TWO DISTANT STRANGERS

Two Distant Strangers 1 - Copyright NETFLIXNetflix – Oscar Short

Das Travon Free ausgerechnet ‚The Way It Is‘ von Bruce Hornsby als Hauptthema für diesen Film nutzt, hört sich zuerst befremdlich an. Es ist aber ein glücklicher Kunstgriff, da der Song nicht nur lyrisch zu der Geschichte passt, sondern die Grundmelodie eben aus diesem inhaltlichen Grund seit 1986 immer wieder von schwarzen Musikern, vornehmlich Rappern, fürs Sampling genutzt wurde. Warum also nicht gleich das Original? Und wenn der Schwarze Carter mit diesem Song auf dem Ohr früh morgens das Haus seines One-Night-Stands verlässt, scheint ‚The Way It Is‘ wie ein Vorbote zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Sekunden später liegt er erschossen auf dem Bürgersteig.

Travon Free versucht erst gar nicht subtil zu erzählen. Dafür verpackt er seine Geschichte sehr geschickt und einfallsreich. Carter steckt in einer sich täglich wiederholenden Zeitschleife. Murmeltier irgendwer? So wie die Musikauswahl des Filmemachers, verwirrt auch die Erzählstruktur zuerst. Es geht um ethnisches Profiling und Alltagsrassismus, kann so etwas in dieser Form funktionieren, ist es überhaupt angemessen? Diese Gedanken sind ganz schnell vergessen, dann ist man in der Geschichte gefangen, und sie lässt auch nicht mehr los. Es funktioniert perfekt.

Egal was Carter nach dem aufstehen tut, egal wie er immer und immer wieder versucht etwas im Ablauf zu verändern, endet es mit seinem zerschossenen Körper auf der Straße. Und wenn er die Alternative wählt, das Haus der neuen Angebeteten überhaupt nicht zu verlassen, kommt das Überfallkommando eben durch die Tür. Spätestens da dürfte auch der letzte Zuschauer nach Breonna Taylor schreien.

Allein durch die Presse sensibilisiert, erkennt man bei jedem neuen Tag, welche tödlich endende Situation als reales Vorbild für Carters unbeabsichtigtes Dilemma dient. Doch Free und Co-Regisseur Martin Desmond Roe verbieten sich die jeweiligen Fälle von Polizeigewalt explizit und im Detail nachzustellen. Die Anmutungen und Ähnlichkeiten reichen aus. Sind es doch auch im wirklichen Leben immer nur Variationen unbeschreiblichen menschlichen Versagens, die sich ständig wiederholen.

Two Distant Strangers 2 - Copyright NETFLIX

 

Aber womit Travon Free letztendlich wirklich überzeugt, ist sein leichter Erzählton. TWO DISTANT STRANGERS ist kein verbissenes Plädoyer, keine Wut schäumende Anklage. Er lässt seinen Protagonisten erst einmal einen Schritt zurück treten und sein sich immer wiederholendes Schicksal so sehen, wie es ist. Was immer Carter tut, es endet auf die selbe Weise. Er wird zur Personifizierung einer gesamten Gesellschaftsgruppe. So wie auch Officer Merks Verhalten trotz der von Tag zu Tag jeweils veränderter Situation immer in das selbe Muster von Vorurteil und Machtmissbrauch zurückfällt.

An manchen Stellen ist TWO DISTANT STRANGERS dann sogar ziemlich witzig. Aber auch hier nehmen die Regisseur Abstand davon, die Situationen als solche zu verharmlosen oder sich darüber lustig zu machen. Der Humor ergibt sich eher aus den absurden Gegebenheiten und den nicht nachvollziehbaren Eskalationen. Und daraus, dass sich Carter bald mit unerschütterlichem Enthusiamus immer und immer wieder seinem Schicksal stellt. Mit einem Augenzwinkern wird Carter vom Ehrgeiz getrieben, nicht mehr die Welt zu retten, sondern wenigstens für selbst diese Welt und ihre Funktion zu verstehen.

Aber eine unterschwellige Wut und Verdrossenheit ist Travon Free dennoch untergekommen, was die Thematik allerdings auch herausfordert. Das mit Joey Bad$$ und Andrew Howard die Rollen vom Äußeren eher Stereotyp besetzt sind, kommt der Erzählung sogar sehr entgegen. Im Spiel selbst überzeugen sie mit einer ungetrübten Natürlichkeit.

TWO DISTANT STRANGERS ist thematisch und in seiner qualitativ brillanten technischen Umsetzung, ein Film von dem man sich sogar einen Langfilm wünschen würde. Ein sehr gutes Zeichen dafür, dass er in dieser Form und Länge eigentlich perfekt ist. Leider wird das Format des Kurzfilms selbst extrem stiefmütterlich behandelt und bekommt sehr selten Aufmerksamkeit. Und selbst wenn es einer dieser Perlen verdient zu einer Oscar-Nominierung schafft, und ein breiteres Interesse geweckt ist, werden sie aus rein kommerziellen Zwecken aus dem frei verfügbaren Verkehr gezogen. Das ist bitter.

„Learn me see you as a brother instead of Two Distant Strangers…“ – Tupac

Two Distant Strangers 3 - Copyright NETFLIX

 

Darsteller: Joey Bad$$, Andrew Howard, Zaria, Mona Sishodia u.a.
Regie: Travon Free, Martin Desmond Roe
Drehbuch: Travon Free
Kamera: Jessica Young
Bildschnitt: Alex Odesmith
Musik: James Poyser
Produktionsdesign: Keseh Morgan
USA / 2021
32 Minuten

Bildrechte: NETFLIX
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