Auf DVD / BluRay: DER FALL COLLINI

Fall Collini 1, Copyright CONSTANTIN FILM   DER FALL COLLINI
Bundesstart 18.04.2019

Die erste Frage war natürlich, und das war fast überall zu lesen, kann M’Barek auch ernst? Der Film ist soetwas, was man am besten mit Gerichtsthriller umschreiben könnte. Die Vorlage schrieb Ferdinand von Schirach. Regie führte Marco Kreuzpaintner, der mit TRADE – WILLKOMMEN IN AMERIKA und KRABAT die Fahne des deutschen Film hoch hielt. Und dann diese alles verschlingende Frage. Ja, natürlich. Ja, Elyas M’Barek kann auch ernst. Wer immer so eine Frage stellt, hat DER MEDICUS nicht gesehen, oder WHO AM I. Wer immer so eine Frage stellt, glaubt scheinbar nicht daran, dass man selbst dann Talent haben muss, wenn man auch nur eine Figur wie Zeki Müller glaubhaft verkörpern will. FACK JU GÖTHE. Elyas M’arek kann auch ernst, und einen kompletten Film alleine transportieren.

Der frisch zugelassene Rechtsanwalt Caspar Leinen wird als Pflichtverteidiger für den pensionierten Fabrizio Collini bestellt. Der Gastarbeiter hat den Industriellen Jean-Baptiste Meyer in einem Hotelzimmer ermordet, und sich selbst gestellt, schweigt aber zu der Tat und zum Motiv. Der Anfänger Leinen reagiert zuerst eingeschüchtert, sieht aber eine Chance für seine Karriere. Und unvermittelt kratzt er plötzlich an den Grundfesten des Rechtsstaates Bundesrepublik. Fabrizio Collini und Caspar Leinen haben auf sehr unangenehmen Umwegen sehr viel mehr gemein, als es der aufstrebende Junganwalt angemessen verkraften kann.

Der Autor Ferdinand von Schirach ist selbst Strafverteidiger, also jemand, der das deutsche Rechtssystem kennt und darin promoviert hat. Er meinte in einem Spiegel-Essay, der Fall Collini ginge „über die Nachkriegsjustiz, über die Gerichte in der Bundesrepublik, die grausam urteilten, über die Richter, die für jeden Mord eines NS-Täters nur fünf Minuten Freiheitsstrafe verhängten. Es ist ein Buch über die Verbrechen in unserem Staat, über Rache, Schuld und die Dinge, an denen wir heute noch scheitern.“

Fall Collini 3, Copyright CONSTANTIN FILMDas Anliegen von von Schirach ist ehrenwert und notwendig, aber in erster Linie ist es von filmischer Seite gesehen auch recht spannend. Seit Grisham hat der Rechtsthriller auch beim einem weit breiteren Publikum Fuß gefasst. Und das Streben des deutschen Films ging hin und wieder einmal in Richtung des amerikanischen Mainstream, was nur wenigen Filmen gelang. Regisseur Marco Kreuzpaintner war genau der Richtige dafür, wie die drei Drehbuchautoren Gold, Otto und Zübert den Roman adaptiert hatten. Allerdings hakt die Inszenierung ausgerechnet an den eigenen Ansprüchen. Amerikanisches Kino ist meist erfolgreich, weil gefällig. Und so packte von Schirach, und letztendlich dann auch Kreuzpaintner, alles hinein, was zusammengenommen ein möglichst breitgefächertes Publikum erreicht. Eine Riege erstklassiger Darsteller. Die persönliche Verbundenheit des Helden mit seinem Fall. Eine unkonventionelle Schönheit, die sich als geniale Gehilfin entpuppt. Ein gestörtes Familienverhältnis, das gerade gerückt werden kann. Ein schmieriger Gegner, bei dem man weiß, dass er am Ende die Kinnlade nach unten hängen haben wird. Und selbstverständlich im Kernstück, ein Jahrzehnte alter Justizskandal, den nur ein unverbrauchter, furchtloser Absolvent mit erfrischender Naivität lösen kann.

Das alles funktioniert, bis auf Jakub Bejnarowiczs vertane Chance für eine suggestivere Kameraführung. Doch ist es letztendlich doch schon wieder zuviel ‚amerikanisch‘. Die unerheblichen Einschübe von Caspar Leinens boxen, die scheinbar die eigentliche Stärke des Mannes hinter dem verunsicherten Anwalt zeigen sollen. Auch die verschiedenen Beziehungen der Charaktere untereinander sind viel zu ausgedehnt und dramaturgisch überladen. In einem Thriller sollten diese Eckpunkte alle in die Essenz der Geschichte einfließen. Doch selbst wenn es so inszeniert ist, haben diese emotionalen Bindungen letztendlich keinerlei Auswirkungen auf das Handeln der Hauptfigur oder den Verlauf der Handlung. Zudem strapaziert Kreuzpaintner die Aufmerksamkeit des Publikums mit extrem langen Rückblenden, welche die Motivation für Fabrizio Collinis Tat und die Ausführung der Tat selbst, nicht einfach unterstreichen, sondern aufdringlich einbrennen sollen. Da sich bei diesen Rückblenden aber schon in der ersten Minute die Ereignisse erklären, wird im weiteren Verlauf der Zuschauer nur noch mit aufgebauschter Emotionalität konfrontiert, die sich da schon längst überholt hat.

Fall Collini 4, Copyright CONSTANTIN FILMDer Film will ein dramatischer Thriller sein, was ihm streckenweise sogar gut gelingt. Er will aber auch im Sinne der großen, klassischen Gerichtsfilme, dem Rechtssystem etwas entgegen setzen, es hinterfragen, es auch ein bisschen gegen dieses selbst verwenden. An dieser Stelle muss man als Ungelernter, den Kommentaren und Artikeln von Rechtswissenschaftlern vertrauen können, die sich nach Erscheinen des Buches, und noch Stärker nach der Premiere des Films zu Wort meldeten. Demnach gab es ein Gesetz, welches die Voraussetzung für diese Geschichte bildet, in dieser Auslegung gar nicht. COLLINI fehle daher die reale Grundlage, auf die er sich letztlich stützen würde. Außerdem wurde bemängelt, dass ausgerechnet ein Strafverteidiger wie von Schirach die juristischen Abläufe vor Gericht einfach ignorieren, und dem emotionalen Effekt opfern würde. Verweise würden an dieser Stelle den Rahmen sprengen, und können von Interessierten ganz einfach selbst recherchiert werden.

In PHILADELPHIA beginnt Denzel Washington sein Eröffungsplädoyer an die Jury gewand: „Vergessen sie alles, was sie im Fernsehen und in Filmen gesehen haben. Es wird keinen Überraschungszeugen geben, der in letzter Minute herein stürzt. Niemand wird unerwartet im Zeugenstand unter Tränen ein Geständnis ablegen…“ Das war 1993 tatsächlich ziemlich neu für ein Gerichtsdrama. DER FALL COLLINI hat auch diese Aspekte der Realität für seine Anforderungen geopfert. Mit sehr guten Schauspielern, wo sich einzig Heiner Lauterbach als herbe Enttäuschung erweist, ist ein spannend umgesetzter Film entstanden, der mit Abstrichen durchaus gelungene Unterhaltung offeriert. Sehenswert, wenn man nicht unbedingt alles hinterfragt.

Fall Collini 2, Copyright CONSTANTIN FILM

Darsteller: Elyas M’Barek, Alexandra Maria Lara, Franco Nero, Heiner Lauterbach, Hannes Wegener u.a.
Regie: Marco Kreuzpaintner
Drehbuch: Robert Gold, Jens-Frederik Otto, Christian Zübert
Kamera: Jakub Bejnarowicz
Bildschnitt: Johannes Hubrich
Produktionsdesign: Josef Sanktjohanser
Deutschland / 2019
118 Minuten

Bildrechte: CONSTANTIN FILM
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