THE LITTLE THINGS

Little Things - Copyright WARNER BROS– Bundesstart 08.07.2021

Diese Besprechung liegt der Streaming-Fassung von HBOmax zugrunde.

Zuerst ist alles ein Testosteron gesteuertes Alpha-Gehabe. Der gerade aufstrebende und sehr ehrgeizige Detective Jim Baxter ermittelt im Fall eines Serienmörders. Er fordert den Älteren und mit extrem hohen Reputationen ausgestatteten Deputy Sheriff ‚Deke‘ Deacon heraus. Es dauert nicht lange, bis sich beide eingestehen müssen, dass der eine hat, was dem jeweils anderen fehlt. Mehr mit Gefühl als mit sicheren Hinweisen, machen sie bald einen Verdächtigen fest. Der hat sich allerdings schon lange im Vorfeld auf die Polizei vorbereitet. Das ist einfach betrachtet, die klassische Handlungsstruktur eines gefälligen Polizeithrillers. Doch jedem der darin verwobenen typischen Elemente, setzt John Lee Hancocks Film einen raffinierten Kontrapunkt entgegen.

THE LITTLE THINGS ist ein exzellent photographierter Film, wo John Schwartzman klare Bilder mit starken Kontrasten gewählt hat. Er lässt nichts im Schatten verschwinden, oder spielt auch nicht unnötig mit der Farbpalette. Der Film schafft seine Atmosphäre nicht durch verfremdete Bilder oder verspielte Einstellungen. Schwartzman und Regisseur Hancock lassen die gesamte optische Ebene natürlich und vertraut aussehen. Umso erschreckender ist das Böse, welches in unsere wohl behütete Welt einfällt.

Weswegen sich John Lee Hancock nicht selbst an der Realisierung seines Drehbuchs beteiligen wollte, lag an seinen beiden kleinen Kindern. Verständlich, denn er hätte dafür gut zwei Jahre in dieser düsteren, bedrohlichen Welt seiner Schöpfung verbringen müssen. Dass sich Hancock nach satten dreißig Jahren am Ende doch noch selbst um sein Kreation bemüht, ist für so ein Projekt nur von Vorteil. Ein Buch, welches 1990 geschrieben wurde, bringt auch einiges an künstlerischer Herausforderung.

„Es sind die kleinen Dinge auf die wir achten müssen. Es sind die kleinen Dinge, die uns verraten.“ Damit schafft Deacon das Credo nicht nur für die Jagd nach dem Killer, sondern auch auf die Metaebene von THE LITTLE THINGS. Es sind die kleinen Dinge, die für den Zuschauer Deacons Beziehung zu seiner Frau beschreiben, wenn er fast unbemerkt Erde aus dem Beet heraus tritt, nur weil sie ihren neuen Mann wegen der hervorragenden Gartenarbeit lobt. Aber auch die kleinen Dinge, die Deacon auffallen, dass sich sein neuer Kollege auf den gleichen düsteren, unheilvollen Pfad begibt, welchen er selbst noch nicht hinter sich lassen konnte.

In seiner Inszenierung wirkt der Film immer etwas aus der Zeit gefallen, weil er aktuelle Sehgewohnheiten und Inszenierungsmoden unbeachtet lässt. Was in der Entwicklungszeit noch weit über dem herkömmlichen Thriller-Kino angesiedelt gewesen wäre, erfordert heute tatsächlich eine gewisse Rückbesinnung. Die fesselnde Atmosphäre ergibt sich nicht aus Action-Sequenzen und blutiger Stimmungsmache, sondern durch Charakterzeichnung und deren Beziehung zueinander. Es sind auch nicht raffiniert konstruierte Ermittlungsmethoden, welche Spannung erzeugen, sondern was die resultierenden Erkenntnisse mit den Figuren anstellt.

Little Things 3 - Copyright WARNER BROSTHE LITTLE THINGS ist bravouröses Thriller-Kino. Er beweist, dass Filmemacher heute ruhig auch einmal wieder einen Schritt zurück machen sollten. Hier stimmen einfach die beiden Hauptfiguren, die von dialoglastigen Ballast befreit sind. Auch wenn man gerne dazu neigt Denzel Washington und Rami Malek über den grünen Klee zu loben, und das muss man ganz objektiv betrachtet bei diesem Film auch, sind einfach alle Figuren exzellent beschrieben, geführt und gespielt. Da fallen keine unsinnigen Füllsätze. Erklärungen muss man sich anhand von Anspielungen erarbeiten. Das hat nichts mit schlechter oder unausgegorener Vorlage zu tun, sondern Hancock macht den beobachtenden Zuschauer zum Bestandteil des Charakters.

Das konsequente Festhalten am zeitlichen Element schafft leider auch die kaum belastbare Schwachstelle in der Inszenierung, die man bei Jared Letos Charakter findet. Zweifellos ein vielseitiger Darsteller, seine psychopathische Figur verliert sich aber in Manierismen und Dialogen die vielleicht in der dargestellten Zeit im Kino für leichten Grusel gesorgt hätte. Allerdings wirkt heute der Versuch des Psychopathen nach Modeerscheinungen der Neunzigerjahre weniger fesselnd, und tatsächlich wie aus der Zeit gefallen. Allerdings können das die beiden Ermittler wieder auffangen, die immer ein wenig mehr mit sich selbst zu tun haben, als mit der Aufklärung des Falles. Wobei aber nur das eine mit dem anderen gelöst werden kann.

Keinesfalls darf man von THE LITTLE THINGS die durch das Marketing versprochene Verbindung zu Finchers SIEBEN erwarten. Viel stärker lehnt sich die Handlungsstruktur an Dürrenmatts DAS VERSPRECHEN an, ohne dies zu kopieren, aber mit dem gleichen finsteren Fundament. Dabei darf man die inszenatorische Zeitreise auch nicht als netten Nebeneffekt betrachten. Ins Heute gelegt, hätten viele Handlungsteile überhaupt nicht mehr funktioniert. Allein die Existenz von Smartphones würde bestimmte Spannungsbögen unmöglich machen, von der forensischen Arbeit der Polizei ganz zu schweigen.

Hancock macht nicht den Fehler mit dem Kolorit zu prahlen, sondern ist beständig auf die Geschichte fokussiert. Aber es sind eben die kleinen Dinge die uns verraten. Wie die weit im Hintergrund stehende Plakatwand mit Werbung für FEGEFEUER DER EITELKEITEN der 1990 Premiere hatte. Ja, THE LITTLE THINGS ist ein packendes Stück Kino das überzeugt und nachwirkt. Und er packt einen noch intensiver, wenn man tatsächlich auf die Kleinigkeiten achtet, im Handlungsverlauf, wie bei den Darstellern.

Little Things 2 - Copyright WARNER BROS

Darsteller: Denzel Washington, Rami Malek, Jared Leto, Chris Bauer, Michael Hyatt, Natalie Morales, Isabel Arraiza, Terry Kinney, Glenn Morshower u.a.
Regie & Drehbuch: John Lee Hancock
Kamera: John Schwartzman
Bildschnitt: Robert Frazen
Musik: Thomas Newman
Produktionsdesign: Michael Corenblith
United States / 2021
128 Minuten

Bildrechte: WARNER BROS
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Im Fernsehen gesehen, Im Kino gesehen abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar