Frances O’Connors EMILY

Emily - Copyright WILD BUNCH DISTRIBUTION– Bundesstart 24.11.2022

Anfang 2000 brach Schauspielerin Frances O’Connor mit MANSFIELD PARK nach sieben Jahren bescheidener TV- und Filmkarriere aus dem Darsteller-Einerlei aus. Danach engagierte Spielberg sie für A.I., und John Woo wollte Frances für WINDTALKERS. O’Connor war schon in eine Reihe mit den Hoffnungen Paltrow, Theron oder Diaz gestellt, die darstellende Karriere verflüchtigte sich aber wieder in unauffällige TV-Rollen und selten beachtete Arthouse-Projekte. Obwohl die Aktrice sich in jedem Genre zuhause verstand, und in diesen auch hinlänglich Erfahrungen gemacht hat, dauerte der Gang zum Regiestuhl erstaunlich lange. Aber er scheint sehr genau überlegt, doch entsprechend schwierig. O’Connor hat aus ihrer Verehrung für die Brontë-Geschwister nie einen Hehl gemacht, wodurch die zeitlich und thematisch ähnlich orientierte Jane Austen bei O’Connor stets hinten anstand. Wenngleich die Namen Brontë und Austen den gleichen literarischen Stellenwert einnehmen, ist eine Verfilmung der Brontës durchaus riskanter.

Während zaghafte Verehrungen und unerwiderte Liebe bei Jane Austen auch heute noch Allgemeingültigkeit genießen, ist der ungestüme Weltschmerz von Emily Brontës ‚Sturmhöhe‘ für ein unbedarftes Publikum in unserer heutigen Zeit nur schwer nachvollziehbar. O’Connor beschreibt jene Jahre der jungen Autorin, welche sie veranlasste ihren einzigen Roman zu schreiben. ‚Sturmhöhe‘ erschien 1847, ein Jahr bevor Emily mit nur dreißig Jahren verstarb. Aber all ihre unerfüllten Sehnsüchte und seelischen Qualen hat sie noch mit diesem Roman verarbeitet.

In ihrem Erzählstil wechselt Frances O’Connor in fließenden Übergängen die Perspektiven. Manchmal sind wir neutrale Beobachter, manchmal übernehmen wir die Sichtweise von Emily. Sie war eine eigenwillige, menschenscheue junge Dame. Oder wie man im Dorf zu sagen pflegte, in der Familie ‚die Seltsame‘. Der ständige Perspektivwechsel ist dabei nicht von Vorteil. Emily erschließt sich uns dabei nur als unstetes Wesen, die nie richtig greifbar wird. Wo wir in einer Szene Verständnis entwickeln, erscheint sie in der nächsten nur weltfremd und irrational.

Mit der Ankunft von William Weightman, dem neuen Pfarrer in der Gemeinde Hawthorne, lernt Emily neue Gefühle kennen. Ihre Schwestern Anne und Charlotte gehen bereits eigene Wege in anderen Städten oder sogar Ländern, sind aber selbstredend dem Elternhaus weiter verbunden. Ihren bisher einzig wirklichen Freund hat Emily in ihrem Bruder Branwell, der sich Rauschmitteln und der Trunksucht hingibt. Dennoch ist es Branwell, der seiner Schwester durch seine skandalöse Lebensweise die Augen für die Welt öffnet. Mit naiven Eifer beginnt sie den adretten, neuen Pfarrer auf sich und ihre Gefühle aufmerksam zu machen.

Wenn die Beziehungen und Charaktere der realen Vorbilder hier auch nur im Ansatz getroffen wurden, muss die Familie Brontë eine zutiefst traurige Familie gewesen sein. Liebe brachte man keinem entgegen, sondern Liebe mussten die Brontës einfordern. Was aber nicht bedeutet, sie hätten nichts füreinander empfunden. Wann immer möglich, vermittelt die Regisseurin sehr präzise die gesellschaftlich auferlegten Konventionen von  Verbundenheit zwischen den Familienmitgliedern. Behandelt wird auch intensiv der unveränderliche Schmerz über den Verlust der Mutter.

Emily 2 - Copyright WILD BUNCH DISTRIBUTION

 

Doch die starke Familienbande bedeutet bei Frances O’Connor nicht unbedingt bedingungslose Liebe. Wer ein wenig über den Film hinaus Biografien der Schriftsteller-Schwestern bemüht, wird schnell lernen wie missgünstig Charlotte über den Erfolg von Emilys ‚Sturmhöhe‘ eiferte. Grundsätzlich tut sich die Regisseurin hart, die emotionalen Beziehungen unter den Figuren schlüssig zusammenzubringen. Sie sind zusammen wie beste Freunde, um sich anschließend verächtlich voneinander abzuwenden. Verständnis zeigen keiner von ihnen.

Es wäre wünschenswert gewesen, man hätte den Figuren zugestanden sich tiefgehender ausdrücken zu können. Auf der anderen Seite macht Filmemacherin O’Connor damit sehr deutlich, dass sie viel mehr eine spekulative Reflexion über die kreativen Prozesse schaffen wollte, die zwischen Emily Brontë und ihrem einzigen Roman stattgefunden haben könnten. Bemerkenswert ist dabei das Sound-Design von Tom Sayers, der mit plötzlicher Stille, überlagernden Toneffekten, oder ortsfremden Geräuschen, eine rätselhaft faszinierende Stimmung erzeugt. Am auffälligsten ist dabei das Meeresrauschen, wenn Emily mit ihrem heimlichen Schwarm William in Bild und Gedanken zusammengebracht wird.

Die Schauspielerin Frances O’Connor hat ein sehr verspieltes, aber auch ernsthaftes Regiedebüt inszeniert. Atmosphärisch verliert es durch die uninspirierte Bildgestaltung von Nanu Segal, der sich an Handkamera abarbeitet, wo vor allem opulentere Bilder und, in entsprechenden Szenen, kräftigere Farben angemessen wären. Umso interessanter ist dabei, dass tadellose Spiel von Emma Mackey als Emily zu bewundern. Mit ihren harten Gesichtszügen entspricht sie nicht dem gefälligen Heldinnen-Ideal, was aber die verstörenden Faszination an dem Charakter erhöht.

Vielleicht sollte man EMILY nicht als Reflexion über Emily Brontë verstehen. Der Film ist eher eine Deutung darüber, wie sich ‚Sturmhöhe‘ überhaupt schreiben ließ, mit seinem für jene Zeit ungewöhnlich düsteren Blicken auf die menschliche Natur. Brontës schriftstellerischer Nonkonformismus stemmte sich gegen die zeitgenössische Literatur, so dass die zeitgeschichtliche Relevanz auch erst viel später gewürdigt wurde.

Emily 1 - Copyright WILD BUNCH DISTRIBUTION

 

Darsteller: Emma Mackey, Oliver Jackson-Cohen, Fion Whitehead, Gemma Jones, Adrian Dunbar, Alexandra Dowling, Philip Desmeules u.a.
Regie & Drehbuch: Frances O’Connor
Kamera: Nanu Segal
Bildschnitt: Sam Sneade
Musik: Abel Korzeniowski
Produktionsdesign: Steve Summersgill
USA, Großbritannien / 2022
130 Minuten

Bildrechte: WILD BUNCH DISTRIBUTION
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