ankündigungen für weitere Filme wahrscheinlich sein. Und man muss sich fragen, wie Marvel selbst mit einem derart kreativen Ensemble diese Qualitäten zu halten gedenkt. Sicherlich gibt es einen gewissen Rhythmus und eingespielte Versatzstücke, welche die Einheit der einzelnen Filme festigen sollen. Bei WINTER SOLDIER ist es nicht anders. Faustkämpfe, Feuergefechte, Explosionen, Effekte-Gewitter, launige Sprüche, aktuell politische Bezüge, und selbstverständlich die innere Zerrissenheit des Protagonisten. Und doch ist jeder Teil für sich ein alleinstehendes Vergnügen mit höchsten Ansprüchen und bestmöglichen Unterhaltungswert. Tempo, Qualität, und vor allem das Interesse beim Publikum zu halten, ist wahrlich kein leichtes Unterfangen. CAPTAIN AMERICA: THE WINTER SOLDIER zeigt jedenfalls nicht die geringsten Ermüdungserscheinungen, sondern legt höchstens noch ordentlich nach.

Captain-America-Winter-Soldier-2, Copyright Walt Disney Studio Motion PicturesMit was auch immer wir uns tagesaktuell beschäftigen müssen, ist bei dieser zweiten Solo-Einlage Captain Americas ebenfalls angekommen. Thematisch zumindest. Beim Helden selbst, ruft es allerdings schwerste Bedenken hervor. Waren zu seiner Zeit Ländergrenzen und politische Ziele klar definiert, strauchelt der ehrbare Held und ergebene Patriot am Wandel der Zeit. Nichts ist mehr klar definiert. Amerikaner spionieren gegen Amerikaner, und jeder kämpft gegen jeden. Ziele und Absichten verschwimmen dabei vollkommen. Um eine bessere Welt zu schaffen, heißt manchmal eine alte Welt nieder zu reißen, meint in einer Szene Robert Redfords Figur Alexander Pierce als Leiters des Außenministeriums. Doch zu diesem Zeitpunkt ist es längst zu spät, steckt der Captain schon in einer Verschwörung, aus der es kaum ein Entrinnen gibt. Grenzen sind keine mehr zu erkennen, wer auf welcher Seite steht ist unklar, und welche Seiten es überhaupt gibt, lässt sich nicht erschließen. Anthony Mackie als nicht außergewöhnlicher, aber doch überzeugender Sam Wilson, der sich alsbald in The Falcon verwandeln wird, fragt einmal verwirrt, wie er denn die Guten von den Bösen unterscheiden soll. Die Antwort ist ein launiger Einzeiler, der allerdings nicht treffender sein  könnte, weil es keine wirklich bessere Erklärung gibt, „wenn sie auf dich schießen, dann sind es die bösen.“

Ohne Zweifel war Chris Evans schon eine ganz hervorragende Lebende Fackel bei den FANTASTIC FOUR. Aber wie er nun den amerikanischsten aller Superhelden für sich vereinnahmt hat, ihn formte und ihn an ein begeistertes Publikum weitergibt, dass hat schon etwas ganz Besonderes. Evans ist Captain America. Joe Johnston im ersten Teil, Joss Whedon bei den AVENGERS, und nun die Brüder Russo im zweiten Solo, haben ein ungewöhnliches Geschick bewiesen, Evans als Patrioten so zu inszenieren, dass er weder lächerlich, noch altbacken erscheint. Sondern sie haben ihn als Person gezeigt, die in einer anderen Zeit, mit anderen Wertvorstellungen groß geworden war. Ein nettes Wortspiel in Anbetracht von Steve Rogers Transformation, welche er auch nur aus diesen Wertvorstellungen heraus über sich ergehen ließ. Dieses längst vergangene Ethos unserer heutigen Zeit gegenüber zu stellen, zeigt sich immer wieder als das Besondere bei Captain America, weil zu wirklich keinem Zeitpunkt ein moralischer Finger erhoben wird. So wichtig haben sich die Macher in keinem der Filme genommen, und gerade daraus resultiert im Umkehrschluss das große Verständnis für die innere Einstellung Steve Rogers.

Visuell ist WINTER SOLDIER ein wahrer Augenschmaus. Es brummt, es kracht. Erstaunlich, was man sich alles einfallen lassen kann, um den Bombast in der Zerstörung zu zelebrieren. Es gibt einige am Computer generierte Einstellungen, gerade während des Showdown auf den drei Helicarrier, die eine gewohnt hochkarätigen Qualität vermissen lassen. Vor allem die Flüge von Sam Wilson in seinem Falcon-Anzug, werden den Erwartungen nicht ganz gerecht. Alles in allem aber, sind die Action-Sequenzen in ihrer Inszenierungen und optischen Umsetzung, der Stoff aus dem Marvel-Verfilmungen gemacht sind. Die Russo-Brüder hätten gerade in den Zweikämpfen die Einstellungen etwas offener zeigen können, um die Choreographie wirkungsvoller zur Geltung kommen zu lassen. Aber hier wird die Inszenierung wieder einmal ein Opfer der Zugeständnisse an Hollywoods selbst auferlegtes Dogma, dass die Nähe der Optik am Charakter, auch den Zuschauer näher an die Figuren bringen würde. Ein Trugschluss, der scheinbar noch nicht als solcher erkannt wurde.

Im Gesamten aber, ist an der Inszenierung von Anthony und Joe Russo nicht auszusetzen. Tempo und Rhythmus passt. Der Wechsel von Charakterstück zu Action, und von Drama zum gelösten Humor ist ein pulsierendes Getriebe, welches die dramaturgischen Bestandteile unentwegt ablösen und ineinander greifen lässt. Die Laufzeit von 136 Minuten, wird zu einem kurzweiligen Ausflug, der viel zu schnell vorbei geht. Die Russos haben mit diesem Film bekundet, die eigentliche Kunst im Marvel Cinematic Universe verstanden und verinnerlicht zu haben. Was bereits acht Filme vorher so einzigartig und erfolgreich gemacht hat, muss sich auch weiter als Formel bewähren können. Diese Formel allerdings, ist keine einfache. Denn dazu gehört, dass man den Kern eines Comic-Buches begreift, wo es eben nicht um optische Reizüberflutung, und atemberaubende Action-Szenen geht. Etwas, dass in Einzelbildern niemals so transportiert werden könnte. Auch wenn der Eindruck durch schlappriges Papier und grob gezeichnete Bilder für nicht Eingeweihte täuschen mag, sind es Charakter bezogene Dramen, die stets die inneren Konflikte der Helden aufarbeiten. Ein Action-Film hingegen, muss den optischen Ansprüchen seines Publikums gerecht werden, inklusive Aufwand und Spannungsmomente. Erst eine fließende Verschränkung dieser Komponenten von Film und Buch, lassen eine Verfilmung wirklich funktionieren.

Der Action-Film CAPTAIN AMERICA: THE WINTER SOLDIER ist stets an maximalen, aber auch hervorragend inszenierten Schauwerten orientiert. Aber er durchbricht diese einfach Strukturen immer wieder mit den Sinnfragen eines durchaus auch einmal sich selbst in Zweifel stellenden Protagonisten. Einmal wird Steve Rogers sagen, dass das im Film propagierte Szenario nicht Freiheit bedeutet, sondern Angst. Hier ist der Mann aus den Vierzigern, der dem Geist eines Comic-Buches gerecht wird, wo hinterfragen von Motivationen schwerer wiegt, als physische Auseinandersetzungen. Die gekonnten Anleihen beim politischen Thriller sind hervorragend, und erweitern die Spannungsebenen. Doch in erster Linie darf THE WINTER SOLDIER natürlich tadelloses Action-Vergnügen sein, und muss dabei auch keinen Vergleich zu den vorangegangenen Marvel-Abenteuer scheuen. Zeitgleich ist es dennoch ein Abenteuer, welches sich auch mit einer guten Portion politischer Einflüsse von seinen Vorgängern abhebt. Kann das moralisch Verwerfliche tatsächlich der eigentlich guten Sache dienen? Oder spielt man dann nur ganz anderen Interessen in die Hände. Dabei nicht selbst moralisierend zu werden, oder dem Reiz zu erliegen, selbstgerechte Werte zu verkaufen, muss den Machern hier hoch angerechnet werden. Natürlich hat Steve Rogers seine ganz eigenen moralischen Wertvorstellungen. Aber als Kind längst vergangener Tage, darf er die auch haben.

Und natürlich gibt es auch die wirklich ganz wichtigen Fragen. Wie zum Beispiel Scarlett Johannsons Agentin Romanoff überhaupt gefühlsmäßig zu Steve Rogers steht. Ja, es gibt Szenen wo man Kumpel von flirtender Freundin nicht zu unterscheiden vermag, so dass Hawkeye Clint Barton  irgendwie abgeschrieben scheint. Klärende Antworten gibt der Film selbst, wer mit offenen Augen durchs Kino geht. Eine subversive Kunst der Inszenierung, die Marvel-Produktionen einfach hervor heben. Nicht das große Ganze, sondern die Summe vielerlei perfekt gesetzter Augenblicke in harmonisierter Abfolge sind der Schlüssel dieses und vorangegangener Erfolge. Über neun Filme von HULK bis WINTER SOLDIER, mit hoffentlich mindestens gleichbleibender Tendenz. Allerdings bleibt die Antwort aus, wie Steve Rogers nun wirklich Troubled Man von Marvin Gaye gefällt.

Captain-America-Winter-Soldier-2, Copyright Walt Disney Studio Motion Pictures

 Darsteller: Chris Evans, Scarlett Johannson, Sebastian Shaw, Robert Redford, Cobie Smulders, Dominic Cooper, Samuel L. Jackson, Hayley Atwell, Maximilliano Hernandez u.v.a.
Regie: Anthony Russo, Joe Russo
Drehbuch: Christopher Markus, Stephen McFeely
Kamera: Trent Opaloch
Bildschnitt: Jeffrey Ford
Musik: Henry Jackman
Produktionsdesign: Peter Wenham
USA / 2014
zirka 136 Minuten

Bildrechte: Walt Disney Studio Motion Pictures
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