DER UNSICHTBARE

INVISIBLE MAN 1, Copyright UNIVERSAL PICTURES INTERNATIONALTHE INVISIBLE MAN – Bundesstart 27.02.2020

Es ist eine alte Weisheit, vielleicht sogar eine perfide Regel. In hoch gehandelte Hollywood-Produktionen, deren Starttermin auf die ersten drei Monate des Jahres gelegt werden, haben die Studios kein Vertrauen mehr. Der Film kann untergehen, ohne das ihm einer nachweint. Dieser eigenartige Bann wurde noch nicht gebrochen, aber 1991 geschah etwas eigenartiges. Im schon von vornherein abgeschriebenen Januar startete DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER. Ausgerechnet ein Horrorfilm, und dann brach dieser auch noch so einige Rekorde an Einnahmen und Zuschauer- sowie Kritiker-Akzeptanz. Nicht nur war es ein Anfang-des-Jahres-Start, es ging mit dem Teufel zu, dass man sich noch 11 Monate später für die Oscars an diesen Film erinnerte. Eine weitere Regel die gebrochen war, starten die Studios doch Oscar-Hoffnungen so nah wie möglich am Nominierungsdatum, damit sie noch sehr frisch in Erinnerung sind. Und dann gewann dieser Psycho-Horror auch noch die großen Fünf: Film, Regie, Drehbuch, Darstellerin, und Darsteller. In 92 Jahren Oscar-Geschichte holten das nur noch zwei andere Filme, ES GESCHAH IN EINER NACHT und EINER FLOG ÜBER DAS KUCKUCKSNEST.

Okay, es wäre natürlich zu vermessen nun diese Neuauflage von DER UNSICHTBARE als den zukünftigen Oscar-Hamster zu preisen. Wenngleich Großproduktionen im Januar, Februar und März immer noch als abgeschrieben gelten, haben sich diese Monate eigenartigerweise seit SCHWEIGEN DER LÄMMER für Horrorfilme als das perfekte Zeitfenster erwiesen. Und mit dem UNSICHTBAREN hat man nicht nur einen finanziellen Erfolg, sondern noch dazu einen außerordentlich guten Film dazu. Sofern man im Genre verbleibt, ansonsten könnte es schwierig werden. Aber die Besonderheiten fangen schon einmal bei den Titeln an, ist es doch sehr selten geworden wieder richtig gute und vor allem angemessene Titelsequenzen genießen zu dürfen. DER UNSICHTBARE beginnt mit scheinbar durchsichtigen Schriften über einem tosenden Meer, die nur durch aufpeitschende Gischt kurz sichtbar werden. Nicht einfach nur Spielerei, sondern auch ein entscheidendes Motiv im Verlauf der Handlung.

Die verzweifelte Cecilia flieht aus dem hermetisch abgeschirmten und komplett überwachten Anwesen ihres tyrannischen, überprotektiven und egomanischen Freund Adrian. Sie kommt bei ihrem Bekannten James und seiner Tochter unter, doch Cecilias panische Angst vor Adrian legt sich erst, als sie die Nachricht von seinem Selbstmord ereilt. Kaum beginnt sie ihre endgültige Freiheit zu genießen, wird Cecilia von merkwürdigen Empfindungen erschreckt. Ganz so, als ob in den ansonsten leeren Räumen noch jemand mit im Zimmer wäre. Jetzt kann man das Ganze noch weiter und weiter transparent machen, doch es wäre für jeden gewillten Zuschauer wirklich peinlich, wüsste er nicht, wie die Geschichte weitergeht. Selbstverständlich spielt Autor und Regisseur Leigh Wannell mit der Erwartungshaltung und den einhergehenden Versatzstücken. Doch der herausragende Aspekt bei DER UNSICHTBARE ist keineswegs was die Geschichte erzählt, sondern wie geschickt und originell Wannell diese Geschichte für sich nutzt und umsetzt.

Mit THE WOLFMAN gab es 2010 die ersten Anzeichen, dass man die alten Monster aus den Universal-Studios im klassischen Sinne neu erzählen wollte. Doch erst 2014 startete Universal offiziell das ‚Dark Universe‘ mit DRACULA UNTOLD, einem sehr guten Film, allerdings mit sehr mäßigen Erfolg. Hoffnung für die erdachte Reihe zerschlug sich 2017 mit DIE MUMIE. Das ‚Dark Universe‘ wurde fallen gelassen, mit ihm starb FRANKENSTEINS BRAUT. Als Einzelfilm konnte sich da DER UNSICHTBARE noch in die Vorproduktion und schließlich Realisation retten. Natürlich ist es übernatürlicher Humbug, und man darf dem nicht viel Bedeutung beimessen, aber DRACULA und MUMIE hatten ihre Starttermine im Oktober respektive Juni.

Invisible Man (2020), Copyright UNIVERSAL PICTURES INTERNATIONAL
Blickt man auf die letzten Jahre zurück, wo Horrorfilme inflationär in die Kinos kamen, und noch immer kommen, waren da sehr wenige Aufsehen erregende Ausnahmen. Und auch wenn sich DER UNSICHTBARE an die Regeln und Erwartungen gleichermaßen hält, ist er einfach diese eine Ausnahme, welche das vielbeschworene frische Blut ins Kino bringt. Es gibt sehr markante Schockmomente, die allerdings nicht willkürlich oder zum reinen Selbstzweck inszeniert sind. Sie kündigen sich auch nicht auf die sonst übliche Weiße über die Tonspur an. Jeder Effekt ist exakt gesetzt, um in der Handlung eine neue Wendung einzuführen. Leigh Whannell sollte Unterricht geben. Selbst der Blutfaktor ist eher bescheiden zu nennen. Auch hier verkommt die Darstellung nicht zum bloßen Effekt, sondern ist markanter Bestandteil der Handlungsentwicklung.

Tatsächlich ist DER UNSICHTBARE in erster Linie einer nahezu tadelloser Gruselfilm, mit starken Anleihen beim Psycho-Thriller. Den gesamten Film über bestimmen sehr intensive Spannungsmomente eine Atmosphäre, die schaurig schöne Gänsehaut erzeugt. Nicht viele Filme in diesem Genre legen noch Wert darauf, sich um die Ursprünge des Gruselfilms zu bemühen. Natürlich gehört dazu auch ein glaubwürdiger Charakter, der die unangenehmen Wahrnehmungen und aufkeimende Panik dem Zuschauer vermitteln kann, und diesen sehen lässt, was nicht zu sehen ist, aber Cecilia lediglich spürt. In Elisabeth Moss hat der Film eine ideale Partnerin gefunden, beide befruchten sich in einem ständigen Geben und Nehmen für eine nachvollziehbare und einnehmende Erzählung. Moss kann einem leeren Raum sehr starke Emotionen entgegen bringen, und das geht wirklich unter die Haut.

Der Unsichtbare selbst erklärt sich auch sehr glaubwürdig und schlüssig, natürlich innerhalb seines eigenen Kosmos. Und so hat Leigh Whannell dem Horrorfilm auf fast ganzer Linie Aspekte abgerungen, die eigentlich natürlich sein sollten, aber für billige Schauwerte gerne unter die Tarnkappe geworfen werden. Unter dieses Messer kann man dann auch noch gerne den Soundtrack legen. Die von Benjamin Wallfisch komponierte Musik hebt sich ebenso angenehm vom meisten Einerlei der Mitbewerber ab. Ohne überheblich zu wirken, kann man sagen, dass DER UNSICHTBARE bei der nächsten Oscar-Verleihung nicht die Big-Five schaffen wird. Aber er ist eine sehr angenehme Überraschung, und dabei so überzeugend, dass er sogar Universals ‚Dark Universe‘ wiederbeleben könnte.

THE INVISIBLE MAN, Copyright UNIVERSAL PICTURES INTERNATIONAL

Darsteller: Elisabeth Moss, Aldis Hodge, Storm Reid, Harriet Dyer, Oliver Jackson-Cohen, Michael Dorman u.a.
Drehbuch & Regie: Leigh Whannell nach H.G. Wells
Kamera: Stefan Ducio
Bildschnitt: Andy Canny
Musik: Benjamin Wallfisch
Produktionsdesign: Alex Holmes
Australien – Großbritannien – Kanada – USA
2020 / 124 Minuten

Bildrechte: UNIVERSAL PICTURES INTERNATIONAL
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