DREAM HORSE

Dream Horse - Copyright WELTKINO Filmverleih– Bundesstart 12.08.2021

Wenn man bei DREAM HORSE etwas negativ anmerken möchte, dann ist das in erster Linie, dass er in keinster Weise etwas Neues oder Originelles bietet. Trotz ihrer zwei Jobs, fühlt sich Jan Vokes in ihrem walisischen Dorf Cefn Fforest leicht unterfordert. Die langjährige Ehe ist eingefahren, der Alltag ist eine langweile Tretmühle. Wie bei fast allen Bewohnern. Fast, denn der Steuerberater Howard zeichnet sich durch seine Wett- und Spielsucht aus, wodurch er Jan auf eine absurde Idee bringt. Sie hat schon erfolgreich Tauben gezüchtet, also könnte sie auch ein Fohlen züchten, und zum Rennpferd ausbilden lassen. Das kostspielige Unterfangen soll durch eine Allianz von Investoren getragen werden, die sich allesamt aus illustren Gestalten der Dorfgemeinschaft zusammen setzt. Im Film ist es leicht unklar, aber im richtigen Leben waren es 23 Teilnehmer. Und da ist man schon beim Kern der Geschichte, sie basiert auf wahren Begebenheiten.

Wer die Dokumentation DARK HORSE gesehen hat, Publikumsgewinner beim Sundance Festival 2015, wird merken, das sich die Macher von DREAM HORSE nicht sehr viel Mühe machen mussten. Oder vielleicht sogar noch mehr Inspiration brauchten, das hängt vom Blickwinkel und der persönlichen Einstellung ab. Jedenfalls ist die Spielfilm-Adaption näher an den wirklichen Geschehnissen und Abläufen als viele andere ’nach einer wahren Begebenheit‘. Das fängt schon mal mit der äußeren Erscheinung des Ensembles zu den realen Personen an, und zieht sich hin bis zur Inszenierung von Szenen die den dokumentarischen Originalaufnahmen nachempfunden sind.

Warum DREAM HORSE trotz aller dargebotenen Versatzstück nach dem Lehrbuch des Wohlfühlkinos funktioniert, ist der aufrechten Ehrlichkeit der Macher zu zuschreiben. Alles was passieren kann, passiert auch in der Art und Reihenfolge wie man es seit unzähligen anderen ‚wahren Geschichten‘ kennt. Es ist die Art von Dramaturgie die heute altbacken und überholt scheint, aber vor einigen Jahren noch alle Herzen ansprechen konnte. Doch was wir sagen und wir empfinden, sind immer verschiedene Dinge. Weil wir, Hand aufs Herz, diese Geschichten lieben. Weil sie uns etwas vormachen, aber selten betrügen.

Wer glaubt, der folgende Absatz enthält Verräter, sollte nicht weiter lesen, weil er scheinbar die letzten fünfzig Jahre nie im Kino gewesen war. Denn Jan gelingt die Zucht, die Gemeinschaft jubelt, und Pferd Dream Alliance wird zum ungestümen Außenseiter. Die Gemeinschaft jubelt, und die Leben aller scheinen durch das Pferd neue Kraft zu finden. Die ersten unerwarteten Siege, Dream Alliance wird zum Favoriten der Rennszene. Da sind wir bei der 60-Minuten-Marke. Was wird wohl passieren?

Ja, es ist tatsächlich so einfach, dass sich auch der letzte Akt von selbst erzählt. Und ja, es ist tatsächlich so passiert. Technisch und künstlerisch ist DREAM HORSE nicht sehr aufregend, wenn unbedingt eine Wertung sein müsste, dann würde man es Mittelmaß nennen. Man merkt durchaus, dass die meisten Crew-Mitglieder aus der Fernsehsparte kommen, auch Regisseur Euros Lyn. Die Bilder sind sehr eher nach Zweckmäßigkeit ausgerichtet, und die Dramaturgie folgt dem gängigen Muster von Spannungsaufbau und befreiender Auflösung. Aber auch SEABISCUIT oder KINGS SPEECH funktionierten nach genau dieser liebgewonnen Tradition von vorhersehbaren Handlungselementen, und sind nach wahren Begebenheiten entstanden.

Dream Horse 1 - Copyright WELTKINO Filmverleih

Auch wenn der Produktionsaufwand bei weitem nicht so hoch ist, enttäuscht Euros Lyn mit seinem Film nicht. Wir alle lieben Siegertypen, wir alle sehen gerne wie sich die Underdogs gegen jedes Ressentiment nach oben rackern. Warum allerdings auf Gedeih und Verderb der Jockey von Dream Alliance filmisch und dramaturgisch aus der Geschichte genommen wurde, wird ein Rätsel bleiben. Aber es ist auch richtig, dass DREAM HORSE auch mit vielen, sehr eigenen Typen gefüllt ist. Sie alle habe ihre Momente, und wir durchleben mit ihnen nicht nur Höhen und Tiefen, sondern erfahren auch ihre Entwicklung.

Es ist nicht nur die Möglichkeit mit dem Pferd viel Geld verdienen zu können. Sie wachsen zusammen, wachsen auch über sich hinaus. Die aus der Situation entstehende Selbstreflexion bewirkt Veränderung. Ob Spielsucht, Alkoholprobleme, Minderwertigkeitskomplex oder einfach verpasste Lebensträume. Dream Alliance ist im Film, wie aber auch im richtigen Leben, der Katalysator. Doch bei jedem in der Allianz erwächst die innere Neuausrichtung durch eine Gemeinschaft, die man bis zu der Idee mit dem Pferd nie wahr genommen hat. Aber die Inszenierung verzichtet zum Glück auf jedwede Art von Fingerzeig oder moralisierender Erhebungen.

Als Zuschauer müssen, vielmehr dürfen wir selbst mit und an den Figuren wachsen, sie erkunden und erfahren. Und das wird mit diesem perfekt besetzten Ensemble auch zu einer Herzensangelegenheit. Allen voran natürlich Owen Teale und Toni Collette, und letztere überzeugt ohnehin problemlos mit jedem Charaktertyp. Und weil der Film ohnehin inszenatorisch auf übermäßigen Kitsch verzichtet, schlägt wenigstens der wirklich originelle Abspann in eine wirklich überwältigende Emotionskerbe. Da wird den realen Vorbildern wirklich einmal angemessen und mit Stil Tribut gezollt.

Dream Horse 2 - Copyright WELTKINO Filmverleih

 

Darsteller: Toni Collette, Owen Teale, Alan David, Damian Lewis, Lynda Baron, Karl Johnson, Steffan Rhodi, Rhys ap William u.a.
Regie: Euros Lyn
Drehbuch: Neil McKay
Kamera: Erik Wilson
Bildschnitt: Jamie Pearson
Musik: Benjamin Woddgates
Produktionsdesign: Dan Taylor
Großbritannien / 2020
113 Minuten

Bildrechte: KINOWELT Filmverleih
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