Der lange Weg ist etwas zu lang

Er hat uns mit Carpe Diem den Tag zu nutzen gelehrt und uns die Realität der Seefahrt während der napoleonischen Kriege gezeigt. Ohne Special Effects ließ er die Welt untergehen und brachte den Kühlschrank an den Amazonas. Er ist ein begnadeter Filmemacher mit dem Hang zu außergewöhnlichen Stoffen. Vielleicht liegt es genau daran, dass man sich bei dem LANGEN WEG eher Blasen läuft, als dass er sich als bequemer Laufschuh zeigt. Es ist eine sehr konventionelle Geschichte, derer sich Peter Weir nach neun Jahren Leinwand-Abstinenz angenommen hat, und die er leider ebenso konventionell erzählt. Etwas weit ab vom Weg des Außergewöhnlichen.

Sieben Männer fliehen aus einem sibirischen Gefangenlager. Um der russischen Herrschaft zu entgehen, müssen sie es bis in die Mongolei schaffen. Doch nach einem gnadenlos entbehrungsreichen Marsch müssen sie an der Grenze feststellen, dass auch hier Lenin und Stalin sowie der rote Stern angekommen sind. Nun beginnt erst die eigentliche, aufopferungsreiche Odyssee. Über Tibet und den Himalaya bis nach Indien führt der Weg, um den unerbittlichen Klauen des russischen Regimes zu entkommen.

Über 6000 Kilometer soll sich der Weg der Flüchtigen hingezogen haben, dabei waren sie 11 Monate lang unterwegs. Der Wahrheitsgehalt der angeblich wahren Begebenheit ist sehr umstritten, wird von verschiedenen Menschen als eigene Geschichte deklariert und ist, was Personen und zeitliche Abläufe angeht, in vielen Punkten widerlegt. Bei Peter Weir fällt dies allerdings weniger ins Gewicht, weil er mit dem selbst verfassten Drehbuch sowieso dramaturgisch notwendige Änderungen vornehmen musste.

Richtig einnehmend wirkt der Film am Ende dann aber doch nicht. Die erste halbe Stunde beleuchtet das brutale Lagerleben eindringlich und mit fast unterkühlter Gelassenheit. Hier gelingt es Weir, seine Stärken in der Inszenierung voll auszuspielen, indem er ungewöhnliche Situationen nüchtern darstellt und sie gewöhnlich erscheinen lässt. Während der Flucht allerdings verliert Weir diese Kraft in der Inszenierung, weil er seinen Figuren zu wenig Persönlichkeit einräumt. Dem Zuschauer kommt die Identifikation abhanden, weil die Charaktere austauschbar werden. „Güte ist etwas für Hunde“, raunzen sich die Flüchtigen zu, obwohl der ein oder andere ohne diese Güte sterben würde. Aber der Zusammenhalt ist zu stark, das Konfliktpotenzial auf ein Mindestmaß heruntergeschraubt, als dass sich daraus Spannungsmomente ergeben könnten. Zudem begeht die Inszenierung den großen Fehler, gleich zu Beginn mit einer Texttafel auf den Ausgang der Geschichte hinzuweisen.

Der Film stützt sich in seiner Dramaturgie ganz auf den eigentlichen Feind Natur. Nicht der Zaun, nicht die Hunde, auch nicht die Waffen der Wachen sind die Vollstrecker für Flüchtende, warnt der Lagerleiter. Die wirkungsvollste Schutzmaßnahme ist die unerbittliche Natur Sibiriens. Fast hundert Minuten führt der Film seine Figuren schließlich durch die gnadenlosen eisigen Wälder Sibiriens und die brütende Hitze der Wüste Gobi bis über die verschneiten Höhen des Himalayas. Stets sind die Flüchtenden kurz vor dem Verdursten und Verhungern oder werden Opfer ihrer wundgelaufenen Füße.

Dazwischen bewegt sich Russell Boyds Kamera wie eine Hommage an David Lean und Sergio Leone. Von grandiosen Landschaftstotalen springt das Bild in extreme Nahaufnahmen. Die Bilder sind beeindruckend, und gerade die Panoramen bleiben tatsächlich so lange stehen, dass man als Zuschauer sich darin verlieren kann. In dieser Beziehung ist WAY BACK ganz großes Kino im Sinne dessen, dass das Publikum die Leinwand nicht mehr als einfache Projektionsfläche wahrnimmt. Die wenigen Nachtaufnahmen hingegen fallen einer uninspirierten und extrem künstlichen Beleuchtung zum Opfer.

Zeigen sich Ed und Jim mit etwas zufrieden, das dem Regisseur doch nicht so gefallen mag?

Die Darsteller wären allesamt überzeugend, müssten sie nicht alle mit einem hörbar künstlichen Akzent reden, welcher die Polen, Russen und Amerikaner voneinander unterscheiden helfen soll. Doch ist dies das geringste Problem, das Peter Weir seinen Figuren in den Weg stellt, um beim Zuschauer auch emotional anzukommen. Er gibt ihnen einfach zu wenig Geschichte, einen Hauch zu wenig persönlichen Charakter. Alles in allem ist THE WAY BACK ein kraftvoller, beeindruckender Film. Und er ist weder langweilig noch langatmig. Aber es ist ein Film von Peter Weir. Weir, der Paris von Autos auffressen ließ. Ein Mann, der uns ins bisher unbekannte Gallipoli führte. Einer, der die Amish zu einem Filmzitaten-Trend machte. Und der Einzige, der Jim Carrey eine glaubhafte und sehenswerte Darstellung abringen konnte. Da wäre nach dem „kraftvoll und beeindruckend“ eigentlich doch noch ein „etwas Besonderes“ drin gewesen.

Darsteller: Jim Sturgess, Ed Harris, Colin Farrell, Alexandru Potocean, Sebastian Urzendowsky, Gustaf Skarsgard, Mark Strong und Saoirse Ronan
Regie und Drehbuch: Peter Weir – Kamera: Russell Boyd – Bildschnitt: Lee Smith –  Musik: Burkhard Dallwitz
Großbritannien / 2010 – zirka 133 Minuten

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