COME TRUE

Beitrag FANTASY FILMFEST – 17.06. bis 27.06.2021

Come True - Copyright IFC FilmsFFN21-XLnoch kein Bundesstart

Es ist ein kleiner, aber entscheidender Fehler im Experiment. Der Typ, der Sarah in der Bibliothek ein Buch von Philip K. Dick empfohlen hat, entpuppt sich wider Erwarten als Forscher in einem Schlaflabor. Ein Schlaflabor, in dem Sarah an einer Studie teilnimmt. Sarah ist weniger an den Forschungen interessiert, als vielmehr der Möglichkeit, ihr könnte jemand bei ihren Schlafstörungen helfen. Tatsächlich schläft sie in der ersten Nacht das erste mal seit langer Zeit durch. Sarah wirkt wesentlich ausgeglichener. Aber dann läuft ihr dieser Typ Jeremy scheinbar zufällig immer wieder über den Weg. Bis Sarah erschreckt feststellen muss, dass Jeremy ebenfalls im Schlaflabor arbeitet. Ihre surrealen Traumgebilde kehren zurück. Aus welchen Gründen auch immer, glaubt Sarah, dass etwas Größeres hinter allem steckt. Sie fragt sich, was sich wirklich hinter dem Schlaflabor verbirgt.

Das fragt sich auch der Zuschauer, auch wenn man Anthony Scott Burns‘ bisherige Werke kennt. Aber Burns beantwortet keine Fragen, er baut immer nur darauf auf. Zuerst macht es den Anschein, als wäre die Protagonisten von zu Hause geflohen. Sie lebt nun auf der Straße, geht nur zum Duschen und für frische Kleidung zurück nachhause, wenn ihre vermeintliche Mutter das Haus verlassen hat. So wie Burns als Regisseur, Drehbuchautor, Kameramann, Cutter, und Musiker seinen Film gestaltet hat, wird eine Geschichte erkennbar. Sie erschließt sich aber nicht.

Und es wird ganz offensichtlich, dass Burns auch nicht will, dass der Zuschauer die Fassade von exzessiv komponierten Bildern, vagen Anspielungen, und suggestiver Musikebene durchbricht. Die Fragmente einer Handlung füllt Burns mit immer wiederkehrenden Motiven von Sarahs bizarrer Traumwelt. Und diese Bilder sind beunruhigend, sie verwirren. Es gibt keine wie sonst üblich, reißerischen Schockmomente. Ein klares Zeichen, das Burns ganz genau weiß was er tut, denn er überzeugt mit seinem Verständnis für die Wirkung von Bildmotiven. Und diese Wirkung geht tief in die Empfindungen des Zuschauers.

Come True 1 - Copyright IFC Films

Mit fortschreiten der Ereignisse, entwickelt der Film auch eine hypnotische Kraft. Was mit aller Konsequenz durchgezogen wird. Kompromisslos setzt Burns seine gepeinigte Protagonistin von einem Handlungselement zum nächsten. Erst als Sarah glaubt, ihre Träume im wirklichen Leben manifestieren zu können, glaubt man eine Struktur zu erkennen. Aber wie in einem Fiebertraum baut Burns immer weiter oben drauf. Sarahs Welt wandelt sich zu einem bizarren Panoptikum von Entwicklungen die ein nachvollziehbares Konstrukt nicht erkennen lassen.

Das der Zuschauer nicht vorzeitig dieses Experiment abbricht, ist der grandiosen Komposition von optischen Eindrücken und akustischen Untermalungen zu verdanken. Mit all dem, und das schließt die greifbare Natürlichkeit der Darsteller mit ein, erlangt COME TRUE eine einnehmende Faszination. Es ergibt sich ein Rausch zwischen Horror und Science Fiction, dessen ständiger Wechsel tatsächlich mehr Neugierde weckt anstatt Abschreckung. Gerade zum Beginn des letzten Drittels entfalten sich Möglichkeiten, welche die Atmosphäre regelrecht aufwühlen, und besonders Freunde der oben genannten Genres erfreuen werden. Ob diese mit Anthony Scott Burns‘ Vision vom radikalen Genre -Mix am Ende zufrieden sein werden, sei einmal dahin gestellt, eher sogar fraglich.

Die mysteriöse Spannung entlädt sich in ein ebenso extremes Ende, dass einige im Publikum für genial halten werden, aber viele als einfallslosen Notausstieg. Zumindest gewinnt es mit dieser Auflösung an Bedeutung, dass Sarah stets auf der Rutsche eines Spielplatzes schläft. Jede Szene, jedes Bild wird man überdenken können. Man kann und wird versuchen Metaphern zu erkennen, Sequenzen in Verbindung bringen. Gesichert ist, dass COME TRUE in geselliger Cineasten-Runde sehr kontroverse Diskussionen auslösen wird.

Come True 2 - Copyright IFC Films

 

 

Darsteller: Julia Sarah Stone, Landon Liboiron, Carlee Ryski, Christopher Heatherington, Tedra Rogers u.a.
Regie & Drehbuch & Kamera: Anthony Scott Burns
Musik: Electric Youth & Anthony Scott Burns
Kanada / 2020
105 Minuten

Bildrechte: IFC Films
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